10.2 Trélla - Wahnsinn

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Sein Blick aber war voller Abscheu und ja, Ekel.

„Sterbliche", spuckte er aus und knallte mit dem Fuß auf den Steinboden, sodass die Erschütterung bis in Eos' Knochen klirrte und den Staub von der Decke fallen ließen. Sie mussten die Köpfe in den Nacken legen, damit sie Dionysos' Gesicht überhaupt sehen konnten, denn er gedachte nicht, ihnen auf menschlicher Größe entgegenzutreten. „Widerliche Kreaturen."

„Aber... wart Ihr nicht selbst einst unter den Sterblichen?", fragte Lyra verwirrt und mit zittriger Stimme. Wahrscheinlich reichte nicht einmal ihr Mut, damit sie vor der ganz deutlich zu spürenden Macht, die von Dionysos ausging, nicht einknickte.

„Und ich habe sie damals auch schon verflucht", erwiderte der olympische Gott und strich sich durch den dichten Bart, wobei er die Weinreste nur noch mehr verwischte. „Seit Jahren predige ich schon auf dem Olymp, dass wir euch dieses Mal ganz ohne Überlebenden auslöschen sollten, aber es hört ja niemand auf mich." Er nahm noch einen Schluck Wein und er hielt den Becher so hoch und lange an seinen Mund, dass es für Eos feststand, dass er wohl nie leer sein würde. Das war nur eine der vielen Mächte, die Dionysos besitzen musste.

„Was habt Ihr gegen die Sterblichen?", fragte Castor und für einen Moment fragte sich Eos, ob der Junge einfach nur dumm oder sehr, sehr mutig war.

Dionysos' Blick hätte wohl ausgereicht, um einen ausgewachsenen Stier in die Flucht zu schlagen, aber Castor hielt ihm stand. „Du warst doch der Junge, der von meinen Trauben kosten wollte, nicht?"

Eine Weinrebe spross neben Castor aus dem Boden und wuchs, bis sie direkt vor seinem Mund hielt. Er wich einen Schritt zurück. „Nur zu", sagte der Gott. „Nimm. Ihr Sterblichen nehmt immer von uns Göttern."

„I-Ich möchte nicht", brach Castor hervor und wich noch einen Schritt zurück.

Dionysos gab einen lauten, brummenden Ton von sich, dann erhob er sich von seinem Thron. Er schrumpfte allerdings nicht auf eine menschliche Größe hinab, sondern blieb so groß. Mit seinen Zehen hätte er sie ganz einfach zerquetschen können, wenn er wollte. „Du widersetzt dich also dem Befehl eines Gottes", sagte er langsam und sein Blick wanderte langsam hinab. „Nenn mir deinen Namen, Junge."

Zuerst schien es so, als hätte er seine Zunge verschluckt und Eos wollte ihm schon vorsichtig in den Arm kneifen, damit er zu sich kam, doch dann öffnete Castor den Mund und nannte Dionysos seinen Namen. Die Augen des Gottes verengten sich.

„Castor", wiederholte er murmelnd. Dann hob er seine freie Hand und schwang sie einmal durch die Luft. Die Weinrebe, die mit dicken, saftigen Trauben zuvor vor Castors Mund gehalten hatte, wuchs nun rapide auf sie zu, schlang sich in unglaublichem Tempo um seine Beine und Arme und bevor einer der anderen auch nur daran denken konnte, ihre Schwerter zu ziehen, hatten weitere Reben sie gefesselt. Calypso gab einen schmerzvollen Laut von sich, als die Weinranken ihr die Arme auf den Rücken fesselten und Lyra wurde zu Boden gedrückt, der Dolch war ihr aus der Hand gefallen.

Eos konnte sich zwar auf den Beinen halten, doch auch er hatte sein Schwert einbüßen müssen, welches nun unter einer Schicht von grünen und violetten Blättern begraben lag. Seine Gedanken rasten und sein Blick folgte Castor, der von den Reben in die Luft gehoben wurde. Lyras und Calypsos Schreie gingen in dem von Castor unter, der hoch über ihren Köpfen schwebte und mit angstgelähmtem Blick auf sie hinab starrte.

„W-Was soll das!?", fragte er panisch und angsterfüllt. Seine Stimme war nun noch höher, als zuvor. „Lasst mich runter!"

„Castor!", sagte Dionysos und der Junge verstummte, als er auf Augenhöhe mit dem Gott war.

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