18.2 - Kynigós - Jäger

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Der Löwe reagierte. Er schnappte mit seinem Maul in die Richtung, in der er das Mädchen vermutete. Ein Geifertropfen fiel zu Boden. Seine Krallen kratzten über den Stein. Im nächsten Moment war er in der Luft.

Lyra ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich zur Seite, sodass sie beinahe mit der Wand kollidierte. Die Vordertatzen des Untiers trafen genau dort auf, wo sie einen Augenblick zuvor noch gestanden hatte.

„Los!", rief sie laut und Eos ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Er stürmte vor und war drauf und dran, sein Schwert in das hintere Fleisch des Löwen zu rammen, als sich das Tier mit einer Geschwindigkeit, die er nicht erwartet hatte, umdrehte und ihm seine Pranke gegen die Brust presste.

Die plötzliche Gewalteinwirkung drückte ihm allen Atem aus den Lungen und das Schwert fiel ihm klirrend aus der Hand, als er mehrere Fuß in die Luft gehoben wurde und in hohem Bogen durch den Gang flog. Er krümmte sich vor Schmerzen, als er auf dem harten Steinboden aufprallte. Jeder Rest an Atem, der sich noch in seinem Körper festgesetzt hatte, wurde vertrieben und ein trockenes Keuchen verließ seine Kehle. Stechender Schmerz an seinem Rücken durchfuhr ihn und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Er sog erschrocken Luft ein.

„Eos!", rief Calypso entsetzt, aber Lyra hatte den Moment genutzt, in dem der Löwe abgelenkt gewesen war. Ihr Dolch drang tief in sein Fleisch ein und das Tier ließ ein lautes, schmerzhaftes Brüllen ertönen. Sein Heulen röhrte hohl im Gang wider, als es vor Schmerz und Schreck aufsprang und Lyra den Griff entwand.

„Scheiße!", schrie sie auf und stolperte zurück. Sie packte das Schwert an ihrer Hüfte und zog es in Windeseile hervor.

Calypso war aus ihrer Starre erwacht, als Eos auf dem Boden aufgekommen war. Ihr Schwert durchschnitt die Luft, als sie es über den Kopf schwang und mit einem Kampfschrei, dem der Junge ihr gar nicht zugetraut hatte, stach sie nach dem verwundeten Tier.

Seine Pranke flog hoch und krachte mit einem lauten Knall an Calypsos Brust. Ihr Schrei brannte in Eos' Ohren wie ein Fegefeuer und ließ einen eiskalten Schauer seinen Rücken hinablaufen. Gerade, als er sich langsam aufrappelte, fiel das Mädchen mit einem dumpfen Schlag zu Boden und blieb einen schrecklichen Moment lang liegen, ehe sie sich vor Schmerzen krümmte und ihr Stöhnen das Echo des ganzen Gangs erfüllte.

Lyra sprang vor und landete einen zweiten, weniger effektiven Schlag gegen die Seite der Bestie, wurde allerdings zu Boden geschleudert, als das Tier ihren Hieb mit dem Anspannen seiner stählernen Muskeln abwehrte. Sie ließ sich davon allerdings nicht allzu sehr beeindrucken, sondern rappelte sich auf, noch ehe Eos ganz auf den Beinen war und stürmte erneut vor.

Der Junge schloss sich dieses Mal ihrem Angriff an und gemeinsam schafften sie es das Tier zu verwirren, sodass es nur einen der Schläge mit seiner krallenbesetzten Pranke abwehren konnte. Eos hatte sich sein zweites Schwert gegriffen und die Klinge glitt durch das schwarz-gelbe Fell oberhalb der Hinterbeine und stach tief in die weiche Haut hinein, sodass der Löwe erneut vor Schmerzen aufbrüllte.

Die beiden Angreifer sprangen zurück, als das Tier in Rage verfiel und wild mit seinen Pranken um sich schlug und trat. Seine Krallen durchschnitten die Luft gefährlich nahe vor Lyras Gesicht und sie stolperte mit weit aufgerissenen Augen zurück, als sein nächster Hieb beinahe ihren Arm abgetrennt hätte.

Eos eilte zu der am Boden liegenden und sich krümmenden Calypso und half ihr vorsichtig in eine halbwegs sitzende Position, doch als er sie am Arm hochziehen wollte, durchfuhr ein brennendes Stechen seinen eigenen Brustkorb, als würde sich eine Nadel tief in sein Fleisch drehen. Er stöhnte kurz auf und keuchte dann schmerzerfüllt, ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen.

Calypso hatte Glück gehabt, denn keine der Krallen des riesigen Löwen hatte ihren Körper erwischt. Ihr Gewand war an der Schulter eingerissen und entblößte ein Stück ihrer hellen Haut, aber ansonsten schien sie auf den ersten Blick unversehrt. Sie atmete schwer und würgte nach Luft, als Eos sie stützte. „Geht schon", hustete sie hervor und erhob sich schwerfällig. Sie musste eine Hand an die Wand drücken, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor.

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