18.1 Kynigós - Jäger

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Es war der schönste Tag des Jahres und Athen erstrahlte in weißem Glanz. Die Sonnenstrahlen kämpften sich durch bauschige Schäfchenwolken und beschenkten die Menschen unter sich mit ihrer angenehmen Wärme. Gräser und Blätter streckten sich gen Himmel, um all die sommerliche Kraft der Sonne in sich aufnehmen zu können. Die grünen Rasenflächen waren voll mit Familien, die den Tag genossen, kühlen Wein und Saft tranken und den Kindern beim Spielen zuschauten. Ein großer Olivenbaum spendete kühlen Schatten und der Parthenon thronte über dem Horizont der Stadt. Es sah aus, als wäre er Athen eine Krone, würde sie einer Stadt der Götter krönen. Die riesengroße Marmorstatue der Athene, mit bronzenem Schild und Speer und der weisen Eule auf ihrer Schulter, leuchtete, als würde die Göttin höchstpersönlich auf die Menschen unter sich strahlen.

Eos rannte über die Wiese, spürte das kühle Gras unter seinen nackten Füßen. Er fühlte sich, als würde er fliegen, als könnte er jeden Moment die Arme ausbreiten und abheben und dann durch die Wolken im Himmel tauchen. Er würde bis zu den Göttern im Olymp hinaufsteigen und an das goldene Tor klopfen, welches ihm Einlass in die Welt der Unsterblichkeit gewähren würde.

„Ist das nicht fabelhaft?", ertönte Calypsos Stimme neben ihm und der Junge drehte sich mit einem breiten Grinsen zu ihr um. „Ich will, dass dieser Tag nie endet und wir für immer hier sein könnten."

„Ich auch. Nichts wünsche ich mir mehr", erwiderte er. Seine Stimme klang älter und tiefer, als er es in Erinnerung hatte. Auf seinen Armen konnte er erkennen, wie die Muskeln sich unter seiner Haut abzeichneten.

„Wir sollten einfach ewig wachbleiben", sagte sie. Ihre Gesichtszüge waren schärfer und definierter geworden. Die roten Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln und ein Windhauch zerrte einige ihrer langen blonden Strähnen hinter ihren Ohren hervor. „Diesen Tag einfach niemals enden lassen. Uns nie verlieren."

Seine Wangen schmerzten vom Grinsen, aber er wollte nicht aufhören. Er fühlte sich viel zu glücklich dafür. Kein Leid der Welt konnte ihm etwas anhaben, weil er in Gegenwart eines viel zu guten Menschen war. Calypsos weißes Kleid flog im Wind hinter ihr her und sie streckte die Hände zur Seite aus.

„Ich könnte dich nie verlieren", antwortete er sanft, auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie seine Stimme überhaupt über das Rauschen der Luft um sie herum wahrnehmen konnte.

„Bleiben wir ewig hier?", fragte sie strahlend.

„Für immer und ewig", erwiderte Eos.

Die Strahlen der Sonne schenkten ihm ein warmes Gefühl auf der Haut, welches bis in sein Herz vordrang. Jeder Schlag schien mehr und mehr Wärme durch seinen Körper zu schicken. Calypsos Lächeln ließ ihn fliegen. Der Wind wirbelte seine schwarzen Haare durcheinander und er flog so hoch, dass er auf Augenhöhe mit der Statue der Athene stand. Ihr Blick durchbohrte ihn und plötzlich, als er die Augen schloss, sprach ihre Stimme in seinem Kopf.

Eos riss die Augen auf.

„Tapferer Held, der du alle Gefahren überstanden hast", sagte Athene. Ihr marmornes Gesicht hatte ein gütiges Lächeln auf den Lippen. „Tapferster meiner Recken, sieh mich an. Sag mir, bist du glücklich?"

„Ich war nie glücklicher", erwiderte er.

„Wärst du noch glücklicher auf dem Olymp an meiner Seite, mein Held?", fragte sie. „Du könntest unsterblich sein. Du würdest deinen eigenen Thron haben. Die Sterblichen würden dich als den größten Helden des Olymps anbeten. Unmengen an Opfergaben würden dir angeboten werden, es würde Tempel für dich geben. Man würde Städte nach dir benennen."

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