25.2 Ktíni - Bestien

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Die jüngere Schwester kam zu keiner Antwort. Ein widerlicher Luftzug durchschnitt den Raum, ließ Eos straucheln und würgen. Feuer brannte in seiner Nase und seinem Mund. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde alles in seinem Inneren verdorren. Tod quoll durch seine Körperöffnungen. Der Gestank des Verderbens, der Versagens drang in jede seiner Poren. Eos fühlte sich besiegt, erschöpft, verloren.

Dann erschütterte die Welt. Sie zerbrach entzwei. Ein Stampfen und ein Beben erfüllten die Luft. Seine Ohren explodierten. Er konnte nichts sehen, nichts hören, nichts riechen. Eos war sinneslos, ohne Orientierung. Flog er? Fiel er? Wo war oben und wo unten? Warum verging die Zeit, obwohl die Welt bereits starb? Es folgte ein erneutes Beben. Etwas zerrte an ihm. Sein Arm wurde in eine Richtung gezogen. War das der Tod, der nach ihm griff? Hatte der Fluss Styx seine weißen Fluten geschickt, damit seine Seele auf ewig in seinen Nebelwassern verbringen würde?

„Eos!" Calypsos Stimme war das einzige, was er hörte. Sie schrie in sein Ohr. „Eos, steh auf!"

Er spürte etwas Warmes an seinem Kopf und realisierte einen Moment später, dass es sich um Blut handelte. Er konnte sich allerdings nicht erinnern, sich verletzt zu haben. Vielleicht war es gar nicht sein Blut?

Mit wenig Kraft versuchte er die Augen zu öffnen, aber alles, was er sah, war ein verschleiertes Bild eines vor ihm schwebenden Gesichtes.

„Eos, bei allen Göttern, steh auf! Ich lass dich nicht zurück!" Jemand schlug ihn und Fingernägel kratzten über seine Haut. „Öffne deine verdammten Augen!"

„Was", murmelte er leise, brachte nicht einmal eine Frage hervor.

Calypso war über ihn gebeugt. Sie kniete auf dem Boden, ihre linke Hand war in seinen Unterarm gekrallt – etwas, das er nicht spürte – und ihre rechte war erhoben, erneut zum Schlag bereit. „Du bist gestürzt!", schrie sie ihn an. „Da kommt etwas, steh auf!" Ihre Stimme war ein stilles Echo in seinem Kopf. Irgendwo in der Ferne konnte er noch jemanden hören. Dann wieder ein Weltenbrechen. War der Hades aufgebrochen und die Monster des Tartarus kamen, um sie zu verschlingen?

Sie schlug ihn erneut und dieses Mal klärte es seinen Geist. Um ihn herum rieselte Staub von der Decke. Lyra hatte ihren Dolch gezogen und stand vor den beiden, Aineas und Medeia waren aus seiner Sicht verschwunden, aber er konnte ihre hastigen Schritte vernehmen. Irgendwo klirrte etwas und er stellte fest, dass Lyras Schwert nicht an ihrem Gürtel hing.

„Jetzt steh auf! Du bist hingefallen und hast dir den Kopf am Boden aufgeschlagen. Wir müssen weiter, irgendwas kommt." Panik schwang in Calypsos Stimme mit, als sie sprach, ihre Augen waren mit glitzernden Perlen gefüllt. Strähnen ihrer blonden Haare krümmten sich im Feuerschein.

Ein erneutes Stampfen, Beben ließ ihn wirklich realisieren, was geschehen war.

„Was ist das?", rief er und rappelte sich mit Calypsos Hilfe auf. Seine Hand fand automatisch den Griff seiner Klinge, die andere krallte er in das Gewand des Mädchens.

„Ich will es nicht herausfinden!", schrie Lyra über den Lärm eines weiteres Bebens. „Jetzt hör auf zu träumen, Eos. Wir sollten verschwinden!"

Die Welt roch nach Feuer und Tod, als Eos von Calypso weitergezogen wurde. Aineas und Medeia warteten mit todesbleichen Gesichtern im Ausgang des kleines Raumes. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib, obwohl Eos schwitzte, als wäre er in einem Schmiedeofen gefangen.

„Los, los!", rief Aineas aus, die Finger fest um Lyras Schwert geschlungen. „Ich will nicht sehen, was uns dort entdeckt hat!"

„Das ist meine Schuld", wimmerte Medeia leise, als das Echo eines weiteren Bebens verklungen war. „Ich wusste, ich bringe Unglück."

LavýrinthosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt