15.2 Diamáchi - Streit

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„Du bist nicht bei Sinnen", wisperte Theia mit geröteten Augen. Sie wischte sich eine aufkommende Träne davon. „Du weißt nicht, was du sagst."

„Für mich klingt das Kind sehr bei Sinnen", antworte die alte Frau und lächelte gutmütig.

„Halten Sie sich da raus!", brüllte Theia sie an. „Verschwinden Sie einfach, Sie alte Schrulle!"

„Oh je, oh je", murmelte sie und schüttelte traurig den Kopf.

„Lass sie in Ruhe", rief Medeia und richtete ihren Speer zittrig auf Theia. Sie wusste nicht, woher dieser Instinkt kam, aber sie wollte nicht, dass ihre Schwester gemein zu dieser alten Frau war. Sie sah nicht so aus, als könnte sie selbst gegen irgendetwas verteidigen. Ein Windstoß könnte sie umstoßen.

„Medeia, du –", fing Theia an, schluckte heftig und wich einen Schritt zurück, als ihre Schwester mit der gefährlichen Speerspitze näherkam. „Lass uns bitte gehen", sagte sie mit ruhiger Stimme. „Wir klären das, ja? So, wie wir es immer klären, wenn es ein Problem gibt? Es – es tut mir leid, wenn du den Eindruck bekommen hast, ich würde dich herumkommandieren."

„Ich habe nicht den Eindruck bekommen", sagte Medeia und atmete schwer durch ihre Nase. „Ich weiß es!"

Richtig so, Kind! Lass all deine Wut heraus. Lass sie deine Wut spüren, Medeia!

„Dann – dann tut es mir leid!", rief Theia aus und wich noch einen Schritt zurück. „Sag mir, was ich besser machen soll! Ich will dich nur sicher wissen, Medeia. Du bist doch meine Schwester!"

Medeia öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und ließ langsam ihren Speer eine Handbreit sinken. Theias Stimme zitterte, als sie sprach. Sicher meinte sie es auch so, was sie sagte. Sie hatte ihren Fehler eingesehen.

Sie will dich täuschen, hauchte die Frau. Jetzt will sie dich mit ihren Worten einlullen, dich ruhigstellen, aber sobald die erste Möglichkeit sich zeigt, wird sie das Zepter an sich reißen. Auf ihr Wort ist kein Verlass. Sie will herrschen und du stehst ihr im Weg.

„Komm schon, Medeia", sagte Theia leise und ließ ihr Schwert sinken. Sie streckte ihre andere Hand aus, eine Geste, die sie an Aineas erinnerte. Dieser stand abseits der streitenden Schwestern und beobachtete das Geschehen mit schreckgeweiteten Augen. „Vertragen wir uns wieder?"

Fall nicht auf sie herein!

Medeia warf einen flüchtigen Blick zu der alten Frau, die an der Säule abgestützt stand. Ein eisiger Wind wehte durch ihre Haare, der sie frösteln ließ. Als ihre Augen die von Theia trafen, lächelte ihre Schwester sie mit einem breiten Grinsen an.

„Alles gut?", fragte sie ruhig und Medeia senkte ihren Speer so weit, dass sie auf ihre Schwester zugehen konnte. Sie hob ihre zittrigen Finger an und streckte sie ebenfalls aus.

Lediglich eine fingerbreit trennte sie. Die Einigung war zum Greifen nah. Medeia müsste nur zugreifen. Die Hand ihrer Schwester schütteln. Dann wäre alles gut, alles vergessen, was geschehen war. Es war so einfach.

Dann zuckten Theias Mundwinkel.

Die jüngere Schwester wich zurück. Wutentbrannt, mit weit aufgerissenen Augen, richtete sie den Speer auf ihr Gegenüber. „Lügnerin!", schrie sie – und stach zu.

„Medeia, nein!", kreischte Theia. Nur knapp konnte sie dem überraschenden Angriff knapp ausweichen.

„Was soll das?", rief Aineas angsterfüllt. „Hört auf damit!"

„Medeia, beruhige dich!", schrie Theia und hob ihr Schwert in Verteidigung an.

Aber Medeia war in Rage. Ihre Gedanken waren zu einem eiskalten Wind geworden, der durch ihre Gliedmaßen fegte und ließ ihr Feuer höher und heißer lodern.

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