Kapitel 45

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Alleine saß ich draußen vor der Tür und blickte auf die leere Straße, die von einigen Straßenlaternen beleuchtet wurde. Es war dunkel und so langsam tauchten einige Sterne im Himmel auf, die ich liebte zu beobachten, denn sie erinnerten mich an meinen Vater und schenkten mir somit etwas Ruhe.

Wenige Minuten später ging die Haustür hinter mir auf, aber ich drehte mich nicht um. Es waren noch alle drinnen und sie würden auch nicht so schnell nach Hause gehen. Daher dachte ich, dass es wahrscheinlich Liam sein musste, jedoch stellte es sich um jemand anderen heraus, die ich ungern gerade in meiner Nähe haben wollte. Sie hingegen setzte sich neben mich und blieb zuerst leise.

Ich verstand ehrlich gesagt nicht, was Fleur ihr Ziel war. Dieses Mädchen hatte so viele Geheimnisse, die sie vor Jack und uns versteckte. Sie wusste Dinge, die für uns lebenswichtig waren, aber trotzdem sagte sie kein Wort. Es machte mich verrückt. Jede verdammte Sekunde, die vorbeiflog, hielt ich mich schwer zurück, um sie nicht anzuschreien oder Schlimmeres zu tun. Sie machte es mir aber nicht einfach. Mir war bewusst, dass sie vor etwas Angst hatte. Höchstwahrscheinlich wurde sie mit ihrem Leben bedroht oder sie beschützte jemanden, den sie liebte. Jedoch kam sie immer wieder zurück. Wegen ihm, wegen Jack.

"Du magst mich nicht", sagte sie plötzlich.

Ich erwiderte darauf nichts, denn eigentlich konnte ich es selbst nicht genau beantworten. Hass verspürte ich nicht, aber ob ich sie mochte, konnte ich genauso nicht bestätigen. Es fiel mir schwer sie einzuschätzen. Außerdem hatte ich keine Ahnung, ob sie jemals zu mir ehrlich war oder nicht.

Aus diesem Grund konnte ich mir nicht einmal vorstellen, wie Jack mit dieser Sache umging, denn bei ihm war es anders. Sehr anders. Er hatte nämlich Gefühle für sie und wenn man jemanden liebte, dann vertraute man dieser Person. Fleur hatte aber sein Vertrauen gebrochen. Ich fragte mich gerade wirklich, wie es ihm wohl ging. Was, wenn ihm dort etwas passierte? Mein Lockenkopf war im Gefängnis und an diesem grauenhaften Ort war niemand sicher.

"Ich mag dich aber", gestand sie.

Verwirrt über ihren Satz drehte ich mich zu ihr um, da es unerwartet kam, doch sie blickte nur nach vorne. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich auf irgendeiner Weise mögen würde. Wir kannten uns nämlich nicht einmal.

"Ich weiß, dass kommt jetzt irgendwie merkwürdig rüber", lachte sie leicht, doch dieses kleine Lächeln verschwand sehr schnell von ihren Lippen.

"Jack hatte mir nur sehr oft von dir erzählt. Von dir, von deiner Schwester Katy und den anderen, aber am meisten von dir", begann sie mir zu erzählen.

"Ich hörte ihm immer so gerne zu. Eure witzigen Momente...oh Gott er konnte gar nicht aufhören zu erzählen. Wir lachten immer zusammen darüber. Mich machte es sogar ein wenig eifersüchtig", gab sie zu, worüber ich überrascht eine Augenbraue in die Höhe zog und sie mich nun aufmerksam ansah.

"Du hast richtig gehört. Ich war auf dich eifersüchtig, denn du konntest jede Sekunde bei ihm sein, aber ich nicht", erklärte sie mit trauriger Stimme.

"Ich wollte dich immer so gerne kennenlernen, aber dann musste ich weg, aber am Ende hatte ich doch die Gelegenheit dafür, auch wenn ich es mir immer ganz anders vorgestellt hatte", lächelte sie.

"Hat er dich bedroht?", fragte ich und bei meiner Frage änderte sich ihr Gesichtsausdruck.

"Ich kann dir keine Fragen beantworten", meinte sie verzweifelt und drehte sich von mir weg.

"Doch. Eine Frage kannst du mir beantworten", sagte ich, worauf sie sich neugierig zu mir wendete.

"Liebst du Jack wirklich?", wollte ich wissen.

"Ja", flüsterte sie, ohne zu zögern.

"Ich sollte jetzt lieber gehen", murmelte sie und stand auf, dabei entfernte sie sich einige Schritte von mir, doch im letzten Moment entschied sie sich dagegen und drehte sich erneut um.

"Hat dir Jack unsere erste Begegnung erzählt?", wollte sie von mir wissen und ich nickte verwirrt.

"An dem Tag als wir deine Krankheit erfuhren, war ich ihr im Krankenhaus begegnet. Du warst schlafen und deshalb bin ich an die frische Luft raus gegangen. Sie saß draußen auf einer Bank und ich habe mich still zu ihr gesetzt, weil ich sie zuerst gar nicht bemerkt hatte. Es vergingen einige Sekunden und plötzlich sprach sie mich von der Seite an", erzählte er und anscheinend war er so vertieft in seinen Erinnerungen, das er nicht anders konnte und ein wenig zum Lachen begann.

"Also wenn sich Jungs meistens neben mich setzen, versuchen sie mich anzumachen. Es freut mich, dass du nicht von dieser Sorte bist", zitierte er sie.

"Das hat sie zu dir gesagt?", fragte ich schmunzelnd nach und er nickte stumm.

"Nach ihren Worten drehte ich mich zu ihr um und ihre Schönheit hat mich wortwörtlich umgehauen. Ihre großen und schokoladenbraunen Augen bohrten sich in meine hinein, dabei lag ein so wunderschönes Lächeln an ihren Lippen, in das sich jeder Junge verlieben könnte. Sie hatte lange und goldbraune Haare, die ihr unglaublich schön in leichten Wellen über die Schulter fielen. Ihre Ausstrahlung wirkte auf mich beruhigend und sie ließ mich plötzlich alles vergessen. Es war ein unbeschreiblicher Moment, den ich nie vergessen könnte", sprach er weiter und dabei schaute er verträumt ins Leere.

Ich erinnerte mich genau an die Zeit, wo mir Jack zum ersten Mal über sie erzählte. An dem Tag war er durchgedreht, doch dann war er wortwörtlich vor meinen Augen zusammengebrochen. Wegen eines Mädchens. Wegen ihr. Wegen Fleur. Als er sie erwähnte, konnte ich es nicht einmal glauben. Es war irgendwie komisch, denn noch nie hatte ich ihn so erlebt. Selbst, als Außenstehende konnte man in diesem Augenblick die Gefühle mit ihm spüren.

Meine Gedanken legte ich auf die Seite und konzentrierte mich wieder auf Fleur, die sich vorsichtig zu mir näherte. An ihren Lippen lag ein trauriges Lächeln und Tränen waren in ihren Augen zu erkennen, die sie versuchte zurückzuhalten.

"Diese Begegnung ist wirklich geschehen", ließ sie mich wissen, wobei ich es zuerst nicht verstand.

"Es war von niemanden geplant", erklärte sie und damit verschwand sie endgültig von hier.

Es war Schicksal.

Der VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt