Kapitel 17

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"Was soll das bedeuten?", fragte ich in die Stille hinein, denn von Liam war nichts zuhören.

Aus diesem Grund wanderte mein Blick zu ihm, dessen Augen wie erstarrt auf den Spiegel gerichtet waren. Die Augenbrauen waren zusammengezogen und seine Haltung war sehr angespannt. Daher legte ich meine Hand an seine Schulter, woraufhin er mich anschaute, aber weiterhin schwieg. Er machte mir damit Angst, denn er zeigte keine genaue Reaktion darauf und das bedeutete nichts gutes.

Wenn er auch noch erfahren würde, dass das nicht die einzige Nachricht war, würde er ausflippen.

Von all dem war dies am verrücktesten, denn jemand war wirklich ins Haus eingebrochen und hatte uns sowas hinterlassen. Diese Person wusste, dass Liam und ich uns hier befanden, aber woher? Wurden wir etwa verfolgt und warum sollte Liam auf mich aufpassen? Ich verstand all das nicht. Diese Nachrichten waren so verwirrend und unglaubwürdig. Sie brachten mich beinahe um den Verstand, jedoch hatte ich keine Nerven dazu, um solche Spiele zu spielen. Das war einfach krank.

"Willst du mir vielleicht etwas sagen, Aria?", ertönte seine eisige Stimme und er wirkte plötzlich einschüchternd, wodurch ich nervös schluckte.

"W-Was meinst du?", war ich verwirrt, da ich ihn gerade wirklich nicht verstand.

"Die Aria, die ich kenne, wäre jetzt durchgedreht, aber du bist noch sehr entspannt", stellte er fest und langsam ließ er mich runter, wobei ich mich an der Wand anlehnte und auf den Boden starrte.

"Ich d-dachte nicht, dass e-es ernst ist", begann ich und irgendwie zitterte ich beim Sprechen.

"Was?", wollte er wissen und ich konnte seinen durchdringenden Blick auf mir spüren, weshalb ich nicht einmal den Kopf hob.

"Weißt du noch diesen einen Anruf, als wir mit Jayden im Café waren?", stellte ich ihm die Frage.

"Ja", antwortete er.

"Ich hatte noch einen bekommen, aber niemand hatte gesprochen, wie bei dem ersten Anruf. Mir war nie in den Sinn gekommen, d-dass sowas daraus kommen könnte. I-Ich...wollte es dir nicht sagen, weil ich wusste, dass du dir Sorgen machen würdest", versuchte ich es ihm zu erklären und traute mich hochzuschauen, dabei begegnete ich seinen blauen Augen, die nun viel dunkler aussahen.

"Erst als ich diese Nachricht bekam, hatte ich ein mulmiges Gefühl an der ganzen Sache", murmelte ich vor mich hin.

"Welche Nachricht?", fragte Liam.

"An dem Tag, als ich erfuhr, dass meine Oma gestorben ist, bekam ich einige Minuten davor eine unbekannte Nachricht", erzählte ich weiter, worauf er ungeduldig und neugierig wartete.

"Mein Beileid", sagte ich.

"Das stand drinnen?", hakte er nach.

Ich nickte stumm und mehr konnte ich nicht mehr sagen. Er war wütend auf mich und er hatte jedes Recht dazu, denn ich hätte nicht anders reagiert, wenn er sowas vor mir versteckt hätte.

Liam ging sich leicht nervös durch die Haare und versuchte ruhiger zu atmen, dass konnte ich genau erkennen. Sein Blick huschte kurz zum Spiegel, doch er drehte den Kopf schnell wieder weg, dabei landeten seine Augen auf mir. Für einige Sekunden betrachtete er mich nachdenklich und ich hatte keine Ahnung, an was er dachte. Ich fühlte mich gerade wie die alte Aria, wenn Liam Wut aufgeladen war und ich nicht wusste, was ich tun sollte.

"Aria wie konntest du all das vor mir verheimlichen?", konnte er es schließlich nicht fassen.

"Es tut mir Leid", entschuldigte ich mich erneut.

"Das ändert nichts!", schrie er aufgebracht und ich zuckte zusammen, als er auf einmal laut wurde.

Er verstummte nun komplett und stützte sich am Waschbecken ab, dabei atmete er tief ein und aus. Anscheinend hatte er bemerkt, dass er mich mit seinem Verhalten erschrocken hatte, denn er versuchte sich zu beruhigen und nicht die Kontrolle zu verlieren. Auch, wenn Liam professionelle Hilfe wegen seinen Aggressionsanfällen bekommen hatte, fiel es ihm trotzdem manchmal schwer die Beherrschung zu behalten.

Natürlich würde er mir niemals wehtun, aber er wollte auch nicht, dass ich ihn so aufgedreht erlebte.

Es gab viele Momente, wo er sich nicht mehr kontrollieren konnte. Am meisten waren diese Anfälle, wenn sein Vater auftauchte, denn er hasste ihn zutiefst. Nie hatte ich vergessen, wie er seine Hand in die Autoscheibe schlug oder wie er seine Fäuste blutig an der Wand aufgeschlagen hatte. Was Liam aber noch mehr zum Durchdrehen brachte, war ich. Wenn es um mich ging, verlor er wortwörtlich den Verstand und das machte mir Angst.

"Liam-", begann ich, doch er unterbrach mich und ließ mich gar nicht erst ausreden.

"Pack du unsere Sachen ein und ich rufe die Polizei an. Sie werden dich bestimmt ausfragen und du wirst ihnen nur alles erzählen. Du musst also keine Angst haben", befahl er monoton und vermied es mir in die Augen zusehen, was mich verletzte.

"Wenn du bei mir bist, habe ich keine Angst", meinte ich daraufhin und wollte nach seiner Hand greifen, doch er zog sie weg.

"Du bist wütend auf mich", stellte ich fest und er blieb still, denn ich hatte Recht.

"Willst du mich so bestrafen, indem du mich anschweigst?", wollte ich wissen, aber er sagte wieder nichts.

Ich schnaubte und fühlte mich gerade unglaublich müde. Mit ihm zu reden brachte nichts, denn mir war klar geworden, dass er heute nicht mehr ein Wort mit mir wechseln würde. Er hatte Recht und ich war selber auf mich sauer, aber musste er so sein? Es tat weh, wenn er seine Augen vor mir versteckte, obwohl ich mich genau in diesem blauen Meer geborgen fühlte oder wenn ich ihn nicht berühren durfte, obwohl ich es gerade mehr als alles andere brauchte.

Bevor ich das Badezimmer verließ, nahm ich mir aus dem Schrank den Verbandskasten raus, da ich meinen Fuß noch behandeln musste.

Der liebe Herr, der sich noch immer im Raum befand, schaute mir dabei zu und ich verstand nicht, warum er nicht einfach ging. Aus diesem Grund beachtete ich ihn nicht weiter und tupfte vorsichtig mit Desinfektionsmittel die blutige Stelle weg, wobei ich das Gesicht leicht verzog. Außerdem nervten mich meine Haare, da ich mich leicht beugen musste und diese mir somit vor die Augen fielen.

Wenige Sekunden später wurde ich an der Hüfte gepackt und neben den Waschbecken gesetzt.

Verwirrt blickte ich zu meinem Freund, der mich weiterhin ignorierte und nun selber anfing meinen Fuß zu desinfizieren. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen und still beobachtete ich ihn dabei, wie er die blutige Watte auf die Seite legte, als er fertig war. Anschließend suchte er im Kasten nach Pflaster, dabei stand er unbewusst zwischen meinen Beinen und war mir somit näher.

"Es tut mir Leid", wiederholte ich mich, jedoch reagierte er überhaupt nicht darauf.

Vielleicht war es dumm, dass ich mich die ganze Zeit entschuldigte, aber ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte. Das alles tat mir wirklich Leid und ich wollte ihn nie anlügen oder etwas vor ihm verheimlichen, aber wie er sich gerade benahm, ging auch nicht. Es machte mich wahnsinnig, denn ich war ein ungeduldiger Mensch und ich ertrug es nicht, wenn er distanziert mir gegenüber war.

"Wie lange willst du mich denn ignorieren?", fragte ich und erwartete eine Antwort, die ich nicht bekam.

"Liam", forderte ich ihn auf.

"Du redest zu viel", meinte er schließlich, was mir ein unkontrolliertes Schmunzeln entlockte.

"Und du redest zu wenig", flüsterte ich und kam seinem Gesicht ein Stück näher, wodurch er mich wieder anschaute.

"Hör auf damit", warnte er mich.

"Womit?", tat ich auf ahnungslos.

"Sogar jetzt schaffst du es mich verrückt zu machen. Mach das nicht", sagte er kalt.

Nach diesen Worten sprach ich nicht mehr, wobei er den Pflaster gefunden hatte und es mir an die verletzte Stelle klebte. Damit wollte er den Raum verlassen, aber ich handelte schneller, indem ich mich vorsichtig auf die Füße stellte und meine Arme von hinten um seinen Bauch schlang.

Ich wollte nur, dass er sich beruhigte und ich merkte, wie er sich langsam entspannte.

Meine Arme waren wie ein Äffchen um ihn geklammert und ich hinterließ einen kleinen Kuss an seinem Rücken. Am Ende hielt er es schließlich nicht mehr weiter aus und drehte sich um, sodass er mich in eine Umarmung schließen konnte.

"Du bist unmöglich", murmelte er.

"Ich weiß", lächelte ich und umarmte ihn fester.

Der VerstandOù les histoires vivent. Découvrez maintenant