Kapitel 43

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"Ich habe alles geregelt. Sie dürfen Mr Evans sehen", berichtete mir Mrs Lee mit einem Lächeln.

"Kann ich jetzt schon zu ihm rein?", fragte ich.

"Natürlich, ein Beamter wird Sie gleich zu ihm bringen", erklärte sie mir und ich nickte.

Mrs Lee war die Anwältin von Jack. Liam und Levin meinten, dass sie sehr gut in ihrem Job wäre. Ich wusste nicht, ob das stimmte, aber ich glaubte es, denn eine andere Wahl hatte ich nicht. Ich wollte nur, dass sie es schaffte meinen Cousin da rauszuholen, denn jede Sekunde, die vorbei verstrich, nahm mir Stück für Stück jegliche Hoffnung weg. Es waren achtzehn Stunden vergangen, seitdem er sich dort drinnen befand, aber es fühlten sich wie Jahre an.

Im Moment saß ich mit der Anwältin bei der Polizei, denn sie sorgte dafür, dass ich mit Jack sprechen konnte. Obwohl alles erledigt war, mussten ich noch warten und dies machte mich wiederum ungeduldig.

"Ms Evans", sagte jemand meinen Namen.

Sofort blickte ich hoch und stand auf, als ich einen Polizeibeamten vor mir sah. Mrs Lee tat es mir gleich und wir folgten dem jungen Mann still hinterher.

Hinter einer Tür blieben wir stehen und er sperrte diese auf. Als er sie langsam öffnete, versuchte ich direkt hineinzusehen, jedoch stand er mir im Weg und ich konnte somit nichts erkennen. Er ging schließlich auf die Seite und machte mir genügend Platz, sodass ich endlich den Raum betreten durfte und ihn sah. Jack. Er saß auf einem Stuhl und seine Hände waren an den Tisch mit Handschellen gekettet.

"Fünfzehn Minuten und nicht länger", bestimmte der Mann mit seiner tiefen Stimme und verließ den Raum, um uns alleine zu lassen.

"Cousinchen", lächelte er mich schwach an.

"Das ich dich jemals hier besuchen komme, hätte ich nicht gedacht, Jackilein", erwiderte ich grinsend, aber konnte trotzdem nicht meine Tränen zurückhalten.

"Ich bin ja nicht im Gefängnis", scherzte er.

"Noch nicht", murmelte ich und setzte mich vor ihn.

"Ich war es nicht", sagte er plötzlich.

"Ich habe diesen Mann nicht getötet", ergänzte er.

"Ich weiß", versicherte ich ihm.

"Wir alle wissen es", gab ich ihm zu wissen.

"Wie kann es aber sein, dass deine Fingerabdrücke auf diesem Messer sind? I-Ich...verstehe das nicht", teilte ich ihm meine Gedanken offen mit, die mich innerlich zerfraßen.

"Ich weiß es nicht", flüsterte er nachdenklich.

Sein Kopf hing nach unten und seine Augen waren müde auf den Tisch gerichtet. Ihm ging es hier nicht gut und das konnte man ihm ansehen. Vielleicht verspürte er sogar Angst, sowie ich, aber er würde es niemals zugeben. Warum auch? Seitdem wir klein waren, zeigte er sich immer als der Stärkere von uns. Er sah es als eine große und wichtige Aufgabe auf mich aufzupassen. Wir waren aber älter geworden und das bedeutete, dass ich ebenso auf ihn Acht gab, denn er war mein Bruder, meine Familie.

Selbst, wenn er gerade verzweifelt vor mir saß und nicht mehr weiter wusste, war er trotzdem stark in meinen Augen und das würde er immer bleiben.

"Wir haben Tante Amber weggeschickt", erzählte ich ihm und unterbrach damit die kleine Stille.

"Wohin?", wollte er wissen.

"Nach Phoenix", antwortete ich.

"Zu Isabelle?", hakte er nach und ich nickte.

"Warum habt ihr es nicht gesagt?", fragte er.

"Sie wäre durchgedreht. S-Sie...wir wollten ihr das nicht antun", erklärte ich und er schaute zu mir.

"Wenn sie zurück ist, wird sie es so oder so erfahren", meinte er und ich schüttelte sofort den Kopf.

"Nein, weil wir dich bis dahin rausholen werden", war ich mir sicher dabei und daraufhin schwieg er.

"Ist Fleur zu euch gekommen?", interessierte es ihn auf einmal und ich brauchte einige Sekunden, um ihm eine Antwort zu geben, denn es kam unerwartet.

"Nein", blieb ich ehrlich.

"Sie ist abgehauen, nicht wahr?", stellte er fest.

"W-Woher-", begann ich, doch er unterbrach mich.

"Ich weiß alles. Sie hat es mir erzählt", gestand er.

"Es tut mir leid", murmelte ich.

"Mir auch", sagte er leise.

Für einen kleinen Augenblick schloss er seine schönen braunen Augen und wirkte damit noch erschöpfter, als vorher. Die dunklen Augenringe bestätigten seine Müdigkeit und ließen ihn auf irgendeiner Weise sehr krank aussehen. Ich hatte keinerlei Ahnung, was ich tun sollte, daher beobachtete ich ihn nur traurig und hilflos, denn ich fühlte mich so nutzlos. Als er seinen Blick erneut auf mich richtete, bildete sich ein kleines Lächeln an seinen Lippen und ich erwiderte es schwach zurück.

Die Stille übernahm uns.

Stumm lehnte er sich mit seinem Köper ein wenig nach vorne. Seine Hände machte er auf, wobei ich meine zu ihm ausstreckte, sodass er sie fest umschloss, denn er bemerkte meine Traurigkeit.

"Aria", begann er und ich blickte zu ihm.

"Ich werde hier wahrscheinlich nicht rauskommen und-", bevor er fortfuhr, schnitt ich ihm fassungslos das Wort mitten in seinem Satz ab.

"Was redest du da?", regte ich mich auf und zog wütend meine Hände von ihm weg.

"Aria hör mir bitte zu", verlangte er.

"Nein!", schrie ich.

"Du musst-", fing er erneut an, aber ich ließ ihn nicht reden und signalisierte es ihm mit meiner Hand.

"Vergiss es", warnte ich ihn.

"Aria beruhige dich", meinte er.

"Ich werde mich nicht beruhigen, verdammt nochmal! Ich will nicht mehr ruhig sein!", war ich aufgebracht.

"I-Ich...Ich kann nicht mehr", gab ich zu.

Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber schloss ihn direkt wieder, als sich im selben Moment die Tür öffnete und der Beamter sich zeigte.

"Die Zeit ist um", sagte er.

Schweigend stand ich vom Stuhl auf und spürte den Blick meines Cousin deutlich an meinem Rücken, aber ich ignorierte es, denn ich war wütend auf ihn. Ich konnte und wollte nicht glauben, dass er einfach aufgab. Er hatte keine Hoffnung mehr, aber die gab es. Jack war kein Mörder, er war unschuldig und ich würde alles dafür tun, um dies zu beweisen.

Bevor ich den Raum endgültig verließ, entschied ich mich dagegen und drehte mich ein letztes Mal zu ihm um und wie erwartet, schaute er mich bereits an.

"Ich werde dich hier rausholen", versprach ich.

Der VerstandWhere stories live. Discover now