Kapitel 59

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Zusammen mit meiner Schwester saß ich im Garten und wir tranken nebenbei still unseren Tee. Der Sommer verging langsam und der Herbst näherte sich auf uns zu. Die letzten Sonnenstrahlen spürten wir noch auf unserer Haut, doch wir konnten es nicht in Ruhe genießen. Es gelang uns nicht. Mein ganzes Leben war auf den Kopf gestellt und ich wusste nicht, wie ich es wieder geradebiegen musste. Alles fühlte sich, wie ein großes Rätsel an, was ich lösen musste, um es zu beenden. Für mich erschien dieser Gedanke unmöglich, denn nichts wurde besser. Ich kam nicht weiter und mit jedem Schritt, den ich nach vorne wagte, wurde ich mit aller Kraft wieder zurückgeschleudert. Damit endete ich erneut dort, wo ich am Anfang stand und alles wiederholte sich. Weiter schaffte ich es nicht.

Meine Gedanken schob ich beiseite und blickte zu Katy rüber, die stumm zu den Black's starrte und ihre Tasse fest mit ihrer Hand umschlungen hatte.

Manchmal hatte ich das starke Bedürfnis mich bei ihr für alles zu entschuldigen, jedoch würde sie mich dafür anschreien. Ich konnte aber nicht anders, denn es tat mir unfassbar Leid, dass sie das ertrug, denn sie musste schon so viel durchmachen. Sie war aus ihrer eigenen Hölle entkommen und jetzt sprang sie in meine hinein. Freiwillig. Warum? Weil sie meine Schwester war und dasselbe hätte ich für sie getan, doch trotzdem fühlte ich mich schlecht. Wenn ich es ihr erzählen würde, wäre sie wütend auf mich, dass ich so dachte. Darum erwähnte ich es nicht und behielt meine Schuldgefühle in mir fest.

"Worüber denkst du nach?", unterbrach ich die Stille zwischen uns, worauf sie auf ihre Tasse runter sah.

"An früher", antwortete sie.

"Früher?", hakte ich neugierig nach.

"Diese Zeiten waren noch schön", erklärte sie und ein kleines Lächeln bildete sich an ihren Lippen.

"Wir werden diese Zeit niemals zurückbekommen", fuhr sie fort und schaute mir direkt in die Augen.

"Sie bleiben aber für immer in unserer Erinnerung", versicherte ich ihr und sie nickte zustimmend zu.

Katy drehte sich nach vorne und legte den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu schauen. Ich tat es ihr gleich und schloss dabei meine Augenlieder. Für einen Augenblick wollte ich an nichts denken, doch es gelang mir nicht. Eine Herausforderung, die ich nicht schaffte zu erfüllen. Darum richtete ich mich auf und nahm einen Schluck aus der Tasse.

"Ich habe mit Tante Amber telefoniert", ertönte ihre Stimme erneut, weswegen ich zu ihr rüber blickte.

"Sie kommt in fünf Tagen zurück", informierte sie mich und das ließ meine Mundwinkel runter sinken.

"Jack ist noch im Gefängnis", sagte ich.

"Wir können es nicht länger vor ihr verheimlichen", meinte meine Schwester, womit sie Recht hatte.

"Vielleicht schaffen wir ihn ja noch irgendwie dort rauszuholen", hoffte ich und sie schüttelte den Kopf.

"Es gibt nichts, was wir tun können und das weißt du genauso gut, wie ich", erinnerte mich Katy daran.

"Er sitzt dort fest", flüsterte sie.

"Und wir hier", murmelte ich gedankenverloren.

"Ich will das alles nicht mehr", gestand ich und fühlte mich gerade verzweifelt und am Ende.

"Ich habe Angst, Katy", beichtete ich ihr.

"Ich habe s-so sehr Angst", ergänzte ich weiter, wobei sie kurz still blieb und nachdachte.

"Weißt du noch, als du früher vor dem Gewitter Angst hattest, weil es so laut war?", fragte sie.

"Ja", antwortete ich etwas verwirrt.

"Wir hatten dann immer zusammen geschlafen und Dad hatte versucht dich nebenbei zu beruhigen. Er sagte, dass es vergehen wird", erzählte sie mir auf einer ruhigen Art, dabei lächelte sie mich traurig an.

"Vielleicht hast du nicht mehr vor dem Gewitter Angst, aber Dad hat Recht: Es wird vergehen. All das wird irgendwann vergehen, Aria", versprach sie mir ehrlich und ihr lief eine Träne über die Wange.

"Ich hab dich lieb", lächelte ich leicht.

"Ich dich auch", erwiderte sie.

"Wo bleiben eigentlich die Jungs?", wechselte sie das Thema und sah auf die Uhrzeit an ihrem Handy.

"Sie kommen etwas später, weil sie Rose abholen wollen, um mit ihr etwas Zeit zu verbringen. Sie war auf ihre Brüder etwas sauer, weil sie nichts mehr mit ihr unternahmen", erklärte ich amüsiert darüber.

"Ich konnte die kleine Prinzessin noch nicht kennenlernen", schmollte meine Schwester.

"Sie ist Zucker", grinste ich und ehrlich gesagt hatte ich die kleine Black Schwester ebenso vermisst.

Im selben Moment erhielt Katy eine Nachricht, die sie sich durchlas und dadurch schlechte Laune bekam. Als sie zu mir blickte, hob ich fraglich die Augenbrauen in die Höhe. Sie stand auf und wirkte sichtlich genervt, was mich neugieriger machte.

"Was ist los?", wollte ich wissen.

"Sie rufen mich von der Arbeit. Ich muss also kurz weg", erklärte sie eilig und ich nickte verstehend.

"Ruf Hope an und bleib nicht ganz allein im Haus. Wer weiß, wann Liam und Levin wiederkommen", verlangte sie von mir streng, da sie Angst hatte.

"Mach ich, geh du", meinte ich.

"Okay, bis später", verabschiedete sie sich.

Sie nahm sich ihre Schlüssel und eine Jacke von drinnen. Somit stieg sie in Tante Amber's Auto ein und fuhr los. Ich blieb nicht länger draußen, da es etwas kühler wurde. Daher schnappte ich mir die Tassen und verschwand ins Innere. Das restliche Geschirr räumte ich auf, sowie einige andere Unordnungen im Wohnzimmer. Als ich mit allem fertig war, machte ich mich auf dem Weg in mein Zimmer, doch davor blieb ich bei Jack's stehen.

Ich vermisste ihn.

Er fehlte und das merkte ich deutlich. Allein wie er immer in mein Schlafzimmer rein stürmte, weil ihm langweilig war, vermisste ich. Alles. Der Lockenkopf fehlte mir so unglaublich sehr. Ich wünschte, dass er jetzt hier wäre. Mein einziger Wunsch gerade.

Hoffnungslos über diesen Gedanken wendete ich mich kopfschüttelnd von der Tür ab und näherte mich auf mein Zimmer zu. Mein Handy nahm ich aus der Hosentasche und wollte der Blondine eine Nachricht schreiben, damit sie zu mir kam. Als ich es abschicken wollte, schaltete sich mein Handy aus, da der Akku leer ging. Genervt verdrehte ich die Augen und öffnete die Tür, um ins Schlafzimmer zu gelangen. Schnell wollte ich es ans Ladekabel anschließen, der noch auf dem Bett liegen musste, jedoch entschied ich mich dagegen und ließ das Handy erschrocken aus meiner Hand fallen.

Ich blieb ruckartig an Ort und Stelle stehen und riss die Augen auf, als ich nicht meinen Ladekabel sah, sondern eine Person auf meinem Bett sitzen fand.

"Hallo, Schönheit", lächelte er mich.

Der VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt