Kapitel 40

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Regungslos blieb ich an derselben Stelle stehen und starrte die blutverschmierten Hände meines Cousins mit aufgerissenen Augen an. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, wodurch ich kein Wort über meine Lippen brachte. Außerdem war mein Kopf plötzlich, wie leergefegt und mein Mund öffnete sich leicht vor Schock. Mein Körper fühlte sich aus einem unerklärlichen Grund so schwer an, sodass ich automatisch meinen Griff um die Türklinke verstärkte, womit ich einen Halt hatte, um nicht umzufallen.

Die gedämpften Stimmen, die vom inneren des Hauses kamen, blendete ich gerade vollkommen aus und konnte mich auf nichts anderes konzentrieren, außer auf dieses Bild vor mir.

"Aria", flüsterte Jack.

Ich reagierte überhaupt nicht darauf und schloss stattdessen meine Augen, um seine Hände nicht mehr ansehen zu müssen, dabei spürte ich wie ich die Luft anhielt, sodass ich versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, aber vergeblich. Ängstlich schüttelte ich langsam den Kopf darüber und war viel zu sehr von dieser Situation überfordert, denn es war absurd. Weiterhin nahm ich aber wahr, wie er mir irgendwas versuchte zu sagen, jedoch hörte ich nicht hin, bis mich Jack an beiden Oberarmen packte und mich von meiner Angst wachrüttelte.

Erschrocken blickte ich ihm schließlich in die braunen Augen, die in dem schwachen Licht, das vom Flur aus schien, sie deutlich dunkler wirken ließ. Etwas komisches blitzte mir in seinem Blick entgegen, was ich aber nicht genau deuten konnte und mich auch nicht länger davon ablenken ließ, denn er redete erneut auf mich ein.

"Aria", sprach er erneut meinen Namen aus, dabei sah er mir eindringlich in die Augen.

"Du musst einen Krankenwagen rufen", befahl er mir.

"Aria verstehst du mich?", fragte er mit einer gewissen Ruhe in seiner Stimme und ich nickte beinahe unmerklich, da ich es noch immer nicht schaffte etwas zu sagen.

"Sofort", forderte er mich auf.

Nach dieser Aufforderung ließ er mich endgültig los und näherte sich auf die fremde Person zu, die bewegungslos auf dem Boden lag und höchstwahrscheinlich bewusstlos war. Länger konnte ich nicht hinsehen, denn ich drehte mich um und ging mit schnellen Schritten zum Wohnzimmer zurück. In voller Hektik suchte ich nach meinem Handy, was ich leider nirgendwo ausfindig machen konnte. Leicht panisch strich ich mir einige nervige Haare aus dem Gesicht, die mich störten und schaute überall nach dem blöden Gerät, bis mich auf einmal jemand an meinem Arm festhielt, sodass ich von meiner Suche abgehalten wurde.

"Was ist los?", wollte Liam verwirrt wissen und ich bemerkte die Blicke von den anderen ebenso auf mir.

"W-Wo ist mein Handy? I-Ich...mein Handy...ich brauche mein H-Handy", murmelte ich nur vor mich hin.

"Wer war an der Tür?", stellte er eine weitere Frage, anstatt mir zu sagen, wo mein Handy wohl sein könnte.

"Ich b-brauche mein...Handy", wiederholte ich mich.

Ich versuchte mich von seiner Hand zu befreien, die um meinen Arm war, aber er ließ nicht locker und verstärkte seinen Griff, ohne mir dabei wehzutun. Daher blickte ich ihm verzweifelt in die Augen und wollte, dass er mich endlich losließ, aber er gab natürlich nicht nach, bevor ich ihm nicht erklärte, was hier eigentlich passierte.

"Aria!", rief jetzt der Lockenkopf nach mir.

"Ist das Jack?", fragte sich Hope.

Mein Blick wanderte zu meiner besten Freundin, die mich leicht besorgt betrachtete, doch ich ignorierte es einfach als ich nämlich ihr Handy in ihrer Hand erkannte.

"Hope ruf einen Krankenwagen", wies ich sie an.

"Warum?", war sie nun komplett verwirrt.

"Stell keine Fragen! Ruf einen Krankenwagen!", schrie ich schon fast die Blondine an, die am Ende meine Anweisung befolgte und ich kurz erleichtert ausatmete.

"Aria, was ist verdammt nochmal los hier?!", regte sich Liam neben mir auf und ich sammelte mich.

"Komm mit", sagte ich schließlich und führte ihn an der Hand zum Flur, wo ich ihn an der Haustür wieder losließ.

"Ach du scheiße", entkam es von Jayden, da die anderen uns gefolgt waren und das Geschehen mit ansahen.

"Wer ist das?", wollte Levin wissen.

"Ich weiß es nicht. Er lag schon hier vor der Haustür, als ich gekommen bin", erklärte mein Cousin angespannt.

"Hat er eine Wunde?", erkundigte sich Hunter und ging auf ihn zu, da er anscheinend das Blut bemerkte.

"Genau unter seinem Herz ein Messerstich", antwortete Jack und ich bekam eine unangenehme Gänsehaut.

"Er murmelt ständig irgendwas vor sich hin, aber ich verstehe nichts", fügte er noch hinzu.

Je länger ich diesen Fremden auf dem Boden anschaute, desto mehr tauchten Erinnerungen in meinem Gedächtnis auf. Seine Kleidung war komplett schwarz, was jetzt grundsätzlich nichts bedeutete, jedoch blieb meine Aufmerksamkeit an der Kapuze hängen, die sein Gesicht halb verdeckte. Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus und die Nervosität machte sich deutlich bemerkbar.

Ich näherte mich vorsichtig auf den Mann zu und blieb genau neben ihm stehen. Ohne darüber nachzudenken, kniete ich mich hin und zog seine Kapuze weg.

Erschrocken weiteten sich meine Augen und sprachlos starrte ich ihn an, denn ich kannte diesen Mann.

"E-Er...Er ist e-es", flüsterte ich.

"Wer ist es?", fragte Jack neben mir verwundert.

"Der Mann, der mich verfolgte", erklärte ich fassungslos darüber und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.

"Bist du dir sicher?", hakte er nach.

"Er ist es wirklich", bestätigte Levin für mich.

"Ich habe ihn ebenfalls erkannt. Es ist nämlich der Mann, der mir mir auch das Leben gerettet hat", stellte er fest.

"Er macht seine Augen auf", sagte Hope.

Alle Blicke richteten sich auf diesen mysteriösen Mann, der tatsächlich mit viel Anstrengung versuchte seine Augen offen zu halten, aber er scheiterte immer wieder daran, bis er mich bemerkte. Er machte den Mund auf, als ob er etwas sagen möchte, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Es bestand wirklich die Gefahr darin, das er es vielleicht nicht mehr überlebte, da noch immer kein Krankenwagen hier war.

Am Ende konnte ich ganz leise irgendwas von ihm reden hören, weswegen ich mich ein wenig runterbeugte, um ihn besser zu verstehen. Er atmete schwer und strengte sich an.

"A-Aria...Ev-vans", begann er.

"S-S-Sie...sin-nd all-le in Gefahr", redete er schwach weiter, wobei ich bei seinen Worten schwer schluckte.

"E-Er...Er wi-ill...sie", war das letzte, was er noch sagte, bevor sich seine Augen endgültig schlossen.

Er war tot.

Der VerstandWhere stories live. Discover now