Kapitel 46

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"Ich wünschte, dass du jetzt hier wärst", murmelte ich traurig und hielt meine Tränen stark zurück.

"Mama ist weg", sagte ich.

"Papa ist weg", murmelte ich weiter, dabei fühlte sich mein Herz so schwer in meiner Brust an.

"D-Du bist auch weg", flüsterte ich und schluchzte auf, denn ich konnte es nicht länger unterdrücken.

Ich befand mich im Zimmer meiner Oma und saß allein auf ihrem großen Bett. Es lag noch alles an seinem Platz. Keiner von uns hatte es nämlich übers Herz gebracht diesen Raum zu leeren. Zum Beispiel ihre weiße Kommode, die wir nie anfassen durften. Ich hatte mich immer gefragt, was sich wohl darin verbarg, aber sie ließ mich nicht einmal in die Nähe davon. Jetzt, wo sie weg war, konnte ich nachsehen, jedoch tat ich es trotzdem nicht. Der Kleiderschrank von ihr stand offen, denn ich war so frech und hatte mir etwas rausgesucht.

In meinen Händen hielt ich ihren Lieblingspullover und weinte leise vor mich hin, weil ich sie vermisste.

Ich blickte zur Zimmerdecke hoch, dabei legte sich ein kleines Lächeln an meine Lippen und meine Augen schlossen sich automatisch. Ihr Gesicht tauchte vor mir auf, wobei ich noch mehr Tränen verlor und verzweifelt meine Finger in das Oberteil krallte. Es tat so unglaublich weh. So sehr.

"Wer ist der Nächste?", fragte ich.

"Jack?", wollte ich wissen.

"Katy?", hakte ich weiter nach.

"Oder doch Tante Amber?", dachte ich laut.

"I-Ich habe solche Angst Oma", gestand ich ihr, obwohl sie nicht hier war und drückte das Oberteil fest an meine Brust, als ob ich sie umarmen würde.

"Es wird alles gut", hörte ich plötzlich meine Schwester, weswegen ich mich umdrehte.

Sie stand angelehnt am Türrahmen und hatte mich anscheinend leise beobachtet. Ihre nassen Wangen ließen sie verraten, dass sie ebenfalls weinen musste. Zu ihrer Aussage von vorhin erwiderte ich nichts, denn ich war mir nicht mehr sicher, ob alles gut werden würde. Daran zu glauben, war schwer, denn es kam einem unvorstellbar vor. Nachdem, was alles geschah und noch passieren würde, war der Gedanke, wie ein schöner Traum. Es war die Hoffnung in mir, die ich langsam verlor.

Ich zuckte leicht zusammen, als sich Katy neben mich setzte. Die Rothaarige sprach nicht und schaute mich nur von der Seite an, bis sie mich in ihre Arme zog. Ihr entwich ein Schluchzen, wobei ich ihr beruhigend über den Rücken strich.

Nebenbei spürte ich Blicke auf uns, wobei ich über ihre Schulter hochsah und an der Tür stehen blieb.

Liam und Levin.

Beide standen an der Zimmertür und betrachteten uns schweigend. Levin sein Gesichtsausdruck wirkte besorgt und dabei sah er meine Schwester an. Es machte ihn fertig sie auf dieser Weise zusehen, denn er konnte nichts tun. Sein Augen schweiften für einen Moment in meine Richtung und ich verstand seine stille Frage. Daher löste ich mich vorsichtig von ihr und stand vom Bett auf, weshalb sie mich verwirrt anschaute. Bevor sie nachfragen konnte, war auch schon ihr Freund an ihrer Seite.

Das Oberteil meiner Oma verstaute ich wieder in ihren Kleiderschrank und ließ die beiden allein.

Zusammen mit Liam gingen wir in mein Zimmer hoch, denn ich fühlte mich müde und wollte mich hinlegen. Mein Handeln setzte ich direkt fort und er tat es mir gleich. Wir lagen nebeneinander und keiner redete. Wir beide mussten nicht sprechen, um uns zu verstehen, denn seine Stille reichte mir aus und ich wusste, was er mir sagte oder fühlte.

Einige Minuten später legte Liam seine Hand auf meine und verschränkte unsere Finger ineinander.

"Ich fühle mich wie eine zwölfjährige Teenagerin, die zum ersten Mal die Hand eines Jungen hält", erzählte ich ihm und musste darüber schmunzeln.

Nach meinem Satz ließ er plötzlich meine Hand los und schlang seine Arme, um meinen Bauch, sodass er mich an seine Brust zog. Mit seiner linken Hand Strich er mir vorsichtig die Haare zurück und wenige Sekunden danach streifte sein warmer Atem meinen Hals. Seine Nähe brachte mein Herz zum explodieren und ich schaffte es nicht mich zu bewegen. Ich war wortörtlich, wie versteinert.

Liam hinterließ einen Kuss an meiner empfindlichen Stelle und das gab mir den Rest.

Seine Hand wanderte ihn quälender Art meinen Körper runter und stoppte an meiner Taille. Seine Hand verschwand unter meinem Oberteil und als seine kalten Finger mit meiner Haut zur Berührung kamen, bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut, die er bemerkte. Ich spürte nämlich, wie er gegen mein Hals lächelte. Er verteilte erneut kleine Küsse darauf, womit er mich um den Verstand brachte und mir das Atmen schwer fiel.

"Fühlst du dich noch immer, wie eine Zwölfjährige?", wollte er von mir wissen und ich grinste.

"Ein bisschen", log ich leicht amüsiert.

Daraufhin löste sich Liam von mir und setzte sich aufrecht hin, um mich auf sein Schoß zu setzen. Er strich meine Haare aus dem Gesicht, aber konnte sich nicht davon abhalten eine Locke, um seinen Finger zu wickeln. Seine Mundwinkeln zuckten ein wenig hoch und ich konnte nicht aufhören ihn still zu beobachten. So verträumt schaute er dabei aus und das brachte mich unbewusst zum Lächeln.

"Du bist so unglaublich schön", flüsterte er.

"Deine roten Locken", begann er.

"Deine Augen", sagte er und schaute mich an.

"Deine süße Nase", lächelte er gedankenverloren.

"Deine roten Wangen", zählte er weiter auf und damit wurden sie vermutlich rötlicher als vorher.

"Deine Lippen", murmelte er und beugte sich zu mir vor, um sie mit seinen zu berühren.

"Alles", hauchte er und küsste mich liebevoll.

"Du bist unglaublich", gestand ich wegen seinen Worten, als wir uns voneinander lösten.

"Ich weiß", grinste er wissend, worauf ich ihm spielerisch auf die Brust schlug und dieser lachte.

Im selben Augenblick begann mein Handy zu klingeln. Ich schnaubte genervt, da es unpassend kam. Trotzdem schaffte ich es mich aus Liam seinem Griff zu befreien, der mich nicht loslassen wollte. Ich ging auf mein Nachttisch zu und schnappte mir mein Handy, nur um anschließend sehen zu müssen, dass eine unbekannte Nummer war, die mich anrief. Nach langer Zeit ein Anruf.

"Wer ist es?", fragte er.

"U-Unbekannt", antwortete ich nervös.

Liam stand nun ebenfalls auf und stellte sich neben mich. Ich bemerkte direkt seine Anspannung, aber sagte nichts dazu. Er sprach auch nicht und zog mir das Handy aus der Hand. Mein Freund signalisierte mir leise zu sein, dabei nahm er den Anruf entgegen und stellte auf Lautsprecher um.

Zuerst war nichts zu hören, bis Musik erklang.

Eine Melodie, ein Klavierspiel.

Der VerstandWhere stories live. Discover now