Epilog

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Vor einem großen Spiegel stand ich und betrachtete mich schweigend. Meine Finger hatte ich ineinander geflochten und rührte mich nicht von der Stelle. Die bernsteinfarbenen Augen wirkten leer und strahlten keinen Glanz aus. Rosa Lippen waren eine gerade Linie und schafften es nicht in die Höhe zu steigen, denn dafür fehlte jegliche Art von Freude und Glück.

Nicht einmal etwas vorzuspielen, schaffte ich, denn all meine Emotionen waren verschwunden. Alles in mir war einfach weg, sowie ich selbst. Von der alten Aria war nichts mehr geblieben. Meine eigene Familie erkannte mich nicht, doch sie wussten nicht, dass es mir genauso ging. Ich verspürte Angst vor mir selbst. Eine unbeschreibliche Angst entflammte in mir auf und verbrannte mich zu Asche. Mir war es bewusst, dass ich atmete und mich noch unter den Menschen befand, aber ich fühlte mich auf keiner Weise lebendig. Als ob man mich lebend begraben hätte. So erlitt ich zumindest diesen tiefen Schmerz.

Ich versuchte meine Gedanken zu verdrängen, da es nicht der Zeitpunkt dafür war. Jetzt musste ich all die Kraft sammeln, die in mir noch steckte, denn ich brauchte es. Ansonsten würde ich es heute niemals überleben und damit hätte ich alles zerstört. Daher richtete ich meine Augen auf mein Spiegelbild und musterte mich selbst. Im Augenblick schaute ich wunderschön aus, aber ich fühlte mich unfassbar unwohl in meiner eigenen Haut. Am liebsten hätte ich die Vase, die auf der großen Kommode stand in die Hand genommen und mit voller Wucht gegen den Spiegel geworfen. Das tat ich jedoch nicht, denn ich beherrschte mich. Es war nämlich nur ein weißes Kleid, was ich trug oder besser gesagt ein Hochzeitskleid. Warum sollte man bei sowas den Verstand verlieren? Alles war perfekt und normal.

 Warum sollte man bei sowas den Verstand verlieren? Alles war perfekt und normal

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Ich senkte den Blick, da der Anblick meines eigenen Spiegelbildes wehtat. In der selben Zeit klopfte es an meiner Zimmertür, weshalb ich mich sammelte und auf das Wesentliche fokussierte. Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Tür und meine Tante kam herein. Ein Lächeln legte sich an ihre Lippen, als sie mich in dem Kleid zum Sehen bekam. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und blickte in meine Augen. Die letzten Schritte kam sie auf mich zu und fasste nach meinen Händen. Meine Mundwinkel bemühte ich in der Höhe zu halten, obwohl es so sehr schwer war.

"So unglaublich schön", flüsterte sie.

Zu ihren Worten wusste ich nicht, was ich erwidern sollte, weshalb ich schwieg. Heute war nämlich ein Tag an dem ich es nicht schaffte zu sprechen und daher zwang ich mich zu einem Lächeln. Vielleicht würde das meine Freude zeigen und vielleicht war ich nicht gezwungen etwas erklären zu müssen.

"Aria", begann sie.

Meine Aufmerksamkeit richtete ich auf sie, worauf Tante Amber mich vorsichtig aufs Bett zog, sodass wir uns setzen konnten. Noch immer ließ sie meine Hände nicht los und sie lächelte gar nicht mehr.

"Bist du dir sicher?", fragte sie plötzlich, dabei ließ sie mich keinen einzigen Moment aus den Augen.

"Willst du ihn wirklich heiraten?", hakte sie nach.

"Ja", antwortete ich.

Meine Tante wollte weiter reden, doch als jemand die Tür aufmachte, wurde sie unterbrochen. Hope. Die Blondine informierte uns darüber, dass wir los mussten, da die Zeit gekommen war. Aus diesem Grund stand ich auf und verließ mein Zimmer. Zusammen stiegen wir in Jack's Auto und fuhren zur Kirche. Derweil herrschte eine unangenehme Stimmung, denn alle schwiegen. Mein Cousin war lediglich auf die Straße konzentriert und ignorierte mich, sowie meine Schwester. Tante Amber sagte nichts mehr und Hope hatte es aufgegeben mit mir zu diskutieren. Sie waren auf mich wütend, aber trotzdem ließ mich meine Familie heute nicht allein.

Einige Minuten später verließen diese Gedanken meinen Kopf, denn wir waren da. Wir stiegen alle aus und betraten das Innere, wobei eine kleine Aufregung in mir auftauchte. Nicht wegen Freude, sondern durch die Angst, die mich jetzt einnahm.

Sie waren alle rein gegangen und hatten ihren Platz eingenommen. Ich stand ganz allein vor der Tür und traute mich nicht herein. Meine Gefühle vermischten sich zusammen, aber als meine Augen an einer bestimmten Person hängen blieben, verschwanden sie. Am Altar wartete er auf mich. Der Mensch, der mein Leben zerstörte und in wenigen Minuten mein Ehemann werden würde. Nichts, außer Hass war in mir noch drinnen und ich schwor mir selbst, dass ich seine Hölle werden würde. Ich war sein Ende.

Ace.

"Wollen wir?", fragte auf einmal jemand, wodurch ich zusammenzuckte und verwirrt neben mich sah.

Jack. Zuerst verstand ich nicht, was er meinte und warum er hier stand, doch als er mir seinen Arm reichte, damit ich mich bei ihm einhakte, verstand ich, worauf er hinaus wollte. Mein Cousin wollte mich zum Altar bringen. Damit entlockte er mir ein ehrliches Lächeln auf die Lippen und machte mich gerade glücklich. Der Lockenkopf ließ mich nicht allein und sein Verhalten überraschte mich nicht.

"Danke", flüsterte ich lächelnd, weshalb er mir auch ein kleines Lächeln schenkte, dabei erklang Musik.

Ich krallte meine Finger unbewusst in Jack's Arm, den es nicht störte, da er in ruhigen Schritten weiter nach vorne ging. In der ersten Reihe saßen nicht nur meine Familie, sondern auch Daniel und Kyle. Sie waren gekommen. Mein bester Freund wirkte nachdenklich und verwirrt. Lange konnte ich ihn nicht anschauen, weshalb ich den Blick auf Ace richtete, der seine Augen keine Sekunde von mir nahm. Es störte mich, wodurch sich meine Miene verfinsterte. Mir war klar, dass alle Augenpaare auf mich gerichtete waren, jedoch interessierte es mich gerade nicht. Am liebsten würde ich mich von Jack losreißen und wegrennen, aber ich konnte nicht.

Alles war nun vorbei. Es dauerte nicht lang und das Ja-Wort wurde gegeben. Das er mich auch auf der Stirn küsste, machte es nicht besser für mich. Kurz davor war ich ihn von mir wegzuschubsen, doch ich beherrschte mich, bis alles schlimmer wurde. Ich drehte mich wieder nach vorne und erblickte einen Menschen vor mir, den ich nicht erwartet hatte.

Liam.

Mit Krügen als Gehilfe stand er wenige Meter von mir entfernt und starrte mich sprachlos an. Hunter und Jayden waren neben ihm und achteten auf ihn, aber er tat nichts. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich schloss es wieder, denn da gab es nichts zu sagen. Mein Herz riss endgültig aus meiner Brust, als eine Träne seine Wange runterlief. Ich senkte den Blick vor Reue und sah stattdessen zu seiner freien Hand. Liam hatte sie mit voller Kraft zu einer Faust geballt und ich erkannte von weitem, wie der weiße Anhänger, der Kette runterging.

Die Engelskette.

Seine Mutter konnte sie nicht mehr tragen, da sie tot war und ich konnte sie nicht mehr tragen, da ich nun ebenfalls für ihn tot war. Seine Aria war jetzt weg.

Der VerstandWhere stories live. Discover now