Kapitel 49

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Vom Handy hörte ich noch, wie Liam etwas sagte, jedoch legte der Mann auf, sodass Stille im Raum herrschte. Mein Blick wanderte zu Hope, die sich stumm neben Katy stellte, wobei meine Schwester nach meiner Hand fasste, um mich ebenfalls zu sich näher zu ziehen. Sie zitterte am Köper und ich spürte förmlich ihre Anspannung neben mir, aber sie zeigte kein Hauch von Angst. Daher verdrängte ich auch dieses Gefühl in mir und richtete meine Augen auf die unbekannten Männer, die uns anstarrten.

Der Typ, der mir das Handy von der Hand riss, blickte mir mit seinen dunkelbraunen Augen entgegen, die beinahe einem schwarzen Loch ähnelten. Seine dunklen Haare wurden nach hinten gestylt, wobei sich eine Strähne gelöst hatte, die ihm nun in die Stirn fiel. Es kümmerte ihn aber nicht und er beobachtete mich weiterhin, womit er mich einschüchterte und ich den Blick abwandte. Meine Aufmerksamkeit blieb nämlich an seiner rechten Gesichtshälfte hängen, die völlig vernarbt war. Höchstwahrscheinlich verbrannt. Ich schluckte schwer und entschied mich dafür ihn gar nicht mehr anzusehen, denn er wirkte wütend.

"Handys raus", verlangte ein anderer.

Sofort wanderte mein Blick zu dem Blonden mit den meerblauen Augen. Der Gesichtsausdruck von ihm blieb gleichgültig, als ob es ihn nicht sonderlich interessierte, was hier geschah. Die rechte Hand streckte er uns entgegen und erwartete die Handys darauf. Da meins bei dem Schwarzhaarigen war, der es achtlos auf die Couch geschmissen hatte, blieben nur noch Hope und Katy ihre übrig. Ohne ein Wort zu verlieren, legten sie es ihm in die Handfläche, worauf dieser es ebenfalls zu meinem Gerät warf. Wir erhielten Anrufe und Nachrichten, jedoch interessierte dies die Männer nicht.

"Ihr kommt mit uns mit", befahl der Blondhaarige, worauf sich mein Puls automatisch beschleunigte.

"Warum?", wollte Hope wissen.

"Keine Fragen stellen", meinte der Schwarzhaarige mit einem angsteinflößenden Unterton.

Niemand traute sich mehr etwas zu sagen und mit einer Handbewegung verdeutlichte er uns, dass wir vorwärts gehen sollten. Wir taten das, was sie von uns verlangten und traten nach draußen.

Ein schwarzer Van stand in der Einfahrt, wo die Türen bereits offen standen. Sie führten uns hinein und fuhren anschließend los. Wir drei saßen schweigend nebeneinander und zwei von ihnen befanden sich vor uns. Ununterbrochen lagen ihre Augen auf uns, als ob sie Angst hätten, dass wir jeden Moment flüchteten. Hier gab es aber keinen einzigen Ausweg und das wussten sie auch.

Hope saß zwischen Katy und mir, dabei starrte sie mit einer wütenden Miene die zwei Männer an. Es machte ihnen nichts aus und daher schenkten sie ihr keine Beachtung. Ich ließ den Kopf hängen und schaute meine Hände an, die in meinem Schoß lagen. Hatte ich Angst? Ja, die hatte ich. Sehr sogar. Was das jetzt sein sollte, verstand ich nicht, aber ich traute mich ebenso nicht den Mund zu öffnen, um eine Frage zu stellen, da sie es uns schon vorher verboten hatten. Außerdem waren sie irgendwelche Arbeiter, die jemanden gehorchten, also wussten sie nicht die Antworten auf meine unausgesprochenen Fragen.

"Wohin bringt ihr uns?", wollte die Blondine plötzlich neben mir wissen, worauf ich sie von der Seite leicht fassungslos betrachtete.

Für einige Sekunden herrschte eine bedrückende Stille, weswegen ich kurz nach vorne blickte, wo die Männer weiterhin auf ihren Plätzen saßen und meine beste Freundin sichtlich ignorierten. Diese Reaktion gefiel ihr nicht und allein an ihrem Ausdruck bemerkte ich dies. Daher fasste ich nach ihrer Hand, sodass ich ihre Aufmerksamkeit auf mich zog. Mit meinen Augen verlangte ich von ihr, dass sie leise blieb. Sie weigerte sich, indem sie den Kopf schüttelte, wodurch sich mein Griff verfestigte, jedoch tat ich ihr nicht weh. Mit einem bittenden Ausdruck flehte ich sie schon fast an, denn ich sorgte mich um die Verrückte. Ich wusste nicht zu was diese Kerle fähig waren und ich wollte nicht, dass ihr etwas Schlimmes passierte.

"Okay", flüsterte sie, sodass es nur ich hören konnte und ich nickte erleichtert über ihre Antwort.

Ihre Hand ließ ich die ganze Fahrt nicht mehr los, was Hope nicht sonderlich störte. Sie griff nämlich mit ihrer Freien nach Katy ihrer und hielt diese fest.

Eine Weile später blieb der Van stehen und die Türen öffneten sich. Wir mussten aussteigen, was die zwei Männer uns gleichtaten. Mit großen Augen schaute ich mich in der Umgebung um, wodurch sich mein Puls beschleunigte, denn hier war nichts. Wortwörtlich, denn wir befanden uns in einem Wald, wo es verständlicherweise nur Bäume und Büsche gab. Ängstlich blickten wir uns gegenseitig an und dachten alle wahrscheinlich an dasselbe. Sie wollten uns umbringen. Warum sollten sie uns sonst in einen Wald bringen? Es war nämlich ein perfekter Ort, um drei hilflose Mädchen zu töten und die Leichen dann problemlos zu entsorgen.

"Wollt ihr uns umbringen?", fragte Hope, aber erhielt, wie erwartet keine Antwort von ihnen.

"Sagt doch etwas!", beschwerte sie sich.

"Halt den Mund", zischte der Schwarzhaarige und drehte sich bedrohlich in ihre Richtung um.

"Also ja?", hakte sie nach.

"Hope sei endlich still", murmelte Katy.

"Hör auf deine Freundin", meinte dieser genervt.

"Ist es so schwer eine verdammte Antwort auf meine Frage zu geben?", provozierte sie ihn weiter.

Der Mann mit der vernarbten Gesichtshälfte richtete sich endgültig zu ihr um und blickte sie für eine Weile einfach nur an. Meine dumme beste Freundin hielt seinem Blick stand, dabei zeigte sie keine Furcht und ich begriff nicht, was sie gerade vorhatte, aber es würde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gut für uns enden. Es war kein Zeitpunkt mit irgendwelchen Typen zu diskutieren, die uns vielleicht das Leben nehmen wollten. Am liebsten würde ich ihr deshalb einen Schlag ins Gesicht verpassen, aber selbst da würde sie nicht aufhören ihre Klappe zu halten.

Ein weiterer Beweis das dieses Mädchen wirklich verrückt war, denn wer würde sowas Dummes tun?

"Blondie werden wir als erstes töten", sagte dieser auf einmal, worauf die anderen breit grinsten.

Hope ihre Mundwinkel fielen ganz runter und auf die Aussage von ihm erwiderte sie nichts. Anscheinend erwartete er auch keine Reaktion von ihr, denn er befahl uns ihm hinterher zu folgen. Uns blieb keine andere Wahl, weswegen wir ihm gehorchten und unserem Tod mit jedem Meter näherten. Der Weg dauerte nicht sehr lange und ich konnte verstehen, warum wir stehen blieben. Vor mir erblickte ich ein Holzhaus, was mitten in diesem Wald versteckt war. Verwirrt darüber verengte ich meine Augenbrauen, jedoch konnte ich es nicht länger anschauen, denn die Kerle zogen uns an den Armen durch die Tür.

Sie führten uns in ein Wohnzimmer und schubsten uns grob auf eine Couch, die durch den Schwung etwas nach hinten rutschte. Hope warf ihnen einen wütenden Blick zu und bevor sie den Mund öffnete, um zu reden, kam ihr jemand anderes zuvor.

"Endlich", erklang mir eine unbekannte Stimme in die Ohren, die ich zum ersten Mal zu hören bekam.

Schwere Schritte ertönten und wenige Sekunden später erschien ein junger Mann im Raum, der uns förmlich mit seinem Lächeln anstrahlte. Die anderen machten ihm Platz und zwei von ihnen stellten sich jeweils auf die Seite von der unbequemen Couch.

Verwirrt starrte ich ihn an und versuchte irgendwas an ihm zu finden, was mir bekannt vorkam, aber da war nichts. Diese dunkelbraunen Haare, die verwuschelt auf seinem Kopf lagen und ihn dadurch viel jünger wirken ließen, lösten in mir nichts aus. Seine Augen, die einen interessanten Grünton besaßen, sah ich zum ersten Mal. Es war nicht dieselbe Farbe, wie bei Hope, sondern kräftiger und leuchtender. Er hatte ein schwarzes T-Shirt an, wobei man an seinem linken Arm einige Tätowierungen erkennen konnte. Nicht einmal das rief eine Erinnerung in mir hervor, die ich mit ihm verbinden konnte, denn er war mir unbekannt.

"Du schaust älter, als die anderen aus, also musst du Katy sein", sprach er weiter und lächelte meine Schwester an, die ihn nur verständnislos anblickte.

"Blondie ist Hope", fuhr er fort, worauf sie die Augen verdrehte, aber nichts zu seiner Feststellung sagte.

"Lockenkopf muss Aria sein", blieb er nun an mir hängen, wobei ich ihn schweigend beobachtete.

"Ich bin gut", lobte er sich selbst und lachte.

"Wer bist du?", kam es über meine Lippen, doch anstatt mir zu antworten, wurde sein Lächeln nur noch größer und was mich beunruhigte.

Der VerstandWhere stories live. Discover now