1.Kapitel

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"Aufstehen!"
Der morgendliche Weckruf riss mich aus meinen Träumen; man könnte doch wenigstens mal eine schöne Melodie oder sowas anstatt der nervigen Durchsage nutzen um uns zu wecken, aber auf mich hörte ja keiner. Seufzend zog ich mir wieder meine Decke über den Kopf, das letzte was ich jetzt wollte war mein warmes Bett zu verlassen. Blöderweise sah das die heutige Aufseherin anders und drohte mir schon einen Eimer Wasser über mich zu kippen. Murrend rollte ich mich also doch noch aus meiner Decke, schnappte mir meine Klamotten und ging in das Bad, um mich umzuziehen. "Hey Lola", begrüßte mich meine einzige richtige Freundin Kim. Eigentlich seltsam, dass ich in einem Haus indem soweit ich weiß über 1000 Kinder jeder Altersklasse lebten, gerade mal eine Freundin hatte. Andererseits waren die meisten von den anderen alle so...gleich. Ich hatte oft das Gefühl, dass niemand von denen wirklich eine eigenständige Persönlichkeit war; in der Regel taten alle nur das, was uns die Aufseher sagten. Ziemlich gruselig wurde es aber erst, wenn wir dann 'Freizeit' hatten, denn dann saßen fast alle der Jüngeren und viele der Älteren nur stumm da und machten nichts. Absolut nichts. Wie gesagt, das war ziemlich spooky wenn man in einen Raum voller 8-jähriger rein kommt und die nichts machen. Deswegen nannten Kim und ich sie die 'Zombies'. Das ist schließlich nicht normal. Andererseits, was war hier schon normal? Wir wachsen ohne unsere Eltern auf, sehen unser ganzes Leben lang nichts anderes als diesen Betonklotz names 'Kinderheim' und sollen dann plötzlich ab unserem 17. Geburtstag vollkommen allein in der Welt zurechtkommen. Na gut, völlig allein werden wir nicht zurecht kommen müssen, schließlich würden wir alle auf die ein oder andere Weise eine Familie, die uns helfen würde, bekommen. Und diese ganzen "Lehrfilme", die uns ab dem 5. Lebensjahr regelmäßig gezeigt wurden, konnten auch ein einigermaßen hilfreiches Bild von der Welt da draußen schaffen, auch wenn ich daran zweifelte, dass das alles vollkommen real war; die einzigen Informationsquellen, denen ich wirklich traute, gab es nicht mehr. Steve, der Betreuer der uns 1mal pro Monat besuchte und uns eigentlich alles erzählte, was wir laut der Regierung nicht wissen sollten, war vor 3 Jahren spurlos verschwunden und Bücher oder andere Medien, die nicht vom Ministerium überprüft wurden, gab es auch nicht mehr.

Mal ganz davon abgesehen haben einige von uns besondere Fähigkeiten, was auch nicht gerade normal ist. Ich zum Beispiel kann alles mögliche durch die Gegend schweben lassen, was sich glaube ich Telekinese nennt. Keine Ahnung, warum ich das kann, vermutlich ist es irgendeine Mutation; jedenfalls weiß niemand hier außer Kim, dass ich das kann. Andernfalls würden die mich vermutlich in ein Labor stecken und Experimente alà Frankenstein mit mir machen. Keine schöne Vorstellung.
"Was glaubst du wird morgen passieren?"
Ich schreckte hoch; mittlerweile war ich so an die Stille gewohnt, dass ich mich immer wieder wunderte, wenn doch mal jemand, Kim, etwas sagte. Wir waren inzwischen im Speisesaal angekommen und stellten uns in die Schlange. "Keine Ahnung", ich beobachtete angeekelt, wie eine der Essensfrauen mir einen riesigen, nicht definierbaren grauen Haufen auf den Teller klatschte. "Wahrscheinlich kommt irgendsoein Typ vom Ministerium und erzählt mir, wie mein restliches Leben verlaufen wird." Ich zog eine Grimasse und wir setzten uns an einen leeren Tisch, um ungestört zu sein. Nicht, dass die kleinen Zombies stören würden, aber wir hielten uns aus Prinzip von ihnen fern, um nicht auch so zu enden.
"Ich finde es irgendwie richtig unheimlich, dass du ab morgen nicht mehr da sein wirst. Dann bin ich ganz allein unter den Zombies." Kim schien wirklich Panik davor zu haben, hier ohne mich zu bleiben. Zugegeben, mir würde es nicht anders ergehen. Abgesehen davon hatte ich genauso Angst vor dem morgigen Tag; verrückt, dass ich vor meinem eigenem Geburtstag Angst hatte. Ich versuchte zu lächeln. "Ich werde dir jeden Tag schreiben und vielleicht darf ich dich ja sogar besuchen."
"Das glaubst du doch selbst nicht", traurig schob sie ihren undefinierbaren Haufen etwas hin und her.
"Nein", ich machte eine Kunstpause, "aber ich werde dir die Briefe rein schmuggeln. Und darin werde ich mich darüber beklagen, dass ich einen uralten, fetten Perversen heiraten musste, der mir ständig an die Wäsche will." Damit war mir tatsächlich das Kunststück gelungen Kim zum Lachen zu bringen. "Ruhe dahinten!", brüllte auch schon so eine spießige Frau, die hier die kleinen Monster kontrollierte. Wir bemühten uns also, relativ erfolglos, unser Kichern zu unterdrücken, als Kim plötzlich wieder ernst wurde. "Darüber sollte man keine Witze machen, Lola; was ist, wenn du wirklich so einen Penner heiraten musst? Oder wenn die Regierung will, dass du irgendeine Arbeit machst, die du hasst? Oder wenn sie herausfinden, das du Telekinese beherrschst?", sie sah mich besorgt an. Auch mir war nun die Freude vergangen, denn das war wirklich keine angenehme Zukunft. Trotzdem versuchte ich fröhlich zu bleiben. "Das wird schon nicht passieren, und falls doch werde ich mir schon was einfallen lassen. Und jetzt lass uns meinen letzten Tag hier zu einem unvergesslichen Tag machen!", mit diesen Worten stand ich auf, nahm vorsichtig die Pampe, die sich hier Frühstück nannte, in die Hand und warf sie mit einem gebrüllten "Essenschlacht!" auf den nächsten Tisch. Innerhalb von Sekunden erwachten die anderen aus ihrer Lethargie und bewarfen sich gegenseitig mit dem grauen Zeug; nicht mal die Aufseher blieben verschont und zu meiner Überraschung machten selbst die Zombies mit.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now