55. Kapitel

5.2K 480 35
                                    

"Und jetzt?" Verwirrt sah ich Damon an. Irgendwie konnte ich den Sinn, warum er jetzt meine linke Hand festhielt und dafür die rechte losließ, nicht so recht nachvollziehen. Damit waren wir doch wieder am selben Punkt wie vor drei Minuten angelangt.
"Jetzt habe ich die Möglichkeit, dich in die Lage zu versetzen, uns Beiden das Leben zu retten. Also tu mir den Gefallen und hör auf, so rumzuzappeln." Während über meinem Kopf noch immer ein imaginäres Fragezeichen schwebte, zog Damon mich mit einem Ruck etwas höher, nur um blitzschnell mit der freien Hand schmerzhaft meinen Unterarm zu packen.
Ich verzog das Gesicht und versuchte nicht daran zu denken, dass mein Arm die nächsten Wochen aufgrund der unweigerlich entstehenden Blutergüsse noch mehr weh tun würde. "Geht das nicht ein bisschen sanfter?"
"Wenn du nicht doch noch Bekanntschaft mit dem Boden unter uns machen willst; nein", murmelte er genervt und machte sich konzentriert an meinem Handgelenk zu schaffen. Wenn er mich schon so fragte, eigentlich würde ich den Boden doch gerne kennenlernen. Da sich mein rechter Arm jedoch in einem unerbittlichen Griff befand, musste ich diese Vorhanden wohl auf später verschieben.
"Ich verstehe zwar noch immer nicht, was das bringen....oh." Ein silbernes Aufblitzen über mir brachte mir endlich die Erkenntnis. Jetzt im Nachhinein verfluchte ich meine Unaufmerksamkeit. Da hatte ich einmal die Gelegenheit zu sehen, wie dieses seltsame Armband zu entfernen ging und nutzte sie nicht. 'Großartig, wirklich, Lola. Das hätte dein Ticket in die Freiheit sein können', beklagte sich meine innere Stimme, ehe sie von einer deutlich tieferen unterbrochen wurde.
"Findest du es eigentlich witzig, hier rumzuhängen? Ist ja nicht so, als wäre das für mich verdammt anstrengend und für dich ziemlich schmerzhaft."
Für ein paar Sekunden spielte ich mit dem Gedanken, wirklich nichts zu tun, entschied mich aber dagegen. Dass Damon das Armband entfernt hatte, hatte mir auf eine seltsame Art wieder Hoffnung gegeben. Hoffnung, dass ich es vielleicht doch noch lebend aus diesem Gebäude schaffen konnte. Bloß musste ich dafür erst einmal wieder festen Boden unter den Füßen haben. Unsicher blinzelte ich nach oben. Die einzige Möglichkeit bestand darin, Damon zurück in den Raum schweben zu lassen, aber das konnte auch gewaltig schief gehen. Mit ein bisschen Pech würde das zusätzliche Gewicht von mir meine Kräfte überfordern oder ich würde plötzlich die Kontrolle verlieren oder....was, wenn ich es gar nicht schaffte, überhaupt Telekinese einzusetzen? "Heute noch, Prinzessin." Ungeduldig erhöhte Damon den Druck seiner Finger um meinen Arm, sodass ich erschrocken aufjaulte.
Während ich mich lautlos über die Ungerechtigkeit des Schicksals beklagte, wagte ich es kurz, Damons finsteren Blick zu erwidern. "Warum hilft uns eigentlich niemand?" Immerhin lag es garantiert nicht in Newtons Interesse, dass wir einfach aus den Leben schieden.
"Was weiß ich denn, vermutlich haben die Idioten im Überwachungsraum mal wieder etwas besseres zu tun, als ihre Arbeit zu erledigen. Könnten wir dieses Gespräch dann bitte später fortführen? Wenn ich nicht jeden Moment aus einem Hochhaus in den freien Fall stürzen könnte?"
"Ich mach ja schon", murmelte ich. Wenigstens hatte er 'bitte' gesagt, anstatt mir zu drohen, das war schonmal ein Fortschritt.
Angespannt atmete ich tief ein und aus und versuchte zu vergessen, dass ich in einer äußerst unangenehmen Position mehrere Dutzend Meter über dem Erdboden hing. Wenn diese ganze Aktion funktionieren sollte, musste ich so viel Kraft wie möglich sammeln; einen zweiten Versuch würde es nicht geben. Ich richtete meine gesamte Konzentration darauf, Damon zurück in den Raum zu transportieren. Solange er mich dabei nicht losließ, konnte eigentlich nichts passieren.
Mit einem Schrei flog ich urplötzlich mit einer viel zu großen Geschwindigkeit nach oben. Bevor ich reagieren konnte, hatte Damon mich schon fest an sich gezogen und fing den Aufprall mit seinem Körper ab, ehe wir quer durch den Raum rollten, bis ein alter Schrank uns stoppte.
Vollkommen durcheinander blieb ich auf dem staubigen Boden liegen und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war. Meine ganze gesammelte Energie musste sich innerhalb von einer Sekunde entladen und uns dabei viel weiter als ursprünglich geplant geschleudert haben. Wie zur Hölle war das möglich?
"Wow. Damit hatte ich nun nicht gerechnet, du hättest mich ruhig vorwarnen können", sagte Damon und sah mich schwer atmend an. Perplex, dass er mir jetzt auch noch Vorwürfe machte, starrte ich zurück. Ich hatte ihm gerade das Leben gerettet und das war der Dank dafür? Das nächste Mal würde ich es mir besser überlegen, ob ich ihm helfen würde. Ich setzte gerade zu einer sarkastischen Antwort an, als ich bemerkte, dass er noch immer den Arm um meine Taille gelegt hatte. Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf und huschte mit weichen Knien zur gegenüberliegenden Seite des Raumes, um mich dort gegen die Wand zu lehnen. Das fehlte ja gerade noch, dass sich mein Körper am Ende noch wegen irgendwelchen Hormonen zu Damon hingezogen fühlte. Ohne mich, das konnte er definitiv vergessen, ich war doch nicht lebensmüde.
"Was denn, du hast doch wohl nicht etwa Angst vor mir", sagte er belustigt und richtete sich ebenfalls auf.
"Nein, habe ich nicht. Ich will bloß so weit weg von dir wie irgend möglich sein", entgegnete ich und beobachtete jede seiner Bewegungen misstrauisch. Zu meiner Erleichterung warf er mir nur einen undefinierbaren Blick zu, ehe er zu dem ehemaligen Fenster ging und hinaus sah. Das gab mir wiederum die Gelegenheit, mich endlich richtig umzusehen. Offenbar wurde dieser Raum schon lange nicht mehr benutzt, jedenfalls könnte ich mir die dicke Staubschicht überall nicht anders erklären. Unwillkürlich fuhr ich mit dem Zeigefinger über einen halb kaputten Tisch neben mir und musste kurz darauf wie erwartet niesen. Hier müsste wirklich mal jemand sauber machen.
"Mach sowas nie wieder, Prinzessin." Damon musterte mich kurz, bevor er wieder nach unten sah. "Das hätte verdammt schief gehen können."
Ach ne, wirklich? War ja nicht so, als hätte ich mich ursprünglich umbringen wollen, nein, ich war nur aus dem Fenster gesprungen, um zu sehen, ob mich jemand retten würde. Augenverdrehend verschränkte ich die Arme und drehte mich leicht in die entgegengesetzte Richtung. Was ich dann sah, ließ mich überrascht erstarren: die Tür war auf. Die. Tür. War. Auf. Und das bedeutete, dass ich vielleicht endlich abhauen konnte. Vor allem, weil ich noch in der Lage war, Telekinese zu benutzen, was meine Chancen deutlich realistischer machte.
Vorsichtig sah ich wieder zu Damon, der jedoch immer noch gedanklich abwesend zu sein schien und mich nicht beachtete. Sollte ich es wirklich wagen? Einerseits wäre mir ein Zeitpunkt, an dem Damon nicht anwesend war, deutlich lieber, aber andererseits würde er sich irgendwann wieder daran erinnern, dass er mir das Armband wieder ummachen sollte. Und dann hieß es erneut 'Adieu, Telekinese' beziehungsweise 'Hallo, Stromschläge'. Nein, das Risiko konnte ich nicht eingehen, eine bessere Chance würde ich nicht bekommen.
Nach einem letzten abschätzenden Blick zu Damon schlich ich beinahe lautlos in Richtung Tür, bis ich hindurch war. Ab diesem Moment dachte ich nicht mehr daran, besonders leise zu sein, sondern rannte los, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Was vermutlich auch fast so war, aber darüber wollte ich jetzt wirklich nicht nachdenken. Ich brauchte irgendein Versteck, irgendetwas, wo mich vorerst niemand finden würde, bis...
"Wohin so eilig?" Nahezu reflexartig riss ich die rechte Faust hoch, um Damon bestenfalls außer Gefecht zu setzen. Bevor ich diesen Plan jedoch in die Tat umsetzen konnte, hatte er schon meine Hand abgefangen. Ächzend spürte ich, wie die Luft aus meine Lungen gepresst wurde, als ich hart auf dem Boden aufkam. Gleichzeitig warf ich meinen Gegner mittels Telekinese einige Meter zurück und kam wieder auf die Beine. Keine Sekunde später wehrte ich einen Schlag gegen meinen Bauch ab und versuchte selbst einen Treffer zu landen. Als mein darauffolgender Tritt ins Leere ging, stolperte ich. Im selben Moment wurde ich wieder zurückgerissen und gegen die raue Wand neben mir geschleudert. Keuchend ließ ich mich zu Boden fallen, um dem nächsten Angriff auszuweichen. Wie hatte ich nur glauben können, auch nur eine winzige Chance gegen Damon zu haben?
"Scheiße, Scheiße, Scheiße." Fluchend rollte ich zur Seite, bevor ich aufgrund eines Tritts gegen den Kopf K.o. gehen würde. Als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm, riss ich blitzschnell den Arm hoch und ließ ihn wieder in die Richtung aus der wir gekommen waren fliegen. Kurzzeitig schaffte ich es, ihn dort festzuhalten und aufzustehen. Langsam ging ich einen Schritt nach dem anderen rückwärts, immer noch verhindernd, dass Damon mir folgte.
"Das hälst du nicht ewig durch, Prinzessin." Auf's Äußerste angespannt schien er darauf zu warten, dass ich einen Moment lang die Kontrolle verlor. Tatsächlich fing meine Hand allmählich an zu zittern, panisch versuchte ich es zu verhindern, indem ich sie mit der anderen zusätzlich stützte. "Muss ich auch nicht."
"Stimmt auch wieder. Die Männer hinter dir versperren sowieso deinen Fluchtweg." Zu Tode erschrocken fuhr ich herum - und starrte in einen leeren Gang. Ich war tatsächlich auf einen der ältesten Tricks der Welt hereingefallen. Verärgert drehte ich mich wieder nach vorne. "Schlechte Idee, Prinzessin."
"Ah." Stöhnend versuchte ich mich aus Damons Griff zu winden.
Damit hätte ich wirklich rechnen müssen. Verzweifelt tat ich alles, um zu verhindern, dass er mich gegen die Wand drücken und mir die Arme auf den Rücken drehen konnte, scheiterte jedoch kläglich.
"Ernsthaft, Prinzessin, ich war mir sicher, dass du klüger wärst. Aber anstatt einfach abzuwarten, musstest du dir natürlich die einzige Chance zur Flucht vermasseln", sagte er spöttisch. Ich blinzelte die Tränen der Enttäuschung weg, als ich etwas kühles an meinem Handgelenk spürte. Das war's dann also, ohne Telekinese konnte ich nicht einmal annähernd darauf hoffen, hier weg zukommen.
Noch immer meine Arme auf meinem Rücken festhaltend, zerrte Damon mich unsanft den Gang entlang. Seltsamerweise begegnete wir noch immer absolut niemandem, allmählich wurde das wirklich unheimlich. Wo man gerade vom Teufel sprach, schon bogen einige Meter weiter vor uns fünf Männer um die Ecke. In der Hoffnung, dass Damon vielleicht kurz abgelenkt war, versuchte ich mich zum wiederholten Male loszureißen. "Gib's auf, ich lass dich nicht los." Hätte ja klappen können. Seufzend stellte ich meinen Widerstand ein und ließ zu, dass Damon mich in einen spärlich eingerichteten Raum schob.
"Da du das Fenster in deinem Zimmer ja zerstört hast, wirst du dich wohl die nächsten Tage mit diesem begnügen müssen", erklärte er und ließ mich endlich los, um die Tür zu schließen.
Verunsichert wich ich zurück, als er wieder auf mich zukam. "Was hast du vor?" Panisch huschte mein Blick hin und her; dass der Raum keinerlei Fenster besaß, trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
Damon antwortete nicht, näherte sich mir jedoch weiterhin.
"Aber d-du hast es v-versprochen", stammelte ich und starrte auf das Messer in seiner Hand. Er wollte mich doch nicht mehr foltern, nur deswegen hatte ich doch überhaupt eingewilligt, zu verhindern, dass wir in den Tod stürzten.
"Ach, habe ich das?", er hob eine Augenbraue, "Setz dich hin."
"Ich...." Mein Protest wurde durch ein plötzlich einsetzendes, lautes Piepen unterbrochen. "Was hat das zu bedeuten?"
"Nichts, was dich betreffen würde. Bleib hier." Damon warf mir einen warnenden Blick zu, ehe er verschwand.
Völlig verwirrt sank ich auf den Boden und vergrub den Kopf in den Händen. Ich hätte es wissen müssen, ich hätte wissen müssen, dass er mich anlügen würde. Warum nur hatte ich ihm geglaubt? Ich hätte mich fallen lassen sollen, einfach endgültig mein Leben beenden, dann ich mir diese ganze Enttäuschung erspart. Wenn dieses komische Piepen nicht angefangen hätte.... Moment mal. Ruckartig hob ich den Kopf wieder. Es gab eigentlich nur eine Erklärung dafür: dieses Piepen war ein Alarm.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt