29.Kapitel

8.3K 582 31
                                    

"Du bist manchmal wirklich komisch."
Verwirrt sah ich auf; was sollte das denn schon wieder? Komisch, als ob ich komisch wäre. Pffft. Naja, ein bisschen vielleicht. Aber auch nur ein wenig.
"Was meinst du damit?"
Lächelnd fing Damon an mit meinen Haaren zu spielen, das wurde allmählich offenbar zur Gewohnheit. Aber meine Frage beantwortete das trotzdem nicht.
"Ich erzähle dir, dass ich zwei unschuldige Kinder getötet habe und du bleibst ganz ruhig hier sitzen und bedankst dich sogar noch."
"Du hattest doch keine andere Wahl.....abgesehen davon wären sie so oder so gestorben. Am Ende hätte doch jeder geschossen. Und außerdem haue ich deswegen nicht einfach ab." Unsicher stand ich auf und zog meine Schuhe an; abgesehen davon, dass wir so langsam echt gehen sollten, wollte ich im Moment nicht weiter über seine Vergangenheit nachdenken. Schmunzelnd beobachtete Damon mich, während ich ungeduldig auf die Uhr sah. "Wir kommen zu spät, ist dir das überhaupt schon aufgefallen?" Und mir immer vorwerfen, dass ich ständig unpünktlich war. Noch zwei Minuten bis acht und er saß seelenruhig da und grinste. Genervt verließ ich die Wohnung schließlich alleine, offenbar hatte Damon nicht vor, heute rechtzeitig zum Training zu erscheinen. Trotzdem würde er mir garantiert irgendeine Strafe aufbrummen, wenn ich zu lange brauchte.
"Also ich komme pünktlich, bei dir bin ich mir da nicht so sicher." Unbemerkt war er mir gefolgt und musterte mich spöttisch. War ja klar, mit übernatürlicher Geschwindigkeit würde ich das auch schaffen. Augenverdrehend setzte ich zu einer Antwort an, als mein Ausbilder mich unterbrach. "Aber weil ich es hasse, wenn du zu spät kommst, bin ich ausnahmsweise mal so nett und nehme dich mit."
"Wa..?" Ein leiser Schrei entwich mir, als er mich überraschend packte und über die Schulter warf. In Sekundenschnelle durchquerten wir mehrere Gänge und ein Treppenhaus, ehe wir ruckartig vor der Trainingshalle stoppten.
"Ich glaub mir is schlecht....", murmelte ich unbehaglich und lehnte mich gegen die Tür. Ich war es definitiv nicht gewöhnt in so einem Tempo durch die Gegend getragen zu werden.
"Dann kotz bitte woanders hin." Grinsend schob Damon mich zur Seite und riss die Tür auf; ich warf schnell einen Blick auf die Uhr und bemerkte überrascht, dass es genau 8:00 Uhr war. Wir waren tatsächlich pünktlich, selbst wenn ich gerannt wäre, hätte ich noch mindestens zehn Minuten gebraucht.
"Du hättest mich ruhig vorwarnen können." Noch immer mit einem flauen Gefühl im Magen folgte ich ihm in die Halle.
"Bitte sag mir, dass du letzte Nacht auf dem Dach oder in irgendeinem leeren Gang verbracht hast", sagte Sarah flehend. Sie hatte anscheinend mitbekommen, dass ich nicht in meinem Bett geschlafen hatte und wollte bestätigt haben, dass ihre insgeheime Vermutung falsch war.
"Nein, ich habe bei Damon geschlafen." Auf ihren geschockten Blick hin verdrehte ich genervt die Augen. "Die Betonung liegt auf bei nicht mit, okay?"
Sie schien mir nicht wirklich zu glauben, aber das war eigentlich zu erwarten. Wahrscheinlich würde sie mein ganzes Leben lang nicht aufhören an Damon zu zweifeln.

"Wo fahren wir hin?" Neugierig sah ich aus dem Fenster des Zugs. Seit einer halben Stunden waren wir nun unterwegs, was ziemlich erstaunlich war; denn mit wir meine ich alle Rekruten, sowie einige Mitglieder der Wissenschaftler und Ärzte. Somit waren wir insgesamt etwas mehr als 60 Leute und füllten mehrere Zugabteile.
"Wirst du schon sehen, Prinzessin." Damon lehnte neben der Tür und starrte konzentriert auf sein Tablet. Wahrscheinlich musste er noch irgendetwas Wichtiges klären, bevor wir woauchimmer ankamen.
"Er sagt nicht mal dir wo es hingeht? Das kann ja nichts Gutes bedeuten", flüsterte Liz neben mir, um zu verhindern, dass Damon uns hörte.
"Warum seid ihr überhaupt mitgekommen?" Fragend sah ich meine Freundin an, es war mehr als merkwürdig, dass sie dabei war.
"Ich habe nicht die leiseste Ahnung...." Missmutig starrte sie nach draußen. Immerhin konnten wir so mal etwas von der oberirdischen Welt sehen, trotzdem fühlte ich mich nicht wohl. Schon allein die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, wohin wir wollten, machte mir Sorgen.
"Wir sind da." Tatsächlich? Hier war doch nirgendwo ein Bahnhof oder sowas. Ich warf meinem Freund einen irritierten Blick zu, doch er schubste bereits die Ersten aus dem Zug. Das hieß dann wohl, dass wir wirklich da waren.
"Danke, ich springe lieber." Bevor er mich auch noch rauswerfen konnte, sprang ich - und landete direkt auf Zoey.
"Sorry." Schnell rappelte ich mich auf und ging aus dem Weg; ich hatte keine Lust, dass ich auch noch umgeworfen wurde. Stattdessen betrachtete ich interessiert die Umgebung. Ein paar hundert Meter entfernt begann hinter einem hohen Stacheldrahtzaun ein Wald, im Hintergrund konnte ich einige Häuser erkennen. Seltsam, was wollten wir hier?
"Trödel nicht zu lange, Prinzessin." Damon lief an mir vorbei, im Schlepptau einen Haufen unwissender Männer und Frauen. Kurz dachte ich darüber nach mich bis ans Ende zurück fallen zu lassen, schließlich siegte aber meine Neugier und ich schloss zu meinen Freunden auf.
"Ich bin ja echt gespannt, was das soll. Immerhin haben wir nicht einmal Waffen, also kann das auch keins seiner Kriegsspiele sein...." Im Gegensatz zu Lukas war ich mir da nicht so sicher; ohne Grund waren wir nicht hier und ich bezweifelte, dass wir hier nach essbaren Beeren und Kräutern suchen sollten. Zumindest waren wir hier nicht völlig illegal, sonst hätte Damon wohl kaum das große Tor aufschließen können.
Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten wir schließlich die Gebäude, die ich vorhin schon erahnt hatte. Jetzt aus der Nähe stellte sich heraus, dass es offenbar eine Kleinstadt war. Wie gesagt, war, denn die Häuser konnte man bestenfalls als Ruinen bezeichnen. Abgesehen von der Kirche, die schien noch größtenteils intakt zu sein.
"Bevor jetzt noch irgendjemand vor Neugierde stirbt, kläre ich euch mal auf." Jetzt hatte unser Ausbilder wohl die Aufmerksamkeit aller. "Wir befinden uns hier auf einem Gelände, dass ganz offiziell einem Mitglied der Rebellen gehört. Aus diesem Grund können wir hier auch ohne Probleme eine Weile bleiben..."
"Eine Weile?", fragte das blonde Mädchen der neuen Rekruten. Ich wusste ihren Namen immer noch nicht, also nannte ich sie der Einfachheit halber Blondie. Jedenfalls ging Damon nicht auf Blondies Frage ein, streifte sie aber trotzdem mit einem bösen Blick.
"...Das hier wird eine Art Überlebenstraining einmal anders werden. Um genau zu sein, teilen wir uns in zwei Gruppen: die Jäger und die Gejagten. Die einzigen Waffen, die erlaubt sind, sind Messer; was aber nicht heißt, dass ihr euch hier gegenseitig abstechen sollt, die Messer werden nicht im Kampf verwendet, verstanden?" Diese Sache schien ihm ziemlich wichtig zu sein, denn er wartete bis alle nickten. Ich persönlich wartete eigentlich auf die Frage, was wir denn sonst damit sollten, aber offenbar war niemand so dämlich. "Also Ziel der Jäger ist es logischerweise die anderen zu fangen und nicht wieder entkommen zu lassen. Die Anderen sollten so lange wie möglich auf freien Fuß bleiben." Soweit so gut, klang jetzt nicht sonderlich schwierig, aber das kam vermutlich auf die Gruppen an. Dass Damon bei den Jägern sein würde, war mir schon klar, aber zu welcher Gruppe würde ich gehören? Theoretisch müsste ich ja im gegnerischen Team landen, nur der Fairness halber.
"Wie wäre es, wenn wir sowas wie den 'Kampf der Geschlechter' machen?" Zoey war vorgetreten, erntete jedoch größtenteils verständnislose Blicke. Die wenigsten meiner Mitkämpfer schienen zu wissen, was das bedeutete. Dagegen zeigte das amüsierte Grinsen unseres Ausbilders, dass er durchaus etwas mit der Idee anfangen konnte.
"Du glaubst doch nicht wirklich, dass ihr Frauen alleine eine Chance gegen uns habt."
Stirnrunzelnd mischte ich mich nun auch in die Diskussion ein, eigentlich gab ich ihm im stillen Recht, doch hier galt es die Ehre des weiblichen Geschlechts zu verteidigen. "Du hast doch nur Angst, dass ihr verliert. Wir könnten uns hinter einen Baum stellen und durch den berühmten Tunnelblick würdet ihr einfach an uns vorbeilaufen." Ha! Damit hatte ich dann wohl unser Schicksal besiegelt, aber vielleicht hatten wir ja doch eine Chance.
Grinsend machte Damon ein paar Schritte auf mich zu, bis wir nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt standen.
"Na wenn du das sagst. Dann machen wir es eben wie vor viertausend Jahren: die Männer sind die Jäger und die Frauen die Beute. Die Kirchturmuhr schlägt jede Stunde einmal, zwölf Uhr dreimal; morgen Mittag ist das Ganze hier vorbei. Wenn dann noch sieben von euch übrig sind und dieses Schild", er zeigte auf ein altes Bushaltestellenschild, "berühren, habt ihr gewonnen."
Gespielt siegessicher lächelte ich; wir waren ca. 30 Frauen, da konnte es wohl nicht so schwierig sein sieben übrig zu lassen. "Ihr habt keine Chance."
"In einer halben Stunde ist es 12:00 Uhr, sobald die Glocke schlägt geht es los. 24 Stunden lang. Ich gebe dir höchstens zehn, dann habe ich dich gefangen, Prinzessin", spöttisch grinsend hob er eine Art Pistole hoch. "Und weil ich fair bin, schieße ich pro Gefangener eine Leuchtkugel ab. Dann könnt ihr mitzählen, wie schnell ihr verliert." Diesen Kommentar würdigte ich nicht mit einer Antwort; stattdessen versuchte ich mir schonmal einen Plan zu überlegen, wie wir hier 24 Stunden lang unentdeckt bleiben sollten. So groß war das Gelände nicht, ich hatte es zwar noch nicht komplett gesehen, aber mehr als 9 Quadratkilometer konnten es nicht sein. Im Moment klang das zwar viel, aber das täuschte. Wenn wir keine gute Taktik entwickelten, hätten wir vermutlich bis Mitternacht schon verloren.
"Und was essen wir? Und trinken?" Jackson musste wieder einmal nur daran denken. Natürlich, er musste sich ja auch nicht überlegen, wie sein Team uns am besten fangen konnte, das würde Damon schon übernehmen. Es war trotzdem unfair.
"Du wirst ja wohl einen Tag lang ohne Essen auskommen. Wasser gibt's in dem kleinen Fluss, der durch das ganze Gelände geht", sagte Damon genervt. "Und bevor sich jemand beschwert, dass der nicht glasklar ist, ihr könnt auch gerne ohne Wasser auskommen."
"War's das dann?" Ich wollte so weit weg wie möglich, ehe das Ganze hier losging. Je größer unser Vorsprung war, desto besser. Als ob das was helfen würde, flüsterte mein pessimistisches Unterbewusstsein. Vielleicht war es auch nur realistisch, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Grinsend musterte Damon mich und schien zu überlegen, wie lange er mich noch zappeln lassen sollte. "Warum so ungeduldig, Prinzessin? Ich dachte, das wird ein Kinderspiel für euch." Das hieß dann wohl, dass ich gehen konnte. Augenverdrehend beschloss ich zum Wald zu laufen, als mir noch etwas einfiel.
"Übernatürliche Fähigkeiten lassen wir da raus, richtig?" Um meine Kräfte ging es mir weniger, aber wenn mein superschneller Freund seine benutzte, konnten wir gleich aufgeben. Mein eindringlicher Blick brachte ihn schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit doch noch dazu mir zu antworten. "Meinetwegen, du hast trotzdem keine Chance." Aber eine größere als vorher.
Unter den amüsierten Grinsen der Männer setzte mein Team sich schließlich endlich in Bewegung; warum gleich musste eigentlich immer ich die Führung übernehmen? Das könnte ruhig mal jemand anderes machen.
"Können wir nicht einfach aufgeben? Ich hab kein Bock die Nacht im Wald zu verbringen." Ah ja, deswegen. Ungeduldig schüttelte ich den Kopf und ließ Blondie am Waldrand stehen. "Du kannst dich gerne fangen lassen, ich wette, dass sie sich irgendein halbwegs vollständiges Haus oder so suchen, um uns dort einzusperren. Aber wenn das hier kein Spiel wäre, würde ich dir dringend davon abraten." Ich würde ihr auch jetzt davon abraten, aber das musste sie ja nicht wissen. Abgesehen davon war mir eine der Lästerschwestern weniger deutlich lieber. Anscheinend wollte sie mir dann aber doch nicht den Gefallen tun und verschwinden, weswegen wir schließlich schweigend weiter liefen.
"Wir werden verlieren." Nachdem wir in einem winzigen Tal eine Pause eingelegt hatten, war Zoey unbemerkt neben mir aufgetaucht. Aus ihrer Stimme sprach keine Verzweiflung, Panik oder Trauer, es war eine schlichte Feststellung.
"Wahrscheinlich, ja. Aber noch haben wir eine Chance, so klein sie auch sein mag." Mein Blick schweifte über mein Team; zwei Drittel gehörten zu den Rekruten, die anderen hatte Damon vermutlich mitgeschleppt, damit wir ein paar mehr Leute waren. Wenn man gerade davon spricht...
"Ich verstehe überhaupt nicht, was wir hier sollen! Ich bin extra Ärztin geworden, um sowas zu vermeiden", ereiferte sich ein unscheinbares Mädchen. Kurz überlegte ich, ob ich antworten sollte, ließ es dann aber bleiben. Das hatte sowieso keinen Zweck.
Anne hingegen schien das anders zu sehen, sie hatte sogar eine Theorie über die Anwesenheit der Ärzte und Wissenschaftler. "Im Krieg kannst du auch nicht die ganze Zeit im Hauptquartier sitzen. Jeder sollte lernen sich im Notfall vor feindlichen Truppen zu verstecken, deswegen bist du hier." Die Angesprochene setzte gerade zu einer Erwiderung an, als drei leise Glockenschläge unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkten.
"Die Jagd hat begonnen", murmelte ich leise. Allmählich bezweifelte ich immer mehr, dass wir gewinnen konnten.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now