63. Kapitel

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"Hältst du mich irgendwie für blöd? Ich werde ganz sicher nicht vollkommen wehrlos mit dir reden. Mal ganz davon abgesehen, dass das letzte Mal, als du mit mir reden wolltes, darin geendet hat, dass ich ununterbrochen geschrien habe. Das kannst du sowas von vergessen", zischte ich und umklammerte die Pistole fester. Wie konnte er auch nur eine Sekunde lang annehmen, dass ich auf seinen Vorschlag eingehen würde? Eher würde ich ihn töten, als das zu tun. Oder zumindest schwer verletzen.
"Nein, ich halte dich nicht für blöd, ganz im Gegenteil", antwortete Damon gelassen. "Aber ich befürchte, dass du im Moment nicht ganz zurechnungsfähig bist."
"Was soll das denn bitte heißen?" Misstrauisch verfolgte ich jede seiner noch so kleinen Bewegungen. Er hatte irgendetwas vor, doch ich kam einfach nicht dahinter, was es war. Doch noch schlimmer war es, dass ich mir so verdammt hilflos vorkam. Obwohl eigentlich ich diejenige mit der Waffe war und somit die Oberhand in dieser unangenehmen Situation haben sollte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass Damon in Wirklichkeit nicht einen Augenblick lang die Kontrolle verloren hatte. Alles, von seiner lockeren Haltung über seinen bedächtigen Tonfall bis hin zu der Unerschütterlichkeit mit der er mir in die Augen sah und die, auf ihn gerichtete, Waffe vollständig zu ignorieren schien, zeigte, wie sicher er sich seiner Sache war.
"Das soll heißen, dass du gerade nicht in der Lage bist, rational zu denken. Du hast Angst und diese Angst überstimmt wiederum deine Vernunft, die dir dringend rät, mir zuzuhören", erklärte er. Hätte er mich nicht so ernst angesehen, hätte ich das für einen schlechten Scherz gehalten. Woher zur Hölle wollte Damon wissen, wie es mir ging? Er hatte nicht die leiseste Ahnung und tat so, als würde er mich verstehen. Nachvollziehen, wie ich mich fühlen musste.
Nichts davon war wahr. Er würde nie auch nur ansatzweise erahnen, wie schlecht es mir ging. Er würde nie wissen, was er mir angetan hatte. Und er würde erstrecht nie das fühlen, was ich fühlte. Die Ungläubigkeit, der Schock, die Verständnislosigkeit, die Trauer, die Wut und schließlich die Kälte. Diese alles umfassende Kälte, um zu verhindern, dass man noch einmal so hinterhältig verraten wird.
Und genau diese Kälte erfasste mich wieder, verdrängte die Angst und machte Platz für die Wut und den Hass. "Tut mir furchtbar Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber du hast mich noch nicht durchschaut. Meine Vernunft sagt keinen Ton davon, dass ich dir zuhören sollte. Sie ist der Meinung, dass ich dich bestenfalls doch noch erschießen sollte, wenn du nicht bald verschwindest."
Ich genoss die winzige Unsicherheit, die kurz in seinen Augen aufblitzte, ehe er wieder eine neutrale Miene aufsetzte. Also war er doch nicht so überzeugt, wie er tat.
Ein verhaltenes Räuspern neben mir lenkte meine Aufmerksamkeit auf Maria. "Ich will mich ja wirklich nicht einmischen, aber vielleicht sollten wir das doch auf eine....friedliche Art klären", sagte sie unsicher und erntete ein heftiges zustimmendes Nicken von Haley und Toni.
"Ich...", setzte ich an.
"... sehe das ganz genauso", unterbrach Damon mich.
Panisch flog mein Blick wieder zu ihm - und ließ mich erschrocken zurücktaumeln. Er hatte meine kurzzeitige Unaufmerksamkeit ohne den Hauch eines Zögerns ausgenutzt. Der Anflug eines Grinsens lag auf seinen Lippen, während er nur wenige Zentimeter vor mir stand und meine Überraschung auszukosten schien.
Zum wiederholten Mal an diesem Tag war ich wie erstarrt; gefangen von diesen blauen Augen, die meinen Körper einzufrieren drohten. Die lähmende Furcht griff wieder nach mir, verhinderte, dass ich mich wehren konnte.
Mit einer blitzschnellen Bewegung riss Damon mir die Pistole aus der Hand, ehe ich sie doch noch benutzen konnte.
Panisch wich ich zurück, während ich versuchte wenigstens einen Funken des Mutes von vorhin wieder zu finden. Wie konnte es sein, dass er mich von einer Sekunde zur nächsten so einschüchtern konnte, nur weil er wieder in meiner Nähe war?
"Ich verspreche dir, dass ich dir alles erklären werde, aber erst müssen hier verschwinden", drängte er und griff erneut nach meinem Arm, um mich zu sich zu ziehen.
Im selben Moment als ich verstand, was er vorhatte, riss ich mich los und nutzte meine gesamte verbliebene Kraft, um ihn quer durch den Raum zu schleudern. Der Aufprall ließ die Bilder an den Wänden erzittern und Maria erneut aufschreien. Ich erinnerte mich kurz, dass sie überhaupt keine Ahnung von meiner Fähigkeit Telekinese einzusetzen hatte, als ich reflexartig die Arme hochriss.
Damon hatte sich von meinem Angriff nicht im geringsten irritieren lassen, obwohl die Landung sehr schmerzhaft gewesen sein musste. Innerhalb von Sekunden war er wieder bei mir, doch zu meiner Überraschung fand ich mich nicht in einer festen Umklammerung wieder. Stattdessen war ich noch immer frei.
Verständnislos stand ich mit leicht erhobenen Armen in Abwehrhaltung da und starrte Damon an. Er befand sich keinen halben Meter mir entfernt, hatte verärgert die Stirn gerunzelt.
Langsam, beinahe wie in Zeitlupe streckte er die Hand nach mir aus - und stoppte mehrere Handbreit vor mir wieder.
Ich beobachtete verwirrt, wie in der Luft herumtastete, als würde er eine Schwachstelle in einer unsichtbaren Wand suchen.
Wieso zur Hölle tat er das? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, außer....
Meine Überlegungen wurden von einem harten Schlag auf Höhe meines Kopfes unterbrochen. Er kam so schnell, dass ich es nur noch schaffte, die Augen zu schließen und zu beten, dass ich sofort ohnmächtig werden würde.
Doch der erwartete Schmerz blieb aus, stattdessen hörte ich nur Damons unterdrücktes Fluchen. Verblüfft öffnete ich die Augen wieder und versuchte das Bild, das sich mir bot, zu verstehen.
Damon stand noch immer an der selben Stelle, doch anstatt mich endgültig aus dem Haus zu schleifen, betrachtete er seine rechte Hand. An sich nichts Ungewöhnliches, doch zwei Tatsachen verwirrten mich noch mehr. Zum einen hatte ich keine Ahnung, warum er mich nicht verletzt hatte, doch die Frage die noch viel dringender war, war: was hatte er dann getroffen? Was auch immer es war, es musste ziemlich hart gewesen.
Seine Fingerknöchel waren aufgeschürft und bluteten, als hätte er zu oft gegen eine Wand geschlagen.
Natürlich, eine Wand! Ein unwillkürliches Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als ich endlich verstand. Irgendwie hatte ich es geschafft, durch Telekinese eine unsichtbare Wand vor mir zu schaffen und Damon war offenbar nicht in der Lage, sie zu überwinden.
"Das hälst du nicht ewig durch, Prinzessin", murmelte er und begann erneut nach Schwachstellen zu suchen. "Hör auf mit diesem kindischen Spielchen und sei wenigstens einmal vernünftig." Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, lief er in Sekundenschnelle einige Meter zurück, um sich mir dann von links zu nähern. Sein siegessicheres Lächeln erstarb jedoch augenblicklich wieder und machte einem frustrierten Knurren Platz, als er feststellen musste, dass er auch hier von einer Wand blockiert wurde.
Wie auch immer ich das geschafft hatte, ich hatte es gründlich erledigt. Solange mich nicht plötzlich die Kraft verließ, war ich vollkommen sicher. Erleichtert entspannte ich mich etwas, achtete jedoch darauf, meine Energie weiterhin auf den unsichtbaren Raum um mich herum zu konzentrieren. "Es ist mir sowas von egal, was ich deiner Meinung nach tun sollte, Damon. Verschwinde einfach und lass mich in Frieden, dann sind wir beide glücklicher", sagte ich.
"Ich dachte eigentlich ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt. Ich werde nicht ohne dich gehen", entgegnete er und baute sich wieder mir gegenüber mit verschränkten Armen auf. "Komm da sofort raus."
Einen Teufel würde ich tun. Solange ich hier drin war, konnte er mir drohen wie er wollte, es würde nichts nützen. Zugegebenermaßen in einer anderen Situation wäre ich spätestens jetzt eingeschüchtert genug gewesen, um seinen Befehl zu befolgen, doch noch fühlte ich mich sicher genug in meinen kleinen vier Wänden, um Widerstand zu leisten. "Lass mich überlegen....nein, ich denke nicht, dass ich bald raus kommen werde", antwortete ich grinsend. Bis jetzt spürte ich keinerlei Zeichen der Erschöpfung, also würde ich es wohl noch eine ganze Weile länger durchhalten.
"Selbst wenn das bedeutet, dass deine Freunde hier sterben werden? Und bevor du mich jetzt anschreist, dass das nicht mein Ernst sein kann, solltest du wissen, dass nicht ich es bin, der eine Gefahr für sie darstellt." Er hob eine Augenbraue und sah mich abwartend an.
Verzweifelt dachte ich über seine Worte nach, versuchte herauszufinden, ob er die Wahrheit sagte oder nur bluffte. Wenn er Recht hatte und ich nicht das tat, was er sagte, würden Haley, Maria und Toni sterben. Wenn er jedoch log, würde ich meine sichere Position völlig umsonst aufgeben. "Und wer ist dann die Gefahr, wenn du es nicht bist?", fragte ich in der Hoffnung, ihn so aus dem Konzept zu bringen. Doch mein Plan erzielte nicht das gewünschte Ergebnis, Damon zögerte nicht eine Sekunde ehe er mir antwortete. "Elite-Soldaten der Regierung und glaub mir, die werden nicht zögern, jeden in diesem Raum abgesehen von dir und mir umzubringen."
"Elite-Soldaten", ich lachte zynisch. "Und was bist du dann, wenn ich fragen darf? Oder willst du mir damit sagen, dass du schon wieder die Seiten gewechselt hast?"
Meine Frage entlockte ihm ein genervtes Stöhnen, bevor er sich plötzlich umdrehte und in Richtung Tür lief.
"Wo willst du hin?", rief ich ihm irritiert nach und ärgerte mich im selben Moment darüber. Ich sollte froh sein, dass er offenbar verschwinden wollte anstatt mir Gedanken zu machen, warum er das tat.
"Ich sorge dafür, dass wir nicht in irgendeinem Labor landen, vielleicht solltest du das au-" Ein lautes Klopfen unterbrach ihn. Ausnahmslos jeder im Raum starrte geschockt zur Tür. Damons Schreckensgeschichte über Soldaten, die uns angreifen würden, hatte nicht nur auf mich Eindruck gemacht. Es war so still, dass eine zu Boden fallende Nadel laut geklungen hätte.
Wie hypnotisiert ließ ich die Tür nicht aus den Augen, wartete mit angehaltenen Atem auf das unweigerlich Folgende.
Umso erschrockener war ich, als Damon plötzlich wieder neben mir stand. Zu meinem Entsetzen war ich so abgelenkt gewesen, dass ich meine schützende Mauer fallengelassen hatte. Bevor ich es verhindern konnte, hatte er schon die Arme um mich geschlungen und mich schlagartig neben die Tür gebracht.
Ein erneutes Klopfen ließ mich zusammenzucken, während ich ununterbrochen versuchte mich aus Damons festen Griff zu befreien.
"Niemand bewegt sich oder sagt ein Wort, verstanden?", warnte er uns leise. Nicht dass irgendjemand etwas anderes vorhatte. Maria, Haley und Toni schienen zu verängstigt zu sein, während ich gerade genügend Bewegungsfreiheit hatte, um atmen zu können.
In den nächsten Minuten blieb alles still, so dass ich bereits zu hoffen wagte, dass es vielleicht doch nur ein Nachbar war, der nach dem Rechten sehen wollte. Gerade als ich es wagen wollte, Damon darauf hinzuweisen, dass er völlig übertrieben reagiert hatte, flog die Tür mit einem Ruck auf.
Der Schrei, der sich in meiner Kehle anbahnte wurde gerade noch rechtzeitig von Damons Hand erstickt. Bestürzt sah ich mit an, wie ein halbes Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer in den Raum stürmte. Vorerst richteten sie ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Haley, Maria und Toni, doch es würde nicht lange dauern, bis sie auch mich und Damon entdeckten.
"Uns wurde berichtet, dass sich eine gewisse Lola Shepherd in diesem Haus befindet. Sie ist eine gesuchte Verbrecherin und wenn auch nur der leisesten Verdacht aufkommt, dass sie tatsächlich hier war, sind Sie alle des Hochverrats angeklagt", erklärte einer der Männer in einem Tonfall, als hätte er gerade über das Wetter geredet.
Was als nächstes passierte, konnte ich nur erahnen. Damon nutzte die Unaufmerksamkeit der Männer und brachte mich blitzschnell lautlos nach draußen. "Was...", setzte ich an, ehe er mir erneut den Mund zu hielt.
"Bleib hier und geh auf keinen Fall wieder in das Haus, wenn dir dein Leben zumindest einigermaßen wichtig ist."
Bevor ich protestieren konnte, war er verschwunden und ließ mich allein in der Dunkelheit stehen.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang