4.Kapitel

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Man, meine Flucht hatte ich mir echt nicht so kompliziert vorgestellt; aber da sah mans mal wieder: wir lernten in der Schule am Leben vorbei. Ich fragte mich sowieso, wie wir alle einen Teil zur Gesellschaft beitragen sollten, wenn wir nicht mal wussten, wie eine U-Bahn funktioniert, geschweige denn ob und wo wir Tickets kaufen mussten.
"Willst du dich nicht hinsetzen?" Ein schwarzhaariges Mädchen in meinem Alter sah mich fragend an. Natürlich, ich stand ja noch immer an der Tür, während alle anderen Passagiere saßen; super Lola, damit hast du dich mal wieder sehr unauffällig verhalten. Um die Situation noch irgendwie zu retten, stammelte ich schnell "ähm..ja klar...ich hatte nur überlegt, ob das hier auch meine Bahn ist..." und ließ mich auf den Ledersitz neben dem Mädchen fallen.
Neugierig ließ ich meinen Blick durch den Gang gleiten, es war unglaublich wie faszinierend selbst die einfachsten Sicherheitsschilder und Haltegriffe waren, wenn man so etwas noch nie in echt gesehen hatte. Viel spannender war es jedoch, die anderen Menschen hier unauffällig zu beobachten; da war die alte Frau links von mir, die kurz davor war einzuschlafen, der Mann im Anzug, der neben seiner Aktentasche die heutige Zeitung liegen hatte und einen Kaffee trank, oder die beiden Frauen, die jeweils ein kleines Kind auf dem Arm hatten und sich angeregt unterhielten.
"Du bist zu unruhig." Das Wispern war so leise, dass niemand außer mir es hätte hören können und selbst ich hätte es nicht mitbekommen, wenn ich nicht auf jedes kleinste Geräusch horchen würde, um notfalls abzuhauen. Vorsichtig schielte ich zu ihr rüber, sie schien jedoch weiterhin in das Buch auf ihrem Schoß vertieft zu sein. Seltsam, ich hätte schwören können, etwas gehört zu haben...
"Ich meins Ernst. Hör auf so rumzuzappeln, das fällt auf."
Überrascht hielt ich in meiner fortschreitenden Beobachtung des Wagens inne; ich hatte mich also doch nicht getäuscht, aber warum sagte sie das? Ahnte sie etwa, dass ich auf der Flucht war? Unsicher was ich tun sollte, versuchte ich zumindest ihren Rat zu beherzigen und mich zu entspannen.
Plötzlich verlangsamte sich die Bahn, bis sie schließlich vollends stehen blieb. Verwirrt sah ich aus dem Fenster, wir befanden uns noch immer in einem Tunnel und weit und breit war keine Haltestelle zu sehen, also warum fuhren wir nicht weiter? Ich wurde erneut unruhig, besonders als ich erkannte, dass die anderen Passagiere auch nicht zu wissen schienen was los war, das hier war also definitiv nicht normal. "Es besteht kein Grund zur Sorge, das hier ist nur eine Routineuntersuchung. Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen und halten Sie Ihre Ausweise bereit." Drei schwarz gekleidete Männer betraten das Abteil und wandten sich den beiden Müttern zu; panisch versuchte ich ruhig zu bleiben, vielleicht wollten die meinen Ausweis, den ich logischerweise nicht hatte, gar nicht sehen, oder ich würde nur eine Verwarnung bekommen, weil ich ihn nicht mit hatte. Unglücklicherweise schienen sie jedoch alle Personen zu kontrollieren, sodass es allmählich wirklich Zeit für einen Notfallplan war. Sollte meine Flucht schon jetzt zu Ende sein? Das durfte einfach nicht passieren, ich musste hier irgendwie weg, aber die Türen waren versperrt und durchs Fenster konnte ich auch nicht....
"Also das ist ja wohl eine Unverschämtheit!" Meine Sitznachbarin war wütend aufgesprungen und stellte sich den Beamten in den Weg. "Wie kann es sein, dass Sie einen ungeplanten Zwischenstopp einlegen?! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie eilig meine Kollegin und ich es haben?! Wegen Ihnen kommen wir noch zu spät und..." Moment mal, welche Kollegin? Ich sah nirgendwo jemanden, die zu ihr gehören könnte. Der erste Mann fiel ihr ins Wort. "Wir benötigen lediglich 10 Minuten, ich bin sicher, dass Sie diese Verspätung verkraften können."
"Nein, eben nicht!", sie funkelte ihn aggressiv an. "Wenn wir nicht auf die Minute pünktlich sind, wird das ganze Verkehrsnetz New Yorks zusammenbrechen. Wollen SIE daran schuld sein?!"
Mittlerweile beobachteten wir alle diesen skurrilen Streit, das wäre eigentlich meine ideale Fluchtchance gewesen, doch aus irgendeinem Grund blieb ich sitzen.
"Nun dann...", der Typ fuhr sich nervös durch die Haare und sah hilfesuchend zu seinen Kollegen.
"Dann werden Sie mich und Ms. Anderson jetzt bitte entschuldigen, hier ist mein Ausweis.." Sie hielt den dreien eine kleine Karte einen winzigen Moment vor die Nase und drehte sich um. Mit schnellen Schritten ließ sie die verblüfften Männer stehen und kam auf mich zu.
"Bereit, Anderson?" Hä, jetzt verstand ich gar nichts mehr, warum sprach sie mich mit 'Anderson' an? Ich brachte gerade noch ein unüberlegtes "Ja" heraus, als sie mich bereits am Arm packte und alles um mich herum verschwamm.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt