48. Kapitel

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"Schön, dass du es auch noch geschafft hast, dann können wir ja endlich los." Damon streifte mich mit einem kurzen Seitenblick, ehe er sich wieder dem Rest der Gruppe zuwandte. "Für alle, die's nicht wissen, das ist Lola. Sollte ich aus irgendeinem Grund abwesend sein, hat sie das Kommando." Achso? Danke, dass ich das auch noch erfahren habe. Unsicher musterte ich die anderen; wie zu erwarten kannte ich niemanden persönlich, das konnte ja was werden.
Seufzend heftete ich mich an Damons Fersen, während wir in Richtung des nächsten Ausgangs liefen. Warum nur hatte ich das Gefühl, dass heute noch irgendetwas gewaltig schief gehen würde?
"Warum hat das überhaupt so lange gedauert? Ursprünglich wollten wir schon seit 10 Minuten weg sein", er sah mich vorwurfsvoll an, woraufhin ich die Augen verdrehte. Als ob das meine Schuld gewesen wäre. "Tut mir leid, dass ich mir erstmal eine Schussweste und Waffen besorgen musste. Wenn ich gewusst hätte, dass du's so eilig hast, hätte ich das einfach gelassen und wäre so gekommen." Dabei konnte ich schon von Glück reden, dass man als Offizier anscheinend ungehinderten Zugang zum Waffenlager hatte. Noch eine Sache, über die mich niemand aufgeklärt hatte. "Ist das überhaupt so eine gute Idee, einfach durch New York zu laufen? Ich meine, wir sind ja nun nicht gerade unauffällig."
Mittlerweile waren wir am Ausgang angekommen und Damon sah mich belustigt an. "Sag bloß, du hast Angst?" Natürlich hatte ich Angst, ich wäre dumm, wenn nicht. Immerhin begaben wir uns geradewegs in feindliches Gebiet, da sollte man zumindest einen gewissen Respekt haben. "Du nicht?" Als Antwort schüttelte er nur leicht den Kopf und schob die Tür auf. Seltsam eigentlich, dass sie nicht verschlossen war, aber möglicherweise konnte man sie ja nur von innen so leicht öffnen.
Geblendet von der plötzlichen Helligkeit kniff ich für einen Moment die Augen zusammen, ehe ich mich blinzelnd umsah. Wir befanden uns, soweit ich das beurteilen konnte, in einem kleinem Waldstück am Rande New Yorks. Und bis jetzt waren wir, abgesehen von einigen Eichhörnchen und Vögeln, vollkommen allein. Das war schonmal besser, als inmitten der Großstadt herauszukommen. Andererseits hatte es den Nachteil, dass unser Eingang vermutlich relativ schwer zu finden war, wenn wir es eilig hatten. Vorsichtshalber beschloss ich, mir unsere momentane Position so gut wie möglich einzuprägen und drehte mich wieder zur Tür - die verschwunden war. Stirnrunzelnd starrte ich an die Stelle, wo sie eigentlich sein müsste. Lediglich mehrere Bäume und Büsche waren zu sehen, keine Spur von einem Eingang. Außer natürlich...Nein, das war zu absurd. Oder? Zweifelnd blieb mein Blick an einer alten Eiche hängen. "Wir sind jetzt nicht ernsthaft aus einem Baum gekommen."
"Doch, sieht ganz danach aus. Ich frage mich bloß, wie wir den wiederfinden sollen, aber das ist ja nicht mein Problem", ein braunhaariger Junge grinste mich an. "Ich bin übrigens Nick."
"Hi", ich lächelte vorsichtig. "Wahrscheinlich verirren wir uns eher in diesem Wald, als wieder zurückzufinden. Ich hoffe einfach mal, Damon weiß, was er tut." Und das hoffte ich wirklich. Mit ein bisschen Pech würden wir nämlich sonst den morgigen Tag nicht mehr erleben beziehungsweise in irgendeiner Gefängniszelle auf unseren Tod warten. Nicht unbedingt eine angenehme Vorstellung.
"Wollt ihr zwei noch Wurzeln schlagen oder kommt ihr dann?" Während Nick und ich uns den Baum angesehen hatten, war der Rest unserer Gruppe offenbar bereits aufgebrochen. Auf Damons Frage verdrehten wir gleichzeitig die Augen und setzten uns in Bewegung. Wie's aussah, würden wir wohl sowas wie die Nachhut bilden; sollte mir nur Recht sein, besser als ganz Vorne.
"Bin ich eigentlich die Einzige, die nicht ganz freiwillig mitgekommen ist?", murmelte ich leise und versuchte nicht über die unzähligen Wurzeln und herumliegenden Äste zu stolpern.
"Das bezweifle ich. Abgesehen von zwei oder drei Leuten hat wohl niemand hier sonderlich große Lust, heute schon zu sterben." Warum sollte überhaupt irgendjemand heute sterben wollen? Verwirrt dachte ich über Nicks Antwort nach. Bevor ich ihn jedoch fragen konnte, was das bedeutete, hob Damon einige Meter vor uns kurz die Hand, woraufhin alle stehen blieben. Nach einer weiteren Bewegung sanken alle beinahe synchron lautlos auf den Boden. Naja, wie gesagt, beinahe. Ich sollte wirklich mal diese ganzen Handzeichen lernen.
So harrten wir einige Minuten bewegungslos aus. Am liebsten hätte ich gefragt, was denn los war, aber das wäre vermutlich eine ziemlich miese Idee gewesen. Stattdessen suchte ich so gut wie möglich die Umgebung ab, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Hatte Damon etwas bemerkt, was ich nicht sehen konnte? Oder war es schlicht und einfach übertriebene Vorsicht?
Meine Antwort erhielt ich in Form eines ohrenbetäubenden Lärms und starkem Wind, die sich uns immer weiter näherten. Warum zum Teufel fiel mir das eigentlich erst jetzt auf?
Ungläubig beobachtet ich, wie eine gigantische Mischung aus einem Flugzeug und einem Helikopter knapp über den Baumwipfeln einige Meter von uns entfernt in Richtung Osten flog. Das war es also, wovor wir uns versteckten. Ich glaube, in diesem Moment wurde mir klar, mit wem wir uns eigentlich angelegt hatten. Ich meine, die Regierung hatte verdammt große Kampfhubschrauber und vermutlich noch hunderte andere Dinge, mit denen sie uns innerhalb von Sekunden dem Erdboden gleich machen konnte. Wie um Himmels Willen sollten wir gegen diese Übermacht gewinnen?
Meine Befürchtungen wurden sogar noch übertroffen, als wir nach einem etwa 5-minütigem Fußmarsch die Spitze eines kleinen Hügels erreichten. Nacheinander robbten wir auf dem Bauch weiter, bis wir, hoffentlich, ungesehen auf ein weit gestrecktes Tal blicken konnten. Ringsherum waren nur Bäume und dichte Sträucher, doch was in dem Tal war, ließ wohl jeden erschrocken Luft holen.
"Macht euch bloß keine Hoffnungen, dass ist nur eine kleine Militärbasis", flüsterte Damon neben mir. "Du machst Witze", zischte ich zurück und starrte erneut nach unten. Wenn das eine kleine Militärbasis sein sollte, wollte ich wirklich keine große sehen. Das Lager musste mindestens 12 Quadratkilometer umfassen, wahrscheinlich sogar mehr. Ein hoher Stacheldrahtzaun sollte wohl alle unbefugten Menschen davon abhalten, das Gelände zu betreten, doch meiner Meinung nach war der vollkommen unnötig. Das halbe Dutzend Kampfhubschrauber plus mehrere Panzer plus einen Haufen, bis an die Zähne bewaffnete, Wachen würden wohl jeden davon abhalten sich auch nur bis auf 100 Meter zu nähern. Außer man war lebensmüde. Was anscheinend auf uns zutraf.
Nach einem letzten beunruhigten Blick in das Tal krabbelte ich wieder zurück, bis ich eine kleine Lichtung erreichte. Wenn ich mich nicht verzählt hatte, waren alle anderen meiner Gruppe bereits dort, ich war also mal wieder die Letzte.
"Ich würde sagen, damit ist endgültig bewiesen, dass wir nicht die Einzigen sind, die Kriegsvorbereitungen treffen", murmelte ein junge Frau und sah sich nervös um. Ein zustimmendes Nicken von der Mehrheit der anderen bestätigte ihre Worte - und das insgeheime Bedürfnis, hier schnellstens zu verschwinden. Unglücklicherweise schien das nicht jeder so zu sehen.
"Wir müssen noch näher dran; vielleicht findet sich irgendwo ein Hinweis auf eine Schwachstelle." Nachdenklich schweifte Damons Blick über uns, bis er bei mir hängen blieb.
"Nein, ganz sicher nicht", wehrte ich vehement ab, "Das wäre glatter Selbstmord, die kriegen uns garantiert." Bevor ich dort runter ging, musste schon die Welt untergehen. Meiner Meinung nach hatten wir definitiv genug gesehen und sollten lieber dafür sorgen, dass wir hier lebend wegkamen.
"Mich nicht. Ihr wartet hier." Ohne mir Zeit für eine Erwiderung zu lassen, verschwand Damon blitzschnell in Richtung der militärischen Basis. Das konnte doch jetzt unmöglich sein Ernst sein, wenn er geschnappt wurde, waren wir alle in Gefahr. Dass wir uns vollkommen allein in diesem undurchschaubarem Wald vermutlich innerhalb von Minuten verirren würden, sollten wir fliehen müssen, hatte er vermutlich auch nicht bedacht.
"Und was jetzt?" Nick sah mich fragend an, woraufhin ich nur ratlos mit den Schultern zuckte. "Warten, schätze ich. Und hoffen, dass sie ihn wirklich nicht gefangen nehmen können."
"Du schätzt?! Du bist Offizierin, es ist dein Job, uns hier lebend rauszubringen", keifte ein Mädchen in meinem Alter hysterisch.
"Ruhe verdammt nochmal oder wir sterben wirklich noch", zischte ich sie wütend an. Mit dem Geschrei würde sie die feindlichen Truppen eher früher als später auf uns aufmerksam machen. "Wenn du dafür sorgst, dass irgendjemand auf uns aufmerksam wird, könnte nicht einmal Damon höchstpersönlich dafür sorgen, dass alle überleben." Immerhin war sie jetzt still, ich schien ja doch so etwas wie Durchsetzungsvermögen zu besitzen. Für einen Moment war nur das leise Rauschen des Windes in den Blättern zu hören, während jeder in seine Gedanken versunken war.
"Hört ihr das auch?", unterbrach eine unsichere Stimme die Stille. Augenblicklich fragten alle "Was?" und redeten wild durcheinander. Augenverdrehend hob ich, wie Damon vorhin, die Hand, bis alle verstummten. "Wir können logischerweise nichts hören, wenn alle reden", sagte ich genervt und lauschte nun selbst. Tatsächlich, scheinbar aus einigen Kilometern Entfernung drang ein leises Geräusch bis zu uns hervor. Was genau das war, konnte ich jedoch nicht sagen, klang irgendwie wie....
"Ein Alarm", unterbrach Nick meine Gedanken. "Das ist ein Alarm, sie müssen Damon entdeckt haben." Zu meiner Überraschung brach diesmal keine Panik aus, stattdessen waren alle ohne Ausnahme ruhig, lediglich die umherhuschenden Blicke verrieten ihre Nervosität. Dafür war ich es jetzt, die am liebsten schreiend davongelaufen wäre; Damon hatte gesagt, dass ich in seiner Abwesenheit das Kommando hatte, also musste ich jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wäre die Situation anders, würde ich mir vermutlich keine großartigen Sorgen machen, doch das hier war real. Niemand würde kommen und mir sagen, was ich tun sollte und einen Fehler durfte ich mir nicht erlauben, sonst würden wir am Ende wirklich nicht alle mit dem Leben davonkommen.
Der Alarm und der daraus resultierende Lärm wurden immer lauter, gleichzeitig traf ich eine Entscheidung. Möglicherweise würde ich sie irgendwann bereuen, aber sie erschien mir als die einzig Richtige. "Wir verschwinden. Jetzt."
Die meisten schienen erleichtert zu sein, doch einige sahen mich ungläubig an. "Aber Damon hat gesagt..." "Wir müssen davon ausgehen, dass Damon gefangen genommen wurde, somit tritt seine Anweisung außer Kraft", unterbrach ich den jungen Mann und drehte mich in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Blieb zu hoffen, dass mein Orientierungssinn einigermaßen gut war.
"Sollten wir nicht versuchen, ihm zu helfen?", fragte Nick, während er neben mir herrannte. Meine Antwort bestand aus einem Kopfschütteln, meiner Stimme traute ich im Moment nicht. Alles in mir schrie danach umzukehren und alles zu tun, um Damon zu befreien, sollte er tatsächlich in Gefangenschaft geraten sein. Doch das wäre ein im Vornherein sinnloses Unterfangen, wir waren zehn gegen....tausend? Zweitausend? Nein, das Risiko konnte und wollte ich nicht eingehen. Und im Endeffekt war ich doch genau dafür hier, irgendjemand musste die unangenehmen Entscheidungen treffen.
"Ich glaube, der Baum war es", das hysterische Mädchen von vorhin hatte sich wieder beruhigt und tastete bereits eine große Eiche nach einem geheimen Schalter oder etwas ähnlichem ab, während ein Schuss in der Nähe uns alle zusammenzucken ließ. Wie erwartet suchte uns also wirklich jemand, wäre auch zu schön gewesen, wenn nicht.
"Komm schon, komm schon", murmelte ich verzweifelt und ließ den Wald vor uns nicht aus den Augen. Wenn das doch nicht unser Eingang war, hatten wir ein gewaltiges Problem.
"Geschafft!", rief sie erleichtert. Ohne einen Blick nach hinten nickte ich, richtete meine Waffe jedoch weiterhin auf die Bäume. "Alle rein, beeilt euch." In diesem Moment erspähte ich einen mir unbekannten Mann mehrere Meter vor uns. Und der Typ hatte ein Gewehr, der gehörte definitiv nicht zu uns. Ich zögerte nicht weiter und schoss; gleichzeitig sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich jemand neben mich in Position begab und einen Mann links von mir erschoss. "Ich würde sagen, wir haben ein Problem", murmelte Nick und zielte erneut.
"Würde ich auch sagen. Sind wir wenigstens vollzählig, abgesehen von Damon?" Inzwischen erwiderten unsere Feinde das Feuer, sodass wir uns vorerst hinter zwei Kastanienbäumen verschanzten.
"Ja, aber ich habe keine Ahnung, wie wir jetzt entkommen sollen, ohne dass die merken, wo der Eingang ist." Hochkonzentriert lehnte er sich kurz nach rechts und traf mehrere Männer, ehe sie reagieren konnten.
Das war wohl die entscheidende Frage, abgesehen von uns waren bereits alle durch die geheime Tür im Baum verschwunden, wir brauchten irgendeine Ablenkung. "Hast du schonmal eine Handgranate geworfen?" Das war das Einzige, was mir auf die Schnelle eingefallen war. Nick starrte für ein paar Sekunden ungläubig die kleine Bombe in meiner Hand an, ehe er den Kopf schüttelte. "Nein, aber ich gebe dir Deckung." Großartig, dann sollte ich wohl hoffen, dass ich uns nicht selbst in die Luft jagte. Vorsichtig lief ich geduckt einige Meter weiter, während um mich herum noch immer geschossen wurde. Jetzt oder nie, ich holte ein letztes Mal tief Luft und zog den Stift heraus, um die Bombe zu zünden. Für einen Moment war ich so erleichtert, dass sie nicht sofort hochging, dass ich vollkommen vergaß, sie zu werfen.
"Lola, wirf das Ding weg!", brüllte Nick von seiner Position aus. Erschrocken tat ich, was er gesagt hatte und ließ mich direkt danach flach auf den Boden fallen. Keine Sekunde zu früh, denn die Granate explodierte nur wenige Meter entfernt mit einer starken Druckwelle. Augenblicklich rappelte ich mich wieder auf und rannte zu der geheimen Tür, wo Nick bereits wartete. Ohne einen Blick zurück schlüpften wir hindurch und knallten sie hinter uns zu. Wir waren in Sicherheit.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now