Kapitel 9

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"Also, Eisprinzessin, gehen wir jetzt zusammen in den Unterricht oder nimmst du mich ne Runde auf deinem Fluggerät mit?", höre ich Riley sagen und kann nicht glauben, dass er das vorgeschlagen hat. "Du auf einem Besen? Das will ich erleben!", bricht es kichernd aus mir heraus, bevor ich es verhindern kann. Wir sehen uns gegenseitig überrascht an, aber wir haben es gesagt. Und bevor einer von uns sein Angebot zurück zieht quälen wir uns lieber da durch. "Hoffentlich sieht uns niemand.", murmel ich eher zu mir selbst, als sich Riley hinter mich auf den Besen schwingt.

Sein abwertendes Schnauben sagt mir jedoch, dass er mich trotzdem gehört hat. Und auch die Worte, die er mir leise ins Ohr flüstert und mir damit einen Schauer über den Rücken jagt. "Das glaubt sowieso niemand. Da sind ja Halluzinationen wahrscheinlicher.", gibt er zurück und legt einen Arm um meine Taille, um sich festzuhalten. Ich hätte gedacht, dass es unangenehm wäre, wenn er mich berührt, doch so ist es nicht. Dieses Schuljahr wird immer merkwürdiger!

"Festhalten, Wolf, jetzt zeig ich dir mal, wie eine richtige Hexe fliegt!", lache ich, einfach, weil diese Situation so vollkommen absurd ist. Riley und ich stehen seit vier Jahren auf Kriegsfuß. Und jetzt, wo meine gesamte Welt in Trümmern liegt, scheint er der Einzige zu sein, der mich versteht und dem es gelingt mich aufzuheitern. Etwas, dass ich nie für möglich gehalten hätte. Und doch sitzen wir jetzt gemeinsam auf einem Besen, während sich der Boden immer weiter entfernt und der Arm sich immer fester um meine Taille schließt.

Lachend bleibe ich etwa zwanzig Meter über dem Boden schweben und sehe mich zu Riley um, der offensichtlich gemischte Gefühle hat, als er nach unten sieht. "Reicht es dir schon oder können wir noch ein bisschen?", grinse ich ihn herausfordernd an und weiß genau, dass er jetzt nicht den Schwanz einzieht. "Leg ruhig los, Prinzessin.", gibt er ruhig zurück, doch seine Augen verraten ihn. Sorge, Angst und Euphorie sind zu erkennen. Wenn er jetzt schon einen Adrenalinschub hat, dann wird er diesen Flug nie vergessen.

"Festhalten, jetzt geht es los.", lache ich auf und spüre, wie sich nun auch ein zweiter Arm um mich schließt und mich mit dem Rücken an eine breite Brust drückt. Da hat wirklich jemand Angst! Ohne jedoch weiter darauf zu achten lenke ich meinen Besen Richtung Wald. Weg von der Schule, damit uns niemand zufällig aus dem Fenster beobachten kann. Das hier ist eine Sache zwischen mir und ihm. Das ist unser kleines Geheimnis.

Ich spüre, wie mir der Wind durch die Haare fährt und mich immer weiter entspannt. Knapp fliegen wir über die Baumwipfel und beobachten, wie die Welt von oben aussieht. Nach einigen Minuten sitzt auch Riley nicht mehr so verkrampft hinter mir, sondern scheint den Flug ebenso zu genießen. "Vertraust du mir?", will ich neckend wissen und drehe mich so, dass ich ihm in die Augen sehen kann, während wir knapp über den Bäumen schweben.

"Das werde ich sowas von bereuen.", murmelt er eher sich selbst zu, doch ich habe es trotzdem gehört. "Ich vertraue auf deine Flugkünste, Hexe. Wehe, du bringst uns um.", knurrt er mir ins Ohr und verstärkt seinen Griff wieder. Lachend zwinkere ich ihm zu. Dann lasse ich den Besen ohne Vorwarnung in einen Sturzflug gehen und wir tauchen in den Wald ein. Nur geübte Flieger schaffen es sich so zwischen den Bäumen, Büschen und Ästen hindurch zu manövrieren. Aber fliegen war schon immer mein größtes Hobby und daher bin ich mehr als geübt darin.

Leider habe ich es nicht geschafft, Riley einen Schrei zu entlocken, sondern lediglich ein leises Knurren. Doch vielleicht bekomme ich das ja noch. Breit Grinsend ziehe ich den Besen nach oben, hinaus aus dem Wald und hinauf in den endlos weiten Himmel. Immer höher, bis ich uns in eine Spirale kippe und mich mit einem leise fluchenden Riley auf dem Besen wieder zur Erde nach unten schraube.

In letzter Sekunde ziehe ich den Besen wieder nach oben, um das Spiel erneut zu spielen. Mit Victoria und Selena habe ich das oft gemacht. Wir haben immer geschaut, wer sich am meisten traut. Die zwei haben nie gewonnen. Doch nach dem zweiten Mal entspannt sich der Wolf hinter mir schon, scheinbar macht es ihm ebenfalls so viel Freude wie mir. Zum Abschluss unseres Fluges ziehe ich den Besen noch einmal nach oben und wir machen einen Looping, bevor wir wieder auf der großen Wiese vor der Schule landen.

Als Riley absteigt braucht er erstmal einen kleinen Moment, bis ihn seine Füße wieder tragen, doch das breite Grinsen in seinem Gesicht spricht Bände. "Das ist fast so gut wie eine Jagd durch den Wald!", lacht er und kann einfach nicht aufhören mit Grinsen, was mich ebenfalls zum Lachen bringt. Adrenalin, ganz eindeutig! "Nur fast so gut? Das kann ich mir nicht vorstellen!", gebe ich arrogant zurück und wenn ich meine langen Haare noch hätte, dann hätte ich diese jetzt dramatisch über meine Schulter geworfen. So begnüge ich mich aber nur mit einem arroganten Blick, der Riley ebenfalls zum Lachen bringt.

"Ich könnte dich ja mal mitnehmen, Prinzessen.", schlägt er, plötzlich nachdenklich, vor. "Eine Hexe auf der Jagd? Das hat die Welt sicherlich noch nicht gesehen.", kichere ich und versuche mir vorzustellen, was Werwölfe im Wald wohl so treiben. Neugierig bin ich ja schon, aber ob ich das wirklich will ist die Frage.

"Wäre nur fair, Prinzessin. Schließlich habe ich mich gerade auch in deine Welt gewagt. Komm mich doch mal in meiner besuchen.", gibt er mit einem zwinkern zurück und wendet sich ab Richtung Internat. "Sag Bescheid, wenn du keinen Schiss hast!", ruft er noch, dann ist er verschwunden. Ich und Angst? Darauf kann er lange warten! Mir ist klar, dass er mich mit diesen Worten nur hat herausfordern wollen, doch ich kann das einfach nicht auf mir sitzen lassen. Das entspricht nicht meinem Wesen.

Als es klingelt gehe ich, immer noch über Riley nachdenkend, wieder ins Schulgebäude. Ich habe bereits genügend Unterricht verpasst, wenn man es genau nimmt den ganzen Vormittag, dann kann ich wenigstens jetzt wieder gehen. Aber erst einmal Mittagessen. Das Knurren meines Bauches unterstützt mich bei meiner Entscheidung und so mache ich mich auf den Weg in den Speisesaal. Hoffentlich gibt es etwas Leckeres. Und hoffentlich haben sich die anderen wieder einbekommen. Ich brauche keinen Haufen Glucken um mich herum!

Denn Dank Riley fühle ich mich wieder geerdet. Und auch wenn ich ihm das niemals sagen werde, hat er mir doch mehr geholfen, als er vielleicht denkt. Und das auf eine Art und Weise, die mir nicht das Gefühl gegeben hat klein und schwach zu sein. In diesem Wolf steckt doch mehr, als ich in den letzten Jahren gedacht habe.

Ein Hauch von Magie - SchicksalsschlagWhere stories live. Discover now