Kapitel 20

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P.O.V. Riley

Nach einem halben Tagesmarsch, in einer Schnelligkeit bei der sogar ich langsam an meine Grenzen komme, wird Luise schließlich langsamer. Am Rande eines Waldes deutet sie schließlich auf ein Gebüsch und verschwindet dann darin. Offenbar geht es von hier aus zu Fuß weiter.

Also verschwinden wir alle und treffen uns angezogen an der gleichen Stelle wieder. Ruhig und kommentarlos laufen wir aus dem Wald und in ein kleines Dorf. Hier ist es übersichtlich und ländlich. Von Dreiseitenhöfen bis zu einfachen Hütten ist alles dabei. Es ist sehr grün und schlicht gehalten. Irgendwie erinnert mich alles ein bisschen an unsere Rudelsiedlung.

Schweigend laufen wir durch die Straßen, auf denen niemand zu sehen ist. Beinahe wie ausgestorben. "Ist es hier immer so gruselig?", fragt Dean schließlich leise nach und spricht mir damit aus der Seele. Doch Luise schüttelt den Kopf. "Das Dorf ist noch in Trauer." Nachdem sie unsere fragenden Blicke bemerkt hat, beginnt meine Schwester schließlich seufzend zu erklären.

"Die Familie Snow war wie die Stütze für das ganze Dorf. Hier kennt jeder jeden und Beth, James und ihre Eltern waren der Mittelpunkt von allem. Sie haben die Probleme von jedem gekannt, Streit geschlichtet und Feiern organisiert. Ich schätze ihr Tod hat eine Lücke hinterlassen, die keiner sich traut zu füllen. Als wäre der Alpha samt seiner Familie einfach weg."

In mir zieht sich jetzt alles zusammen. So viel Trauer an einem Ort habe ich noch nie wahrgenommen. Der Tod dreier Menschen hat so viele andere beeinflusst. Da sieht man mal, wie stark jeder Einzelne das Leben seines Umfeldes zum positiven oder negativen verändern kann. "Wie lange ist es jetzt her?", will ich flüsternd wissen. "Drei Monate ungefähr."

"Vielleicht können wir nicht nur Elli helfen.", murmel ich nachdenklich und eher zu mir selbst als zu den anderen. "Du nennst die Hexe Elli?", will Ben schmunzelnd wissen und zwinkert mir zu. Alle starren mich an, doch ich zucke nur mit den Schultern. Da hab ich bei meiner Wortwahl eindeutig nicht aufgepasst. "Wir sind da.", murmelt Luise schließlich und deutet auf ein Haus auf der anderen Straßenseite. Gott sei Dank stellen die anderen keine weiteren Fragen. Hoffentlich vergessen sie meinen Ausrutscher.

Gemeinsam laufen wir über die Straße auf ein Holzhaus zu, welches über drei Stockwerke verfügt. Und irgendwie schief aussieht. Das ehemals dunkle Holz ist verblichen, die Fenster sind mit dunkelgrünen Fensterläden versehen. Auf jedem Fensterbrett stehen Blumenkästen, wobei es mir ein Rätsel ist wie die Blumen blühen können, wenn hier niemand mehr lebt.

Über den kleinen, schiefen Gartenzaun springen wir einfach drüber und ich klopfe dann an die Tür. Plötzlich sind Geräusche im Haus zu hören. "Wer immer es ist, ich habe keine Zeit", ertönt Ellis Stimme von drinnen und man kann die Genervtheit förmlich spüren. "Das ist aber nicht nett, Prinzessin!", rufe ich so laut durch die Tür, dass sogar die kleine Hexe mich gehört haben müsste.

Hecktische Schritte sind zu vernehmen, dann wird die Tür aufgerissen und Elli steht mit wütend blitzenden Augen in der Tür. Ihre Haare sehen sogar noch zerzauster aus als sonst. "Was, bei allen Hexenflüchen dieser Welt, macht ihr hier?", giftet sie uns an. Ohne darauf einzugehen schiebe ich sie beiseite und betrete das Haus. Von Innen sieht es genauso aus wie von draußen.

Alles ist aus Holz, doch trotzdem wirkt es gemütlich. Liegt wahrscheinlich daran, dass hier alles klein und verwinkelt ist. Überall steht etwas. Egal ob Pflanzen, Bücher, Tränke oder Gläser mit irgendwelchen Inhalten, von denen ich gar nicht genau wissen will, was das alles ist.

Im Flur stelle ich meinen Rucksack ab und laufe erstmal zur Tür links von mir. Hier geht es in eine kleine Küche mit einem entsprechenden Essplatz. Nach rechts geht es ins Wohnzimmer, welches überraschend groß ist. Eine Sofalandschaft, Bücherregale, ein Kamin und wieder diverse Pflanzen und Gläser. Bevor ich jedoch die Treppe hoch gehen kann, um meine Besichtigung fortzusetzen, fängt sich Elli wieder. Ihr Schock war wohl ziemlich groß, wenn sie so sprachlos ist.

"Warum seid ihr hier?" Überrascht drehe ich mich um. Mit allem hätte ich gerechnet, doch nicht mit dieser eher ruhigen und verletzlich ausgesprochenen Frage. Den anderen Dreien deute ich an, dass sie sich verkrümeln sollen. Dies ist eine Frage von Stolz. Etwas, womit ich mich auskenne.

Kommentarlos packe ich die kleine Hexe am Handgelenk und ziehe sie ins Wohnzimmer, wo wir uns beide aufs Sofa fallen lassen. "Wir sind hier, weil sich alle Sorgen um dich gemacht haben. Außerdem soll man hier super Wildschweine jagen können." Beides entspricht der Wahrheit, doch ich hoffe Elli konzentriert sich eher auf den zweiten Teil meiner Aussage. Leider habe ich nicht so viel Glück. "Ich brauche euer dämliches Mitleid nicht. Haut wieder dorthin ab, wo ihr hergekommen seid!"

Ein Seufzen unterdrückend ziehe ich die kleine Hexe einfach in meine Arme und flüstere ihr ins Ohr: "Akzeptiere es einfach. Freunde sind füreinander da. Und bevor du sagst, dass ich genauso handeln würde. Mein Rudel würde mir den Vogel zeigen und mich trotzdem nerven, auch wenn ich ihnen hundertmal sage, dass sie verschwinden sollen."

Ich spüre, wie sich die Arme der kleinen Hexe zögerlich um meinen Hals schließen und sie ihren Kopf vorsichtig an meiner Brust bettet. Die Rückkehr in ihr Elternhaus muss sie mehr mitnehmen, als man es ihr ansieht. So sitzen wir eine Weile da. Ich auf dem Sofa und Elli auf meinem Schoss, die Knie rechts und links neben mir auf dem Sofa aufgestützt. Es ist so entspannend, dass ich beinahe eingeschlafen wäre, als Elli wieder zu sprechen beginnt und sich von mir löst. Sofort vermisse ich ihre Wärme, doch ich dränge dieses störende und unangebrachte Gefühl beiseite.

"Ich will hier kein aufgeschlitztes Wildschein im Haus sehen, haben wir uns da verstanden?" Bei diesem ernsten Ausdruck kann ich einfach nicht anders, als in Gelächter auszubrechen. "Aber damit verdirbst du uns ja den ganzen Spaß.", versuche ich schmollend rüber zu bringen, doch ich kann meine ernste Miene einfach nicht beibehalten. Ihr schockierter Gesichtsausdruck ist einfach zu niedlich.

"Ich meine das ernst, Wolf! In diesem Haus will ich keinen einzigen Tropfen Blut sehen!" Wieder breche ich in Gelächter aus. Dabei werfe ich mir die Hexe über die Schulter und gehe zur Haustür, um die Anderen rein zu lassen. Ihre zarten Schläge und ihr Gekreische ignoriere ich einfach. "Riley, lass mich gefälligst runter oder du kannst was erleben! Ich schneide dir alle Körperteile einzeln ab und brate sie!" "Aber du willst doch kein Blut im Haus!", gebe ich lachend zurück und winke die Drei rein, welche uns amüsiert beobachten.

Doch glücklicher Weise gibt niemand einen Kommentar ab. Dann hätte Elli ihre Drohung wahrscheinlich wahr gemacht. Das werden zwei interessante Ferienwochen. Entweder wir haben den schönsten Urlaub überhaupt oder es kommt nicht jeder lebendig zurück. Beide Varianten halte ich für sehr wahrscheinlich. Doch eins ist sicher. Langweilig wird es definitiv nicht. 

Ein Hauch von Magie - SchicksalsschlagWhere stories live. Discover now