Kapitel 21

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Ich kann es einfach nicht fassen! Da haben sich einfach vier Werwölfe zu mir nach Hause eingeladen. Meine Mutter wäre begeistert gewesen. Sie hat Luise schon immer gemocht. Und mein Vater hätte einfach den Kopf geschüttelt und gelacht. Das und die Ansprache von Riley haben mich davon überzeugt, dass es vielleicht ganz gut ist, wenn ich hier nicht alleine bin.

Vielleicht schaffe ich es ja meine Trauer zu überwinden und meine Familie auf dem nahe gelegenen Friedhof zu besuchen. Etwas, was ich seit der Beerdigung nicht mehr geschafft habe. Die Trauer und der Hass über mein eigenes Überleben sind einfach zu groß gewesen. Ganz abgesehen davon, dass ich die meiste Zeit im Krankenhaus verbracht habe.

Aber als Erstes muss ich mich um die Schlafgelegenheiten für meine ungeplanten Gäste kümmern. Das jemand in dem Zimmer von meinen Eltern oder James schläft kommt nicht in Frage. Trotzdem müssen sie irgendwo schlafen. Und da es bereits dunkel wird, sollte ich das nicht länger aufschieben. Gemeinsam sitzen wir gerade im Wohnzimmer und besprechen das weitere Vorgehen. Gerade bei vier Gestaltwandlern ist es wichtig immer genügend zu essen im Haus zu haben.

"Also geht ihr vier dann jagen und ich kümmere mich um die Beilagen. Der nächste Supermarkt ist mit dem Besen schnell zu erreichen.", teile ich uns die Aufgaben zu. "Habt ihr irgendwelche Wünsche? Salat, Nudeln, Reis oder Kartoffeln?"

"Dein Nudelsalat ist der Beste.", beginnt Luise mit schwärmen und schaut mich bittend an. "Okay. Also Nudelsalat.", gebe ich lachend zurück und schüttel den Kopf. Den Jungs gewähren wir dabei kein Mitspracherecht.

"Dann kommen wir zur Schlafplatzverteilung.", kündige ich an, auch wenn mir ein bisschen mulmig ist. Hoffentlich will keiner in den Zimmern meiner Familie schlafen. "Ich würde hier auf dem Sofa schlafen, wenn das in Ordnung ist?", fragt Dean nach und sieht mir dabei kurz in die Augen. Als ich zustimmend nicke lässt er sich tiefer in die Kissen sinken. "Es ist nämlich sehr bequem hier." Als er die Augen schließt ist er auch schon eingeschlafen. Muss eine sehr anstrengende Reise gewesen sein.

"Vielleicht sollten wir unsere Pläne auf morgen verschieben. Offenbar sind wir alle ziemlich fertig.", wirft Ben mit einem belustigten Blick auf Dean ein und der Rest nickt zustimmend. "Dann haben wir noch das Gästezimmer. Du weißt ja wo das ist, Luise.", gebe ich nun von mir und sehe die Werwölfin fragend an. Nach einem zustimmenden Nicken von Riley verschwindet Luise schließlich, gefolgt von Ben.

Jetzt ist nur noch einer übrig. Riley hebt Dean noch richtig aufs Sofa, da dieser ja sitzend eingeschlafen ist, und ich decke ihn schließlich zu. Dann zeige ich Riley an mir zu folgen. James hätte sicherlich nichts dagegen gehabt, wenn Riley bei ihm im Zimmer schläft. Aber ich bringe es einfach nicht über mich jemanden in die Zimmer zu lassen. Also muss ich wohl in den sauren Apfel beißen und den Werwolf mit zu mir nehmen.

Aber erst machen wir einen Abstecher in die Küche. Im Gegensatz zu den anderen habe ich nämlich ziemlichen Hunger. Also nehme ich einfach eine Pizza aus dem Frost und heize den Ofen vor. "Kann ich auch eine haben?", fragt Riley schließlich nach ein paar Minuten und ich hole lächelnd eine weitere Pizza raus. Scheinbar sind wir von Waffenstillstand auf Freundschaft gewechselt. Mal sehen wir lange das anhält.

Schweigend essen wir schließlich unsere Pizza, bis Riley mich aus meinen Gedanken reißt. "Was hast du eigentlich für die Ferien geplant?" Überrascht sehe ich ihn an. Bis auf einen Friedhofsbesuch eigentlich nichts. "Ich weiß nicht. Nur halt.... ähm... meine Familie besuchen.", gebe ich leise zurück und weiche dem türkisen Blick von Riley aus.

"Wenn du das in Ruhe machen willst solltest du vielleicht gleich gehen.", wirft Riley ebenfalls leise ein. Ein gutes Argument. Werwölfe sind schwer müde zu bekommen, daher wird heute wahrscheinlich der einzige Abend sein, an dem ich unbeobachtet von den Anderen verschwinden kann. Dann lieber gleich, bevor ich näher drüber nachdenken kann.

Schnell stehe ich auf, nehme mir meine Jacke und bin schon an der Haustür, als mir auffällt, dass Riley direkt hinter mir ist. "Was wird das?", will ich irritiert wissen. Ich dachte es ist klar, dass ich allein sein will. "Es ist dunkel. Ich warte am Tor auf dich." So wie Riley das sagt und dabei die Arme verschränkt weiß ich, dass diskutieren keinen Sinn macht. Außerdem habe ich gerade keine Nerven dafür.

Seufzend gebe ich nach, nehme mir den Haustürschlüssel und mache mich, mit einem Werwolf im Schlepptau, auf den Weg zum Friedhof. Dort sind wir nach wenigen Minuten auch schon angekommen. Und während Riley am Tor stehen bleibt, betrete ich alleine den Ort, an dem meine Familie zur letzten Ruhe gebettet wurde.

Nach einem kurzen Fußmarsch komme ich schließlich an drei schön hergerichteten Gräbern an. Das Einzige, was von meiner Familie noch übrig geblieben ist. Die Beleuchtung ist schon aus, weshalb ich die Grabsteine nur Schemenhaft erkennen kann. Genauso wie die Blumen, die regelmäßig von den Dorfbewohnern hier abgelegt werden.

Ohne es zu merken habe ich mich vor sie gekniet und Tränen laufen über mein Gesicht. Es ist so unfair, dass sie Tod sind und ich noch lebe. Mein Leben ist so sinnlos ohne sie! Ich habe keine Ahnung was ich machen, was ich überhaupt erreichen soll. Ich weiß nur, dass ich nicht hier bleiben werde. Hier sind einfach zu viele Erinnerungen. Es werden die letzten Ferien sein, die es mich nach Hause verschlägt. Wenn ich hier bin, bin ich schwach. Und dieses Gefühl kann ich noch weniger leiden als die Trauer, die mich jeden Tag begleitet.

Aber heute kann ich den Schmerz noch einmal zulassen. Kann an meine Familie denken und mir wünschen an ihrer Stelle gestorben zu sein. Heute kann ich schwach sein und mir alles von der Seele weinen.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon weine, aber ich erschrecke tierisch, als auf einmal eine Person neben mir steht. Als ich nach oben sehe erkenne ich in der Dunkelheit und durch den Tränenschleier niemanden. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es Riley ist. Woher ich das weiß? Keine Ahnung. Aber seine Anwesenheit beruhigt mich ungemein und nach einigen weiteren Minuten fühle ich mich schließlich bereit dazu den Friedhof zu verlassen.

Als ich mich versuche aufzurappeln geben meine Beine jedoch direkt wieder unter mir nach. Mist! Sie sind eingeschlafen. Leise vor mich hin fluchend versuche ich es erneut, doch auch dieses Mal schaffe ich es nicht aufzustehen.

Kommentarlos hebt mich Riley auf seine Arme und läuft mit mir zum Ausgang, während meine Beine langsam anfangen zu kribbeln und ich ein Kichern unterdrücken muss. Während ich mich von dem Werwolf nach Hause tragen lasse massiere ich meine Beine, um endlich wieder Gefühl rein zu bekommen. Hilft leider nicht sonderlich. Wer weiß, wie lange ich in dieser Position gekniet habe, ohne es zu merken.

Wir sind schneller wieder Zuhause, als meine Beine aufgewacht sind, weshalb ich Riley leise den Weg zu meinem Zimmer beschreibe. Dort setzt er mich auf meinem Bett ab und beginnt ebenfalls meine Beine zu massieren. Seine Hände sind angenehm und durch die sanfte Massage verschwindet schließlich dieses nervige Kribbeln.

"Danke.", flüstere ich Riley schließlich leise zu, als wir nebeneinander im Bett liegen und versuchen zu schlafen. Auf seine Art ist der Werwolf gar nicht so schlimm. Vielleicht manchmal übertrieben nervig, arrogant oder befehlshaberisch, aber im Grunde meint er es ja nur gut. Sogar mein Ärger über seine Einmischung bei den Klippen ist wieder verschwunden. Den ruhigen Gleichklang genießend schaffe ich es schließlich neben Riley in einen ruhigen Schlaf zu fallen.

Ein Hauch von Magie - SchicksalsschlagWhere stories live. Discover now