Kapitel 31

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Trotz meiner heldenhaften Bemühungen dem Unterricht zu folgen und möglichst nicht zu stören werde ich schon nach der ersten halben Stunde für den Tag freigestellt. Hätte ich das nur eher gewusst! Bei einigem Unterricht in den letzten Jahren hätte mir das sehr viele Nerven und Langeweile erspart. Obwohl ich den Unterricht wahrscheinlich vorziehen würde. Dieser permanente Schluckauf regt mich inzwischen tierisch auf.

Nachdem ich meine Tasche auf mein Zimmer gebracht habe, beschließe ich eine Runde spazieren zu gehen. Auch wenn es inzwischen Herbst geworden ist und damit ziemlich kalt. Aber mit meinem langen dunkelbraunen Wintermantel, der mir bis zu den Knien geht, halte ich es eine Weile aus.

Immer noch mit meinem Schluckauf geplagt laufe ich langsam zu den Klippen. Als ich das letzte Mal nachdenklich hier gestanden habe und die Zeit hatte in den Himmel zu sehen, habe ich um meine Familie getrauert und überlegt, ob mein Leben überhaupt noch einen Sinn hat. Automatisch greife ich wieder an meine Kette, die ich nie wieder abgenommen habe. Heute kann ich nicht mehr verstehen, wie deprimiert ich damals gewesen bin. Das Leben ist lebenswert und ich werde es nutzen und das Beste daraus machen! Menschen helfen und auf meine Freunde aufpassen.

Anders als das letzte Mal sind heute keine Sterne zu sehen, schließlich ist noch nicht einmal Mittag. Doch auch die Sonne ist nicht zu entdecken. Der Himmel ist bewölkt und düster. Kein Sonnenstrahl schafft es zwischen den Wolken hindurch.

"Dämlicher, beschissener Schluckauf.", murmel ich vor mich hin und will gerade meinen Spaziergang fortsetzen, als sich eine Hand auf meine Schulter legt. Kreischend mache ich einen Satz zur Seite und wäre beinahe von den Klippen gefallen, hätte Riley mich nicht festgehalten. Dämliche Werwölfe! Schleichen sich immer an alles und jeden heran!

"Meine Güte... Riley... du kannst... dich doch nicht... so an mich anschleichen!", bringe ich zwischen meinem nun noch schlimmer gewordenen Schluckauf hervor. Vielen Dank dafür! Am liebsten würde ich ihm sein breites Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Doch dafür bin ich leider zu klein. Noch sowas unfaires. "Was willst du?", zische ich ihn an und versuche meinen viel zu hohen Herzschlag zu beruhigen. Sollte der Idiot nicht im Unterricht sein? "Ich soll nach dir sehen. Aber wie es aussieht, bist du deinen Schluckauf noch immer nicht los geworden.", meint er breit grinsend und zieht mich ein wenig von den Klippen weg, um mich anschließend los zu lassen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er mich noch immer am Oberarm festgehalten hat. "Wie du siehst... nicht."

Nachdenklich kratzt er sich am Kopf. "Anfangs dachte ich, dass du das nur vorspielst. Aber wie es scheint hast du wirklich ein Problem." Riley und seine Instinkte! Um mich nicht zu verraten flüchte ich mich in Wut. "Wie soll man... denn bitte... Schluckauf vortäuschen? Ohnmacht... oder Angstzustände..., okay, aber... doch nicht Schluckauf." Ich muss eine kurze Pause machen, um einmal tief durchzuatmen. Beim Reden mit Schluckauf bekommt man so verdammt schlecht Luft! "Das ist... ein Reflex."

"Erschrecken scheint ja auch nicht geholfen zu haben.", gibt er nun schulterzuckend zu und mustert mich nachdenklich. Wütend funkel ich ihn an. Nein, das hat es nur noch schlimmer gemacht! "Sonst noch... dumme Ideen?", frage ich provokant nach und verschränke meine Arme vor der Brust. "Ich nicht, aber vielleicht die Anderen. Lass uns Mittagessen gehen.", schlägt Riley mit einem schelmischen Grinsen vor, was mich ihn wieder wütend anfunkeln lässt.

Ohne weiter auf den Werwolf einzugehen laufe ich an ihm vorbei und auf das Internat zu. Ich habe wirklich Hunger! Hoffentlich lässt der Fluch bald nach. Ich habe keine Lust mehr! Und der Fluch hat ja offensichtlich seinen Zweck erfüllt. Leider können einmal ausgesprochene Flüche nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden.

Schnell hat mich Riley jedoch wieder eingeholt und beginnt nun damit, mich wegen meines Schluckaufs auszulachen. Mein wütendes Funkeln scheint dabei seinen Zweck zu verfehlen. "Idiotischer Wolf.", grummele ich leise vor mich hin und steuere direkt auf den Speisesaal zu.

Gemeinsam holen wir uns jeder eine Portion Nudeln und setzen uns schon mal an den Tisch. Die anderen müssten auch gleich Pause haben. Und da ich mit dem Schluckauf nicht richtig essen kann, brauche ich sowieso länger. Also warum auf die Anderen warten? Heute Nachmittag trainiere ich wieder mit Riley und dann sind wir für diese Woche erlöst.

"Gott, Beth, hast du immer noch Schluckauf?", kommt Luise, wie immer wenig mitfühlend, ebenfalls mit einem Teller Nudeln an unseren Tisch. "Nein, ich... tu nur so." Wütend funkel ich Riley an, der sich ein leises Lachen nicht verkneifen kann. Wenigstens Dean und Ben haben den Anstand mich mitleidig anzusehen. Die Anderen brauchen wohl noch etwas länger, da sie nicht zu sehen sind.

"Hast du es schon mal mit erschrecken versucht?", fragt Destiny schüchtern, als sie sich zu uns an den Tisch setzt. So richtig ist sie noch nicht aus ihrem Schneckenhaus raus gekommen, aber das wird schon noch. "Ich nicht... er schon.", knurre ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen und könnte Riley den Hals umdrehen, als er in lautes Gelächter ausbricht. "Das hättet ihr sehen sollen!", bringt er heraus und lacht einfach weiter. "Was hat der denn?", fragt Victoria irritiert, als sie mit Charles, Abigail, Shawn und Selena nun ebenfalls zu uns stößt. "Einen Dachschaden.", bringe ich hervor und sehe mich nach etwas um, womit ich Riley ärgern kann. Mein Blick fällt auf Destinys Wasserglas, welches ich sofort zum schweben bringe und über dem Wolf auskippe. Dieser ist augenblicklich ruhig und funkelt mich wütend an.

Er sieht mich so bedrohlich an, dass ich mir direkt meine Jacke schnappe, die ich einfach über die Stuhllehne gehangen habe, aufspringe und so schnell davon laufe, wie mich meine Beine tragen. Was sogar ziemlich schnell ist. Aber leider nicht so schnell wie ein Werwolf. Riley hat mich eingeholt, noch bevor ich richtig um die Ecke des Internatsgebäudes verschwunden bin. Ich habe es nicht mal bis hinter die erste Baumreihe geschafft.

"Du nervige kleine Hexe!", knurrt er wütend und drückt mich gegen einen Baum. Doch vor ihm habe ich keine Angst. Als sich ein Wassertropfen von seiner Nase löst und zwischen uns nach unten tropft, kann ich ein Kichern nicht mehr unterdrücken. Rileys Blick wird noch bedrohlicher, weshalb ich jedoch nur noch mehr lachen muss. Wenige Augenblicke später höre ich jedoch wieder auf, da Schluckauf und Lachen zu unglaublichen Bauchschmerzen führen.

"Du hast mich doch gefragt, ob ich noch andere dumme Ideen habe.", fragt er mich auf einmal und schaut mich nun eindringlich an. Woher kommt denn auf einmal der Stimmungsumschwung? Vorsichtig nicke ich, auch wenn ich gerade am liebsten flüchten würde. Dieser Riley war mir schon immer unheimlich. Sein Gesicht ist ein Pokerface, aus dem ich keine Gefühle ablesen kann.

Doch bevor ich ihn genauer analysieren kann, hat er sich schon zu mir runter gebeugt und seine Lippen auf meine gepresst. Schon wieder! Dieses Mal ist der Kuss aber anders. Er ist nicht stürmisch oder herausfordernd, wie das letzte Mal. Er ist eher vorsichtig, zurückhaltend und beinahe schüchtern. Ich weiß, dass ich mich jederzeit lösen könnte, doch irgendwie kann und will ich das nicht. Das Kribbeln kehrt stärker zurück als beim letzten Mal und ich kann nicht anders, als mich ihm und seinem Kuss entgegen zu drängen. Das hier ist der völlige Wahnsinn! Wir haben keine Zukunft und doch fühlt es sich so richtig an!

Nach mehreren Sekunden, Minuten oder Stunden, ich habe keine Ahnung, lösen wir uns schließlich wieder keuchend voneinander. Gebannt sehen wir uns in die Augen. Türkis auf grau. "Das sollten wir nicht tun.", flüstert Riley schließlich rau, doch ich sehe in seinen Augen, dass er gerne etwas anderes sagen würde. "Es hat keine Zukunft.", flüstere ich ebenso leise zurück und wende den Blick nicht ab. Ich schätze, dass sich meine Gefühle auch in meinen Augen widerspiegeln.

Schweigend stehen wir uns gegenüber und keinerwendet den Blick ab. "Immerhin ist dein Schluckauf weg.", flüstertRiley mit einem leichten Zucken seiner Mundwinkel und erst da bemerke ich, dasser Recht hat. "Na endlich! War ja nicht mehr zum aushalten!" Wiederherrscht Stille, während der Wind immer stärker wird und die Wolken immerdunkler. Als schließlich der Regen einsetzt, lösen wir uns gezwungenerMaßen voneinander. Meine Gefühle verdränge ich so weit wie möglich. Riley undich sind nur Freunde und daran werden wir uns halten. So schwer es uns auchmomentan fällt.

Ein Hauch von Magie - SchicksalsschlagWhere stories live. Discover now