Kapitel 22

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Als ich am nächsten Morgen aufwache habe ich leichte Kopfschmerzen, wahrscheinlich weil ich gestern so viel geweint habe, und mir ist unnatürlich warm. Je wacher ich werde, desto mehr spüre ich einen anderen Körper, der mich beinahe zerquetscht. Ach stimmt! Riley liegt ja neben mir. Oder besser. Dieser nervtötende Werwolf benutzt mich gerade als persönliches Kuscheltier, weshalb ich kaum Luft bekomme! Außerdem strahlt er eine noch extremere Hitze ab als alle anderen Werwölfe, die ich kenne.

"Riley. Riley! Verflucht, jetzt wach doch endlich auf und lass mich los! Ich bin doch nicht dein persönliches Kuscheltier!", schimpfe ich los und versuche mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Bringt nur leider nichts. Nur ein leises, genervtes Brummen von meinem Bettnachbarn. Ich will gerade Magie anwenden, als meine Befreiungsversuche endlich Wirkung zeigen.

"Was machst du da?", will ein verschlafener Riley mit noch tieferer Stimme als sonst schon von mir wissen. "Ich versuche Luft zu bekommen um nicht von dir zu Tode gedrückt zu werden.", gebe ich genervt zurück und wehre mich weiter. Ich brauche unbedingt einen Kaffee!

Noch einmal drückt der Wolf mich an sich, wahrscheinlich einfach um mich zu ärgern, dann lässt er mich los, dreht sich auf die andere Seite und schläft einfach weiter. Faulpelz! Aber kann mir ja egal sein.

Schnell nehme ich mir einige Sachen aus meinem Schrank und verschwinde damit im angrenzenden Bad. Da ich ein Mädchen bin habe ich damals mein eigenes bekommen, als meine Eltern dieses Haus gebaut haben. Es besteht nur aus einer Dusche, einer Toilette und einem Waschbecken mit Spiegelschrank, aber für mich hat es schon immer gereicht.

Nachdem ich geduscht und Zähne geputzt habe ziehe ich mir schnell meine schwarze Jogginghose und ein blaues Top an und gehe dann in die Küche. Überraschender Weise sitzen die anderen Drei schon am Küchentisch und haben Rühreier mit Speck und Toast gemacht. Sogar der Kaffee ist schon durchgelaufen und steht bereit.

"Danke.", murmel ich und nehme erstmal einen großen Schluck davon. Danach sieht die Welt schon viel besser aus. "Was ist der Plan für heute?", fragt Luise kauend nach und mustert mich von Kopf bis Fuß. Keine Ahnung was sie sucht. Auch die anderen mustern mich eingehend, doch ich achte nicht weiter darauf. Werwölfe sind manchmal einfach merkwürdig!

"Der selbe Plan wie gestern. Ihr geht jagen und ich mache den Rest.", grummel ich in meinen Kaffee und nehme mir ein trockenes Toast. Mein Magen ist für mehr Essen einfach noch nicht wach genug. Die Nacht war eindeutig zu kurz! Vielleicht hätte ich doch ein anderes Mal auf den Friedhof gehen sollen. Wenn ich am nächsten Tag ausschlafen kann, beispielsweise. Doch eigentlich bereue ich es nicht. Ich fühle mich, als hätte ich eine Last weniger, die ich nun mit mir rumschleppen muss.

"Klingt gut.", stimmt Ben zu, der noch immer nicht seine Augen von mir gelassen hat, genau wie die anderen auch. "Was ist euer beschissenes Problem?", knurre sie schließlich an, als mir der Geduldsfaden reißt. Die Drei sollten mir nicht schon früh am Morgen auf die Nerven gehen, sonst schmeiße ich sie doch noch raus!

"Du riechst extrem nach meinem Bruder.", platzt es schließlich aus Luise heraus. Diese Aussage lässt mich erstmal verwirrt Blinzeln. Diese verdammten Werwölfe mit ihrem überdurchschnittlichen Geruchssinn! "Das liegt vielleicht daran, dass dieser blöde Werwolf diese Nacht auf die Idee gekommen ist mich als sein persönliches Kuscheltier zu missbrauchen.", knurre ich zurück. "Penner."

"Ihr habt in einem Bett geschlafen?", fragt Dean schließlich sehr vorsichtig nach, was mich nur die Augen verdrehen lässt. "Ihr seid meine Gäste. Und woanders ist nun mal kein Platz.", gebe ich trocken zurück. "Ich kann ihn ja schlecht im Garten übernachten lassen.", grummel ich weiter, obwohl die Idee an sich gar nicht so schlecht ist. Bevor ich jedoch darüber nachdenken kann, lässt sich Riley auch endlich hier blicken. Schlafmütze.

"Und, Riley, hast du gut geschlafen?", will Luise mit einem süßen Lächeln im Gesicht wissen, was mich eine Augenbraue hoch ziehen lässt. Riley sieht jedoch so aus, als würde er seiner Schwester am liebsten den Hals umdrehen. Kann ich nachvollziehen. Die Drei sind am frühen Morgen einfach unerträglich. Allein schon ihre zweideutigen Blicke nerven mich. Kommentarlos halte ich Riley meinen Kaffee entgegen, welchen er in einem Zug austrinkt. Anschließend nimmt er sich selbst einen neuen und schenkt mir auch noch einmal nach.

Das Frühstück bringen wir dann glücklicher Weise schweigend hinter uns, auch wenn ich Luise dafür regelmäßig böse anstarren muss, bis diese schließlich eingeschnappt ist. Ist mir aber egal. Das ist mein Haus, hier herrschen meine Regeln und sie soll mir nicht auf die Nerven gehen. Etwas, was dieses Mädchen in letzter Zeit zu einer Kunstform erhoben hat. Ich weiß nicht warum, aber sie muss sich inzwischen ständig in mein Leben einmischen und fragt mich dabei andauernd nach meiner Beziehung zu Riley aus. Eine Beziehung, die nicht existiert! Abgesehen von unserer gegenseitigen Akzeptanz.

Manchmal frage ich mich, ob es ihr nicht lieber wäre, wenn ihr Bruder und ich uns wieder an die Gurgel gehen würden. Doch sowas traue ich ihr eigentlich nicht zu. Zumal ich keinen Grund für diese Gedanken sehe. Ab und zu kommt in mir nur das Gefühl hoch, dass Luise es nicht sehen kann, wenn Riley und ich nett zueinander sind.

Seufzend mache ich mich schließlich, als die vier endlich in den Wald aufgebrochen sind, auf den Weg zu einem kleinen Laden, in dem ich alle für die Feier benötigten Zutaten finden werde. Unterwegs begegne ich sogar einigen wenigen Dorfbewohnern. Die meisten scheinen überrascht mich zu sehen, doch als ich ihnen ein aufrichtiges Lächeln zur Begrüßung schenke, sind sie alle glücklich mich zu sehen. Ich habe die Trauer, die wie eine Wolke über dem Dorf hängt, gar nicht registriert. Doch nun scheinen einige Sonnenstrahlen hindurch.

Und als ich schließlich den kleinen Laden betrete und die meisten Bewohner nachfragen, was meine zukünftigen Pläne für heute und den Rest der Ferien sind, kann ich Rileys Worte in meinem Ohr hören, als die vier sich verabschiedet haben. 'Werwölfe sind sehr gesellig. Also nur keine Scheu.' Als er gegangen ist habe ich nicht verstanden, was er damit meinte. Doch nun wird mir klar, dass der Werwolf auf das Dorf und seine Bewohner angespielt hat.

Riley hat absolut keine Ahnung, wie bei Hexen eine richtige Party aussieht. Aber offenbar hat er es so gewollt. Die Nachricht meiner Rückkehr und einer bevorstehenden Feier macht so schnell die Runde, dass ich den restlichen Tag über damit beschäftigt bin alles zu koordinieren und zu organisieren. Unser Dorf ist zwar klein, aber auch diese Menschen müssen mit Essen, Getränken und Sitzplätzen versorgt werden.

Und so glücklich mich diese Gemeinschaft macht, so sehr fühlt es sich an, als würde ich meine Abschiedsfeier geben. Wahrscheinlich ist es auch so. Meine Eltern sind hier der Mittelpunkt gewesen, während James und ich nur zur Unterstützung da gewesen sind. Es ist schon immer klar gewesen, dass wir nicht dazu gemacht sind in diesem Dorf zu bleiben. Und jetzt sind sie weg und niemand hat sich getraut ihren Platz einzunehmen. Das werde ich heute ändern. Das Dorf soll wieder so erstrahlen wie früher. Heute werde ich all die guten Erinnerungen aufleben lassen, die mich mit meiner Heimat verbinden.

Ein Hauch von Magie - SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt