25. Das stille Sprechorgan des Menschen

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So schlecht war es gar nicht, wie sich herausstellte. Natürlich gab es auch schlechte Aspekte, die mir gar nicht passten. Naja, zumindest einen bestimmt der sich immer wieder an meine Seite drängte und leise provozierende Gespräche mit mir begann, die mich zur Weißglut trieben. Aber sonst war es wirklich atemberaubend schön. Es sah fast aus wie in einer Filmkulisse für einen unglaublich romantisch, kitschigen Film. 

Die Häuser bestanden aus rötlich- grauen Ziegelsteinen, um die sich kunstvolle Blumenranken schlängelten. Diese leuchteten zumeist in weißen oder roten Farben. Einfach bezaubernd. Ich liebte weiße Blumen, besonders Rosen, über alles. Sie hatten eine tiefe Bedeutung für mich. Denn sie strahlten diese klare Besinnung zur Harmonie und dem Frieden aus. Sie verbreiteten in meinem Körperinneren ein wohliges Gefühl, welches mich ganz aufgehen ließ. Die reine Schönheit dieser Blume hatte mich seit jeher fasziniert. 

Die Wege bestanden aus Pflastersteinen und schmalen Gassen, die durch die Vielzahl an Häusern führten. Die älteren Bebauungen in Kombination mit der umgebenden Natur zeichneten ein wunderschönes Bild. Schöner konnte man es sich gar nicht vorstellen. 

Auch Ali kam durch die vielen kleinen Geschäfte auf ihre Kosten, so schwärmte sie bestimmt von zehn Oberteilen, die ihr Herz erobert hatten und am Ende in ihrer Einkaufstasche landeten. 

Gerade standen wir vor der letzten Station des Dorfs, welche wir uns anschauen wollten. Die Kirche St. Stanislaus. Mit großen Augen stand ich davor und kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Mir blieb die Spucke förmlich weg. Sie war mit Abstand das wunderschönste, bezauberndste und dennoch faszinierendste Gebäude der gesamten Umgebung. Sie war nicht groß. Nein, eher klein. Aber dafür wurde sie mit allen Regeln der Kunst erbaut und man spürte förmlich die angenehme Stimmung, die sich um die Kirche entfaltete. Auch sie bestand aus großen Steinen, die eine Sandsteinähnliche Struktur besaßen. An den Seiten der Tür waren kunstvolle golden schimmernde Stuckelemente angebracht. Über der Tür befand sich ein Fenster mit goldenen Akzenten. Die Kirche strahlte in der Sonne geradezu. 

„Kommt, lasst uns einen Blick nach innen werfen.", sagte Joanna und winkte uns lächelnd hinter sich her. Wenn sie von außen schon dermaßen prachtvoll aussah, dann wird sie von innen mindestens genau dasselbe atemberaubende Bild ergeben. 

Kaum waren wir durch den Rundbogen getreten bestätigte sich meine Vermutung. Es war einfach... Wow. Die vielen verschiedenen prunkvollen Eindrücke konnte ich gar nicht so schnell verarbeiten wie sie auf mich einprasselten. Es war zu viel. Ich musste erstmal stehen bleiben, um das alles aufzunehmen und zu begutachten. 

Die Stuckelemente setzten sich an der Decke fort. An den Wänden befanden sich Gemälde von Engeln in den Wolken. Die Bänke waren aus dunklem Holz geschnitzt. Die Atmosphäre war hier so wahrhaftig, so ehrlich. In der Luft lag etwas Positives und Friedvolles. Das Gebäude wirkte wie ein Rückzugsort aus der Realität. Wie ein Bunker, in dem alles von einem abfiel. Man konnte sich, im Gebäude stehend, einfach nicht mehr vorstellen wie grauenvoll und herzlos die Welt da draußen sein konnte. Wie sie Menschen von außen und innen systematisch vernichten konnte. Es gab so viele grauenvolle Dinge, die der Menschheit täglich widerfuhren. Die uns leiden ließen. Die uns die schönen Dinge im Leben vergessen ließen, bis wir nichts weiter als wandelnde Pessimisten waren. Ohne Stolz und ein Lebensziel. So grauenvoll presst die Welt deine Seele aus. Es klang hart doch am Ende stimmte es. 

In diesem Ort verschwand dieser weltliche Pessimismus, hier fühlte man sich vollkommen. Man bemerkte wieder was Lebendigkeit bedeutete. Die Atmosphäre trug sich Stück für Stück in deine Knochen ab und floss langsam in dein Gemüt, bis es deine Mundwinkel erreicht hatte und sich ein echtes Lächeln auf ihnen absetzte. So wie bei mir gerade. 

Ich lächelte und betrachtete mit Wohlwollen die ausdrucksstarken, fließenden Gemälde an der Wand.

 „Ein Engel.", stellte die Person neben mir fest. Ich sah gar nicht erst zu ihm. Zu fasziniert war ich von dieser Wand und deren Bemalung. Das sollte er mir nicht kaputt machen.

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