54. Seine weichen Lippen

8.1K 389 20
                                    

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Es dämmerte bereits, dennoch machten Hunter und ich keine Anstalten uns von dem Strand zu entfernen. Wir saßen schweigend nebeneinander, auf unseren Handtüchern. Die Sonne war im Meer versunken, nur ein schmaler oranger Streifen am Horizont erinnerte an ihre vorherige Anwesenheit. Die Sterne blitzten am klaren Nachthimmel auf, während der Mond silbrig glitzerte.

Wir waren am Strand so ziemlich die einzigen Hinterbliebenen, somit hörte man nichts außer das Zirpen der Grillen und die leichten Wellen, von denen der salzige Meergeruch zu uns herüber schwebte. Der Wind wirbelte meine Strähnen über meine Schulter und ließ meine Arme etwas kalt werden. Ich rieb über meine Gänsehaut und warf nebenbei einen verstohlenen Blick zu Hunter, der die gesamte Zeit gedankenverloren auf das, in Schwarz getauchte, Meer starrte.

Seine Haare waren von dem Salzwasser völlig zerstört, zudem strich der Wind durch seine Haarspitzen und wehte sie in alle Richtungen. Seine Arme hingen auf seinen angewinkelte Knien. 

Als ich merkte, wie er seine Augen vom Meer abzuwenden schien, blickte ich in eine andere Richtung und starrte auf den Sand unter meinen Füßen. Meine Finger zeichneten sanfte Kreise durch die Körnchen. Ich spürte wie sein Blick auf mir lag.

Plötzlich vernahm ich wie sich etwas um meinen Rücken schmiegte. Ein warmer weicher Stoff umhüllte meine fröstelnden Glieder. Der Stoff fiel über meine Arme und zog mich in eine angenehme Wärme, die die aufkommende Kälte vertrieb.

Nervös schielten meine Augen in alle erdenklichen Richtungen. Mir war mit dem Geruch, der mir süßlicher denn je in die Nase kroch, sofort bewusst, dass Hunter näher an mich herangerückt sein musste und seine Jacke um meine Schultern gelegt hatte. Seine Hände ruhten sachte auf meinen Schultern, während sein heißer Atem an meinem Ohr vorbei zog. „Wieso sagst du denn nichts, wenn dir kalt ist?", flüsterte er. Meine Wangen begannen warm zu glühen.

„Mir ist nich...", versuchte ich anzufangen, doch wurde von ihm unterbrochen: „Prinzessin, versuche es erst gar nicht abzustreiten. Ich habe deine Gänsehaut gesehen.", Hunter schlang seinen Arm um meine Schulter und zog mich seitlich an seinen erwärmten Körper.

Seine Nähe gab mir etwas, was ich bei den meisten Menschen vermisste. Nicht nur Zuneigung und ein wohltuendes Gefühl. Er gab mir etwas, was man dringend brauchte um in dieser Welt zu überleben, was man allerdings viel zu selten fand: Sicherheit.

Was eigentlich völliger Schwachsinn war. Ich fühle mich bei dem Menschen am sichersten, der mir gleichzeitig die größten Schmerzen zufügen könnte. Wenn er wollen würde, könnte er meine Gefühle benutzten und erbarmungslos gegen mich verwenden.

Trotz dessen zählte diese unausweichliche Tatsache gerade nicht. Das Einzige was zählte war er und dieser Moment. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Sein Arm um meinem Rücken zog mich so dicht es ging zu sich heran, so dass ich fast auf seinem Schoß saß. Ich lehnte entspannt an seiner Seite und schmiegte meinen Körper an seinen. Dabei schloss ich die Augen. Ich hatte beschlossen jeden Augenblick mit ihm zu genießen. Auch, wenn es für ihn bedeutungslos war, umso mehr bedeuteten mir diese kleinen Gesten. 

Die Wichtigkeit, die diese Berührungen für mich hatten war immens und ich wollte das nicht einfach verdrängen oder unter den Tisch fallen lassen, nur weil ich Angst hatte verletzt zu werden. Das wurde ich sowieso schon oft genug, da kam es auf ein oder zwei Mal mehr Herzschmerzen auch nicht mehr an. Verhindern konnte ich sowieso nichts mehr. Ich war schon verliebt. 

Manchmal machte man sich einfach zu viele Gedanken über die Zukunft, obwohl sie eine nicht vorhersehbare Komponente war, die sowieso jeder Mensch gezwungen war mit sich rumzutragen. Wir verschwendeten so viele Gedanken damit uns auszumalen wie schrecklich sie aussehen könnte, dass man manchmal nicht bemerkte wie wichtig die Gegenwart war. Man versuchte die Gegenwart immer krampfhaft so zu verändert, dass sie sich möglichst positiv auf die Zukunft auswirken würde. Dabei vergaß man manchmal völlig, dass sich nicht alles im Leben beeinflussen ließ. Man vergaß durch die Zukunftsängste oftmals das Jetzt zu genießen. Das was man hatte zu schätzen, bevor es weg war. Genau das sollte man abstellen und einfach die Gegenwart nehmen wie sie kommen würde. Wir sollten sie genießen, damit wir uns in zukünftig schlechteren Zeiten daran zurückerinnern könnten. 

All we have is NowWhere stories live. Discover now