Kapitel 62

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•Kade•

Ich erwischte mich dabei, wie ich mich immer wieder umsah um nach Rowan Ausschau zu halten.

Dabei war das lächerlich, schließlich hatte ich ihn zum Teufel gejagt.

Ich sollte vielleicht nicht hier sein, mein Verhalten ihm gegenüber war ... beschissen.

Ich war ein schlechter Mensch, warum sollte er jemanden wie mich noch wollen?
Nach diesen ganzen einsamen Wochen ohne ihn konnte ich kaum noch klar denken.

Ich liebte Rowan, auch wenn wir uns gestritten und getrennt hatten, ohne ihn wollte ich nicht leben.
Die Angst, dass er das nicht mehr wollte, saß tief in meiner Brust und schnürte mir die Kehle zu.

Trotzdem stand ich jetzt hier vor dem letzten Laden in Rowans Umgebung, mit der Liste in meinen zitternden Fingern, auf der alle Supermärkte im Umkreis von 5 Kilometern waren.

War ich dort überall um zu schauen ob Rowan dort arbeitete?
Ja...
Hatte ich bisher erfolg?
Nicht wirklich...
Blieb mir nichts anderes übrig, weil ich keinen festen Job mehr hatte und Rowan das einzige war, an das ich mich jetzt klammern konnte?
Defintiv...

Es war schon dunkel und bitterkalt, der eisige Wind wehte mir um die Nase. Sie musste so rot sein wie die von Rudolf dem Rehntier.

Vorsichtshalber sah ich nochmal auf die Liste in meiner abfrierenden Hand, dann betrat ich den kleinen Laden. Er kam nicht an die riesigen Supermärkte ran, aber hier war alles weihnachtlich geschmückt, es roch nach Orangen und Zimt.

Es gab zwei Kassen, keine war momentan besetzt, aber war ja auch klar.
Um kurz vor zehn Uhr Abends im Dezember bei einer scheiß Kälte war ich wohl der einzige hier im Laden.

Ich nahm mir einen Korb, damit es so aussah, als ob ich irgendwas kaufen würde und begann mich suchend nach Rowan umzusehen.
Bitte, er musste hier sein.
Das war meine letzte Chance.

Die Kälte fiel etwas von mir ab, im Laden war es angenehm warm.

Im Augenwinkel bewegte sich etwas, ich sah hin und ... es war nicht Rowan. Nur eine korpulente Dame mit Weihnachtsmütze, die die Getränke vor sich zu inspizieren schien.

Enttäuscht lief ich weiter hinter, in Richtung Gemüse, und tatsächlich, dort bewegte sich eine zweite rote Zipfelmütze. Dieser Laden hatte Humor.

Okay, keine Panik.
Das ist nur die letzte Chance die Liebe deines Lebens zu finden und dich bei ihr zu entschuldigen.
Kein Stress.

Während ich so tat, als würden mich diese fantastischen Tomaten so interessieren, linste ich zu der Zipfelmütze.
Er oder sie, man sah die Person nur von hinten, bückte sich zum Jogurt. Ich musste dringend die Haare sehen.

Von der Statur her konnte es passen, diese breiten Schultern waren perfekt für- nein, konzentrier dich!

Ich wagte mich näher heran, und gerade betrachtete ich mit falscher Neugier Tiefkühllasange, da drehte die Person ihren Kopf.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, dann noch einen.

Das war er! Rowan! Mein Rowan!

Erleichterung flutete mein Herz. Ich hatte ihn gefunden.

Ich betrachtete ihn mit einer Mischung aus Beruhigung und Entsetzen. Er sah zwar aus wie Rowan, aber irgendwie auch nicht.

Alles an ihm wirkte müde und lustlos, wie er den Jogurt im Regal stapelte, als hätte er keine andere Lebensaufgabe mehr.
Sein Blick schien leer, nichtssagend.

Hatte ich ihm das angetan?
Dass er diesen Job machen musste? Dieses Leben lebte?
Ich wusste wie sehr Rowan seinen Job geliebt hat, dass ein Bodyguard wie er jetzt Milchprodukte sortierte war ... traurig.

Der Zipfel der Mütze hing ihm ins Gesicht, er trug ein rotes Shirt mit dem Logo des Ladens, unter dem seine Schultern schlaff runterhingen.

Und dann entdeckte er mich.

Er sah, gebückt wie er da war, zu mir hoch, schien erst nicht ganz zu begreifen, dann füllte sich sein vorher noch leerer Blick mit Erkenntnis.
Rowan sah mich an. Mich.

Ich starrte zurück, mein Mund stand offen, aber es kamen keine Worte raus.

Und so sahen wir uns an, was bestimmt nur zwei Minuten waren fühlte sich für mich nach Stunden an.
Stunden in denen ich ihn endlich wieder betrachten konnte, seine wunderschönen dunklen Augen sah, die kleinen Muttermale in seinem Gesicht und die sündhaft weichen Lippen.

Und sie sagten etwas.

Gefangen in meinem Rausch ihn zu mustern bekam ich erst nichts mit, dann fand mein Bewusstsein wieder in die Realität zurück.

"Was?" fragte ich verwirrt.

"Ob ich helfen kann." wiederholte er. Sein Ton versetzte mir einen Stich. Er klang fremd und unnahbar; als würden wir uns nicht kennen.
So kannte ich ihn nicht, aber das hatte ich mir selbst zuzuschreiben.

Wieder musste ich erst überlegen was ich sagte. Ja, was sollte ich denn jetzt sagen?

Ich hatte ihn gefunden, toll, weiter hatte ich noch nicht wirklich gedacht.

"Senf."

FUCK.

"Senf?" hinterfragte er.

Das war das erste das mir eingefallen war! Warum Senf? Warum konntest du nicht normal sein, Kade?!

"Ja, ich suche Senf." brachte ich so ernst wie möglich raus.

Wieso war ich so dumm?

Innerlich verfluchte ich mich selbst, dann richtete Rowan sich auf und nickte; ich glaubte sogar ein kleines Schmunzeln an seinem Mundwinkel zu sehen, aber vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.
In seinem Ausdruck lag jedoch nichts weiter als Neutralität.

"Okay, Senf." Rowan ging los, ich folgte ihm mit Abstand.

Sein Gang, seine Schritte, es war alles noch so wie ich es in Erinnerung hatte, aber irgendwie ... lustloser. Er hatte seine Energie verloren.

"Hier." Er blieb so plötzlich stehen, dass ich beinahe in ihn reingerannt wäre, dann sah ich verwirrt zum Regal.

"Äh ... danke." murmelte ich und stand da, weil Rowan sich weder wegbewegte noch etwas sagte, griff ich unsicher nach einer Dose.

Und so standen wir erstmal da.

"Ich weiß du magst keinen Senf, Kade." raunte er mir zu, ich versteifte mich sofort.
Er hatte meinen Namen gesagt. Meine Hand begann zu zittern, ich umklammerte den Senf fester.
"Also, warum bist du hier?"

Drumherumreden? Einfach sagen? Wegrennen und nie wiederkommen?

Ich knabberte auf meiner Unterlippe herum. Egal, alles oder nichts.

"Ich will mit dir reden. Bitte." brachte ich hervor.

Rowan hob beide Augenbrauen. "Achja? Worüber denn? Ich dachte du hast mir nichts mehr zu sagen."

Das hatte ich wohl verdient.
Mit flehendem Ausdruck sah ich ihn an.

"Bitte Rowan, nur fünf Minuten."

Er versteifte sich kurz, sein Kiefer arbeitete, dann nickte er und sah weg.
"Ich hab in zwanzig Minuten Feierabend. Warte draußen."

Mit diesen Worten ging er zurück zum Jogurt und ließ mich stehen.

Und ich? Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Und den Senf.

•••

Das Ende naht.

Bodyguard || BoyxBoy [Beendet]Kde žijí příběhy. Začni objevovat