Das Gebet

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Im Gebet bekommt man das Vorrecht, mit dem Herrn von Zeit und Raum zu sprechen, dem Gott, der diese Welt samt dem gewaltigen Universum erschaffen hat. Gott wünscht, dass die Menschen mit ihm reden, in guten wie in schlechten Zeiten: „Wenn du keinen Ausweg mehr siehst, dann rufe mich zu Hilfe! Ich will dich retten und du sollst mich preisen" (Psalm 50,15). Auch Jesus stellte die große Bedeutung des Gebets heraus: „Bittet Gott, und er wird euch geben! Sucht, und ihr werdet finden! Und wer anklopft, dem wird geöffnet" (Matthäus 7,7).

Doch wen soll man eigentlich anbeten? Gott, Jesus oder den Heiligen Geist? Darauf gibt die Bibel eine eindeutige Antwort: allein Gott und zwar im Namen Jesu, d. h. unter Berufung auf ihn. Einem solchen Gebet verhieß Jesus: „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben" (Johannes 16,23). Jesus sagte nie, dass wir einen Fürsprecher wie Maria oder die Heiligen für das Gebet zu Gott bräuchten. Jesus allein ist der Anwalt, der beim Vater für den Menschen eintritt (1. Johannes 2,1). Das Gebet zu den Heiligen oder Maria wie im Ave Maria, einem katholischen Volksgebet aus dem 6./7. Jahrhundert, ist nicht im Sinne Jesu. Hier werden lediglich Geschöpfe Gottes angebetet und dadurch Gott die Ehre des Gebets verweigert.

Sowohl die freien als auch die vorgeformten Gebete haben ihre Bedeutung. Im Gebet in freier Form kann man sein Herz vor Gott wie einem guten Freund und Vater ausschütten. Dabei müssen nicht viele Worte gemacht werden. Eine kurze Zwiesprache mit Gott, die aus dem Herzen kommt, reicht. Jesus sagte: „Leiere nicht gedankenlos Gebete herunter wie Leute, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie würden bei Gott etwas erreichen, wenn sie nur viele Worte machen. Folgt nicht ihrem schlechten Beispiel" (Matthäus 6,7-8). Die ständige Wiederholung gleicher Gebete und heiliger Formeln wie in den Mantras des Hinduismus und Buddhismus ist eine Unart heidnischer Gebetsbräuche und wird von Jesus abgelehnt. Auch in der seit dem 11. Jahrhundert bekannten Andachtsübung des Rosenkranzes sollte die Gebetsreihung mit dem Glaubensbekenntnis, dem Ave-Maria und dem Vaterunser nicht einfach mittels Gebetsschnur heruntergeplappert, sondern die Heilsereignisse im Leben Jesu und Marias mit dem geistigen Auge betrachtet werden.

Aber auch die vorgeformten Gebete sind nötig, damit man auch dann noch beten kann, wenn einem die Worte fehlen. Auf die Bitte der Jünger nannte Jesus ihnen ein Mustergebet, das Vaterunser (Pater noster, Gebet des Herrn). Die gegenwärtige ökumenische Fassung legte die Arbeitsgemeinschaft für liturgische Texte 1968 fest. In der modernen Bibelübersetzung „Hoffnung für alle" lautet das Vaterunser so: „Unser Vater im Himmel! Dein heiliger Name soll geehrt werden. Lass dein Reich kommen. Dein Wille geschehe hier auf der Erde, so wie er im Himmel geschieht. Gib uns auch heute, was wir zum Leben brauchen, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Lass uns nicht in Versuchung geraten, dir untreu zu werden, sondern befreie uns von dem Bösen" (Matthäus 6,9-13).

Erstaunlich, dass das Vaterunser von den Fürwörtern „uns" und „unser" beherrscht wird. Die Einbeziehung von Menschen, die uns nahestehen, befreit von der selbstsüchtigen Ichbezogenheit. Die Fürbitte, das Gebet für andere, sollte ein Bestandteil des Gebets sein. Dabei bietet sich die Freiheit, jeden in die Andacht aufzunehmen, der einem am Herzen liegt: etwa den strengen Chef, die todkranke Nachbarin oder die verflossene Liebe. Jesus hat am Kreuz sogar für seine Feinde gebetet.

Durch beharrliche Fürbitte der Mutter wurde Augustinus (354 - 430) zu einem gläubigen Menschen und berühmten Kirchenlehrer. In jungen Jahren hatte er nichts mit Glauben und Gott am Hut. Augustinus war wohlhabend und hatte eine hübsche Freundin. Um das Leben ausgiebig zu genießen, zog er in die Großstadt Rom. Seine Mutter Monika jedoch, eine tapfere Christin, war davon überzeugt, dass der Sohn aufgrund ihrer vielen Tränen und Gebete nicht verloren gehen könne. Im Alter von 32 hörte Augustinus, als er im Garten über sein verkorkstes Leben weinte, plötzlich eine Kinderstimme, die befahl: „Nimm und lies!". Augustinus ging ins Haus, öffnete die Schriftrolle und las: „Lasst uns ein vorbildliches Leben führen, so wie es zum hellen Tag passt, ohne Fressgelage und Saufereien, ohne sexuelle Zügellosigkeit und Ausschweifungen, ohne Streit und Eifersucht. Legt all das ab und zieht Jesus Christus wie ein neues Gewand an: Er soll der Herr eures Lebens sein" (Römer 13,13-14). Diese Worte gingen Augustinus durch Mark und Bein. Es sprach genau das an, was Augustinus sonst nirgendwo gefunden hatte. Endlich bekam er Ruhe für seine Seele. Am Anfang seiner Autobiografie, den Confessiones (Bekenntnisse), schrieb Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir."

Wurde ein Gebet erhört, sollte man laut Bibel das Danken nicht vergessen. Als Jesus zehn Aussätzige in einem Dorf geheilt hatte, kam nur einer der gesund Gewordenen zurück, warf sich vor Jesus nieder und dankte ihm. Es war ein Mann aus Samarien. Jesus fragte: „Waren es nicht zehn Männer, die gesund geworden sind? Wo sind denn die anderen neun? Wie kann es sein, dass nur einer zurückkommt, um sich bei Gott zu bedanken, noch dazu ein Fremder?" (Lukas 17,15-17). Gott findet Gefallen am Dank des Menschen. „Dank ist das Opfer, das ich von dir erwarte; erfülle die Versprechen, die du mir, dem Höchsten, gegeben hast!" (Psalm 50,14). Ein Gelübde, das man Gott für den Fall der Erhörung des Gebets gegeben hat, sollte also unbedingt eingehalten werden. Das Oberammergauer Passionsspiel ist ein Volksschauspiel über die Leidensgeschichte Christi. Es findet alle zehn Jahre auf der Freilichtbühne in Oberammergau statt. Das Passionsspiel basiert auf einem Gelübde der Gemeinde zur Pestzeit 1633 und wird bis heute von den Einheimischen treu erfüllt.

Eine besondere Form des Gebets ist das Stoßgebet in Angst und Gefahr. Ihm ist Erhörung verheißen (Psalm 50,15). Es ist auch möglich, ein stummes Gebet zu Gott zu schicken. Es hat den Vorteil, überall im Alltag anwendbar zu sein. So bat Hanna, die keine Kinder bekommen konnte, Gott um einen Sohn (1. Samuel 1,9-13). Sie musste sich bei ihrem Gebet im Tempel ruhig verhalten. Gott erhörte ihr stummes, unter Tränen gesprochenes Gebet und Hanna bekam einen Sohn. Sie nannte ihn Samuel. Er wurde ein bedeutender Prophet, der Saul und David zu Königen salbte.

Das Tischgebet wird in manchen Familien als Dank für das tägliche Essen noch gepflegt. Auch Jesus dankte seinem Vater vor der Mahlzeit für die Nahrung. Vom Apostel Paulus wissen wir es ebenfalls (Apostelgeschichte 27,35).

Das Einhalten spezieller Gebetszeiten ist eine große Hilfe, weil es dadurch zu einer vorteilhaften Strukturierung des Tages kommt. Der Prophet Daniel betete dreimal täglich (Daniel 6,11). Auch König David hielt es so. Es wäre für den Mensch von Nutzen, wenn er ebenfalls diese drei Gebetszeiten einhalten könnte. Es ist natürlich verständlich, dass ein morgendliches und mittägliches Gebet bei Schülern oder Berufstätigen oft nur kurz ausfallen kann. Im Abendgebet besteht die Möglichkeit, den Tag mit seinen Verfehlungen noch einmal Revue passieren zu lassen und Gott die Nacht und den folgenden Tag anzubefehlen. Ein Gebet als letzte Handlung vor dem Schlafengehen macht die Seele ruhig und kann so den Menschen erholsamer schlafen lassen. In der Gebetsdisziplin ist der Islam mit dem fünfmaligen Gebet zu bestimmten Tageszeiten, an denen sich die Gläubigen auf die Knie in Richtung Mekka niederwerfen, ein Vorbild.

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