Kapitel 02

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Angespannt schlenderte ich unsere Marmortreppe hinunter. Ich hatte mich in Jogginghose, fetten Pullie sowie Socken eingepackt. Und trotzdem war mir kalt. Draußen herrschte der kühle Frühlingswind, und beim Anblick des Regens überkam mich eine ekelhafte Gänsehaut.

,,Morgen."begrüßte mich meine Mutter, als ich die Küche betrat. Ich nickte nur zur Antwort und nahm mir eine Tasse aus dem Schrank. ,,Ist der Kaffee schon fertig?"

Meine Mutter nickte ohne von ihrer Zeitschrift aufzusehen:,,Ja. Was hast du heute vor?" Für meine Antwort musste ich erst garnicht überlegen. Ich tat einfach das, was bei mir Sonntags schon Routine war.
,,Ich gucke Serien. Oder ich gehe zu Fiona und...wir gucken zusammen Serien."erklärte ich etwas verwirrt, als ich bemerkte, wie langweilig ich war. ,,Ich geh zu Fiona!"beschloss ich deshalb. Dann war es wenigstens nicht so armselig.

Nachdem Frühstück putzte ich mir die Zähne, machte mir einen ordentlichen Zopf und lief rüber. ,,Woher wusste ich, dass du kommst?"grinste mich Fiona an und ließ mich rein. Wie gesagt: Routine.,,Gucken wir Teen Wolf weiter?"

Sie sah mich schon garnicht mehr an, sondern lief mir voraus ,in die Küche. ,,Jap. Hast du Muffins?" Ohne Muffins wurden bei uns keine Filme gestartet. ,,'türlich,"murmelte sie in ihre Tasse. ,,,aber lass mich erst meinen Kaffee trinken." Lachend nickte ich, ließ mich auf einen Stuhl fallen und redete einwenig über dies und das.

Ich glaube, niemand von uns traute sich den gestrigen Abend anzusprechen. Denn wir hatten schon vor einem Jahr wortlos vereinbart, dass das Geheimniss um diese eine Nacht nicht mehr angesprochen wird. Es war ein Tabu.

,,Lass uns hoch gehen."meinte sie und stellte ihre Tasse in die Spühle. In ihrem Zimmer schmissen wir uns auf ihr Bett und suchten nach der Serie. ,,Hast du die Englisch-Aufgaben schon gemacht?"fragte sie beiläufig, während ihre Finger über die Tastatur glitten.

,,Och, Mist!"rief ich aus und schlug mir die Hand auf die Stirn. Natürlich hatte ich sie nicht vergessen, aber die Tatsache, dass ich sie noch vor mir hatte, nervte mich. Fiona lachte nur. ,,Scheiße, irgendwas funktioniert mit dem W-lan nicht." Frustriert fuhr sie sich durch ihre braunen Locken und setzte sich auf. Dann nahm sie ihr Handy zur Hand, um festzustellen, dass sie dort auch kein W-lan hatte.

Wir liefen wieder runter, ins Wohnzimmer. ,,Ich kenn mich damit nicht aus."jammerte sie, als wir unschlüssig vor der Box standen, die uns diese Probleme bereitete.

Es musste echt bekloppt aussehen, wie wir hier ,in unseren Gammelklamotten, verzweifelt auf die Wand starrten.

,,Was macht ihr da?"erklang plötzlich eine Stimme hinter uns. Fiona zuckte erschrocken zusammen. ,,Verdammt, schleich dich nicht so an!"brüllte sie Aiden an, der lässig am Türrahmen lehnte.

Seine Haare standen unordentlich in alle Richtungen ab. Er trug nur eine Jogginghose, und meine Vermutung, dass er ins Fitnessstudio gegangen war, bestätigte sich, als ich seinen durchtrainierten Oberkörper sah. Auf seinem linken Oberarm, neben den ganzen Narben, erkannte ich einen Kompass, der irgendwie auch eine Uhr sein konnte. Unschlüssig ,was ich von dieser Situation halten sollte, biss ich mir auf die Lippe.

,,Das W-lan funktioniert nicht."
seuftzte Fiona,,Außerdem, kannst du dir mal was anziehen?" Aiden verdrehte nur die Augen und stieß sich von der Tür ab, um zu uns zukommen. Er hockte sich vor die Box und fuchtelte daran herum. ,,Wo sind Mama und Papa?"

,,Arbeiten?" Fiona sagte es so, als wäre es selbst verständlich und Aiden wäre irgendwo hängen geblieben. Aiden sah sie verständnislos an und ich zog meine Augenbrauen hoch ,,Heute ist Sonntag, Fiona."erklärte ich ihr.

Ihre Ohren färbten sich leicht rot, als sie bemerkte, dass sie grade totalen Schwachsinn von sich gegeben hatte. ,,Oh...dann weiß ich es nicht."nuschelte sie. Ich grinste verstohlen, während Aiden konzentriert den Kopf schüttelte.

,,Funktioniert wieder."meinte er und stand auf. ,,Was habt ihr vor?"fragte er, als er unsere Kleidung bemerkt hatte. Gleichzeitig zuckten wir mit den Schultern. ,,Nichts besonderes."murmelte Fiona und zog sich ihre übergroße Sweatjacke um den Körper.

Es war einfach zu kalt für Frühling! Mich überfiel ein ekelhafter Schauer. Ich bekam Gänsehaut und verschränkte die Arme vor der Brust.

,,Ist dir nicht kalt?"fragte Fiona und folgte ihm in die Küche. Zitternd dackelte auch ich ihm hinter her. ,,Jetzt schon."meinte er und griff nach dem schwarzen Pullie, der über der Stuhllehne hing und zog ihn an.

,,Lass uns endlich gucken gehen." wendete sie sich von ihm ab. ,,Und wir nehmen die Decken aus dem Wohnzimmer mit." Fiona lief an mir vorbei und Aiden stellte die Kaffeemaschiene an. Dann drehte er sich zu mir und sah mich eindringlich an.

Er wollte grade etwas sagen, als Fiona wieder kam und mir eine Decke in die Hand drückte. Ich faltete sie sofort auf und wickelte sie um mich. ,,Komm!" forderte Fiona mich auf. Wir liefen wieder hoch und legten uns auf ihr breites Bett.

Der restliche Vormittag verlief wie immer. Wir sahen eine Folge nach der anderen und stopften uns mit Muffins voll.

Ungefähr gegen vierzehn Uhr klopfte es an der Tür und Floras Mutter erschien. ,,Na, wollt ihr kein Mittag essen?" Ohne zu atworten, drückte Fiona auf Pause und wir standen auf.

Unten setzten wir uns an den Tisch, an dem schon ihr Vater und Aiden saßen. ,,Hallo Michael."begrüßte ich ihn. ,,Hallo Slylar, wie geht's dir?" Ich musste lachen. Diese Frage stellte er mir jedes Mal. Wenn er sie mal nicht stellte, wusste ich, dass er gestresst war oder allgemein etwas nicht in Ordnung war.

,,Alles bestens, und bei dir?" Immer noch lächelnd setzte ich mich neben Fiona.,,Auch."

Wir löffelten uns alle was auf den Teller und fingen an zu essen. ,,Lydia wird ja schon bald ein Jahr alt."bemerkte Isabella. ,,Ja, die Zeit fliegt."schmunzelte ich und dachte an meine kleine Nichte.

,,Hast du dich schon an einer Uni beworben?"fragte Michael. ,,Wir werden die selbe besuchen, Papa."seuftzte Fioana. Sie hatte es ihm schon tausende Male erklärt, doch bei ihrem Vater schienen die Sätze durchs eine Ohr rein und durchs andere wieder raus zu gehen.
,,Achja."murmelte er.

,,Sind deine Eltern zuhause, Sky?"
meldete sich Isabella wieder. Ich nickte nur, da mein Mund voll war. ,,Dann werde ich gleich rüber gehen. Kommst du mit, Schatz?" Auch von ihrem Mann bekam sie nur ein herzhaftes Nicken.

,,Ich geh gleich auch wieder. Muss noch Hausaufgaben machen."meinte ich und stellte den Teller in die Spühle. ,,Danke für das Essen. Bis dann."flöhtete ich und lief zur Tür.

Ich öffnete sie und sah nach Draußen. Es regnete in Ströhmen und der Wind wehte die Blätter der Bäume hin und her. Mit aufgerissenen Augen schloss ich die Tür wieder und betrat die Küche. Fragend sah mich die Familie an. ,,Habt ihr einen Regenschirm?"

,,Warte kurz. Ich komme gleich."murmelte Aiden und drückte sich an mir vorbei, um die Treppe hoch zu sprinden. Ein paar Minuten später kam er top gestylte wieder runter und griff in den Schrank, um einen Schirm raus zu holen. ,,Bin bei Jo."rief er noch und öffnete die Tür.

,,Kommst du?" Er sah mich wieder mit diesem Blick an. Den Blick, den ich nicht wirklich deuten konnte. Und wahrscheinlich genau deshalb machte es mich so nervös. Schüchtern nickte ich und ging zu ihm.

Er öffnete den Regenschirm und hielt ihn über uns. ,,Ich bring dich bis zur Tür." Gemeinsam liefen wir über den Parkplatz und ich klingelte. Von Innen hörte ich Schritte. ,,Ach, hallo Aiden."begrüßte ihn meine Mutter freundlich, als sie die Tür öffnete.

Natürlich 'überseh' deine Tochter. Ist ja nichts weiter. Innerlich schnaupte ich auf und drängelte mich an meine Mutter vorbei ins Haus.

,,Hallo Diana. Sorry aber, ich muss jetzt auch direkt los."lächelte er freundlich. Er wusste genau, dass Mama ihn nochmal rein bitten wollte. Ich schmunzelte kurz. Seine Augen bohrten sich in meine, als würde er irgendwas suchen. Nur konnte er es nicht finden. Er sah mich noch ein letztes mal eindringlich an, bevor er sich umdrehte und mit einem höfflichen,,Tschüss."
verschwand. Meine Mutter schloss die Tür und lief zurück, wo auch immer sie her gekommen war.

Nur ich blieb stehen. Total benebelt von seinen unglaublichen grünen Augen.

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