(8) Den Atem anhalten

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- Draco -

Also standen wir da und wussten nicht, was wir tun sollten. Die Schale knackte leicht. Gebannt beobachtete ich, wie die Risse tiefer und länger wurden.

Obwohl ich es vor Granger nicht zugeben wollte, ich war wirklich gespannt auf den Augurey. Auch wenn die Wesen der anderen besser aussahen und bessere Fähigkeiten hatten: Mir war bewusst geworden, dass wir den einzigen Vogel hatten. Das einzige Geschöpf, dass es wohl genau wie ich lieben musste, zu fliegen. Das Freiheit genauso empfand wie ich es tat.

Schweigend standen wir dort. Die Gryffindor stellte nervös die Gläser mit den gesammelten Insekten zurecht, doch ihre Finger schienen nie zufrieden zu sein und sie stellte sie erneut in perfekten neunzig-Grad Winkeln auf. 

„Dein Hemd ist falsch geknöpft", bemerkte Granger ausdruckslos und riss mich damit aus meinen Beobachtungen. Ich sah an mir hinunter. Tatsächlich. Als ich aus der Dusche gekommen war und meinen Zauberstab bemerkte, hatte ich mich in Windeseile anziehen müssen.

„Willst du mir vielleicht beim richtigen knöpfen helfen?", grinste ich sie an und machte mein Hemd auf.

„Nein, danke", meinte sie nur und wandte sich wieder dem Ei zu. Gerade war ich fertig, da vernahm ich ein deutlich lauteres Knacken. Wir traten näher und hielten wohl beide den Atem an, da außer den Geräuschen vom Ei absolut nichts zu hören war.

Ein kleines Stück der Schale brach weg und gab ein etwa zwei zentimetergroßes Loch frei. Dann knackte es erneut und ein weiteres Stück brach weg. Ein winziger Schnabel kam zum Vorschein. Das erste klägliche, schwache Gezwitscher, das ich hörte, war beinahe herzzerreißend.

Mir erschien es wie eine Ewigkeit, als der kleine Schnabel mühsam weitere Teile der Schale abbrach. Wir standen dort und beobachteten, wie es sich immer weiter befreite. Schließlich brach die obere Hälfte des Eis auf und wir konnten einen ersten Blick auf das Geschöpf werfen.

Es sah aus wie ein normaler Babyvogel, die Haut dünn und hellrosa. Unter ihr konnte man noch die zarten, zerbrechlichen Knochen sehen. Die riesigen, blauen Augenlider waren noch geschlossen. Das kleine Wesen lag noch mit dem Unterkörper erschöpft in der Schale, die es behütet hatte. Auch die kleinen Flügel, die später einmal groß und stark werden würden, waren schon erkennbar.

Neben mir atmete Granger schwer aus. „Ich bin so erleichtert", gestand sie mir mit schwacher Stimme. 

Ich erwiderte nichts, weil ich nicht zugeben wollte, genauso zu fühlen. „Und jetzt?", flüsterte ich leise, da ich mich nicht traute, laut zu sprechen. 

„Augureys öffnen relativ früh ihre Augen und fangen schon an, ihre Sinne zu benutzen. Wir sollten noch etwas bleiben und ein bisschen Futter da lassen", antwortete sie.

Erschöpft zauberte ich eine Sitzbank aus Holz neben den von ihr gezauberten Baum und lies mich darauf nieder. Abwartend sah ich sie an. Neben mir war nun wirklich genug Platz und auf das Ei schauen konnte man von hier auch.

„Ich tu dir auch nichts. Heute. Ausnahmsweise", lächelte ich. Misstrauisch kam sie näher und setzte sich. Schweigend warteten wir eine Weile. 

„Ich will gar nicht wissen was aus den armen Tieren hier geworden wäre, wenn es Hagrid nicht gäbe", meinte sie schließlich. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier ist etwas Bedeutsames. Etwas Wichtiges." Granger gestand mir hier gerade wirklich ihre Gefühle, was mir ein bisschen unangenehm war.

„Eigentlich macht das hier nicht viel Unterschied. Da draußen gibt es noch tausende von leidenden Geschöpfen", sprach ich die Realität mal aus.

„Keinen Unterschied?", fragte Hermine entsetzt. Sie sah mich an. Ich blickte in ihre Augen, sie war mir plötzlich so nah.

Ganz gleich, was du auch ausrichtest, es wird nie mehr sein als ein einzelner Tropfen in einem unendlichen Ozean!" Sie machte eine kurze Pause und sah mich noch eindringlicher an. „Aber was ist ein Ozean, wenn nicht eine Vielzahl von Tropfen?"

Petrichor | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt