(33) Der hinterste Gedanke

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- Hermine -

„Granger", begrüßte Malfoy mich knapp, als er elegant und selbstsicher vor mir landete. Mit einer Hand fuhr er sich durch die vom Wind zerzausten, hellen Haare. 

„Ich glaube, wir müssen reden", platze ich heraus, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Ohne mich anzusehen oder etwas zu sagen ging er an mir vorbei und betrat die Scheune. War er etwa sauer auf mich? Warum verhielt er sich heute so komisch? Verwirrt folgte ich ihm. „Also, ich meine das, was heute Morgen passiert ist. Und..."

„Granger, für diese Konversation sind wir wohl beide nicht betrunken genug", brummte Malfoy vor mir.

Ich folgte ihm in die Box von Petrichor hinein, während ich überlegte, ob das gerade ernst oder scherzhaft gemeint war.

Der Augurey lag in seinem Nest und sah sehr müde aus. Kein Wunder, bei welchem Tempo die beiden da oben geflogen waren. Malfoy schloss das Fenster, während ich nur da stand und seinen Rücken beobachtete. Plötzlich fühlte ich mich dumm, weil ich ihn gesucht hatte und mit ihm reden wollte.

„Also, was gibts?", fragte er mich und drehte sich zu mir um. Seine grauen Augen bohrten ihren Blick in meine. Ich hatte dieses Gespräch im Voraus geplant, doch nun fiel mir nicht mehr ein, was ich sagen wollte. Irgendwie wollte ich das hier nicht tun. Aber ich musste, ich musste wirklich.

„Was auch immer das zwischen uns ist... Wir müssen es abbrechen", sagte ich dann, nachdem ich meinen ganzen Mut zusammengenommen hatte.

In Malfoys Gesicht regte sich nichts. Er beobachtete mich schon wieder, als würde er mich analysieren. „Warum?", fragte er schließlich.

Ich schluckte schwer. „Weil.. Es geht einfach nicht. Ich meine, ich kann das einfach nicht. Ich lüge meine Freunde an. Ich bin nicht der Typ für sowas. Ich-"

„Sicher, dass du nicht einfach nur Interesse für das Wiesel hast? Traurig und bemitleidenswert, aber sag es doch einfach", unterbrach er mich. Sein Gesicht glich einer harten, gefühlslosen Maske. Seine grauen Augen so kalt wie ein Stein.

„Was? Nein", erwiderte ich verwirrt. 

„Du hast ihn geküsst." 

„Falsch. Ron hat mich geküsst", entgegnete ich zornig. 

„Alles klar", kommentierte er nur. 

Ich konnte es nicht ertragen, wie er dastand. Was er zuvor gesagt hatte, was er heute Morgen getan hatte, es musste darauf schließen, dass er irgendwas fühlen musste. Doch er stand dort, als würde ihn das alles nicht im Geringsten interessieren.

Was auch eigentlich kein Wunder war, immerhin... „Und du hast Parkinson geküsst", entfuhr es mir ungewollt. Malfoy runzelte nun die Stirn.

„Falsch. Pansy hat mich geküsst", machte er mein Argument von zuvor nach.

Diese Situation wurde mir nun langsam sehr unangenehm. Ich war gekommen, um das hier zu klären, nicht um zu streiten und zu diskutieren. Also würde ich das auch tun.

„Jedenfalls, Malfoy. Ich habe lange nachgedacht und glaube, dass es das Beste wäre, diese Sache zu beenden. Es verwirrt mich. Du verwirrst mich. Ich belüge meine Freunde. Wenn rauskommt was passiert ist, dann weiß ich nicht, ob sie mir das je verzeihen könnten. Ron vor allem..."

„Granger. Ehrlich gesagt bist du die, die mich verwirrt. Das alles wusstest du doch von Anfang an. Warum hast du dich dann überhaupt darauf eingelassen? Warum jetzt der plötzliche Sinneswandel?" Malfoy ging mit jeder Frage einen Schritt auf mich zu, bis er dicht vor mir stand.

Ich sah ihm in die Augen und spürte, wie er mich mit seinen Worten verunsicherte. Sie gruben sich in meinen Kopf, in die hinterste Ecke meines Bewusstseins, sie griffen nach dem Grund, den ich ihm verschweigen wollte. Den ich mir verschweigen wollte.

Ich stolperte einen Schritt zurück, wollte Distanz zwischen uns bringen. Malfoy machte Anstalten, nach meinem Arm zu greifen. Doch dann blieb er doch einfach dort stehen, wo er war. Und es war vielleicht besser so.

„Granger, sag es mir", forderte er stirnrunzelnd. 

Ich schüttelte den Kopf. „Habe ich bereits. Es gibt nichts mehr." 

„Ich habe noch einen Wunsch frei, vom Deal, erinnerst du dich? Ich will, dass du es mir sagst. Die Wahrheit."

Ich spürte einen Stich in meinem Herzen, während sich Schweiß in meinen Handflächen bildete. Das konnte ich einfach nicht. „Ich hab auch noch einen Wunsch frei. Ich will es dir nicht sagen", antwortete ich trotzig.

Wir gerieten in eine ausweglose Situation, das schien auch der Slytherin zu merken. Diesmal war er es, der einen Schritt zurücktrat. Sein Gesicht verriet keinerlei Gefühl, keine Emotion. „Wie du möchtest, Granger. Deine Entscheidung."

Ohne mich anzusehen ging er an mir vorbei. Ich ging ihm nicht nach, ich drehte mich nicht nach ihm um, ich blieb einfach stehen, den Blick starr auf den Boden gerichtet, bis ich die Scheunentür zufallen hörte. Er war gegangen.

Der Gedanke in der hintersten Ecke meines Kopfes kämpfte sich nun mit aller Gewalt an die Oberfläche.

Du magst ihn. Du vermisst ihn und seine Berührungen. Sein Kuss mit Pansy stört dich mehr, als zu zugeben willst. Seine Verleugnungen verletzen dich mehr, als du wahrhaben willst. Du hast Gefühle entwickelt und das war verdammt nochmal die einzige Sache, die nicht hätte passieren dürfen.

In mir spürte ich einfach nur eine große Leere. Ich fragte nicht, ob ich richtig gehandelt hatte. Mir war nichts anderes übrig geblieben.

Vor meinem inneren Auge sah ich Malfoy, wie er mich im Krankenflügel entsetzt gefragt hatte, ob ich Gefühle für ihn hätte. Ich sah, wie er mich in der Gasse in Hogsmeade gegen die Wand gedrückt hatte. Wie wütend er geworden war, bei meiner Drohung, dass seine Familie davon erfahren könnte. Erinnerte mich daran, wie er mich panisch von sich geschoben hatte, als Pansy auf den Gang getreten und uns beim Küssen unterbrochen hatte. Sah noch immer, wie er heute Morgen vor Ron gestanden hatte.

Nichts will ich von dem dreckigen Schlammblut.

Verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Ich wusste, dass er nur versuche, das alles geheim zu halten und es wahrscheinlich nicht so gemeint hatte. Aber ich konnte das alles nicht mehr. Ich wollte das nicht mehr.

Petrichor | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt