(19) Durchgebranntes Hirn

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- Hermine -

Perplex saß ich dort. Ich starrte auf die Stelle, an der ich ihn zuletzt gesehen hatte. Er war gegangen, einfach so. Beschämt richtete ich mein T-Shirt wieder. Ich spürte meine Wangen heiß glühen. Mir war so schrecklich warm.

Petrichor lief - wie ausgewechselt - völlig heiter über die Wiese und unternahm einige Versuche, mit den Flügeln zu flattern. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, ob ich dem Vogel dankbar oder sauer für diese Unterbrechung sein sollte. Doch da bemerkte ich, dass ich dem Geschöpf gegenüber wohl nie negativ empfinden würde können.

Noch immer verwirrt von dem Gefühlschaos, welches in mir wütete, stand ich mit unsicheren Beinen auf und atmete durch. Dieser Junge machte mich wirklich wahnsinnig.

„Hermine, was ist los?" Ich war zurück zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors gegangen, in dem Ginny mich sofort abfing. Bitte nicht jetzt, Ginny, nicht jetzt. Ich wollte erst einmal selbst meine Gefühle und Gedanken ordnen.

Besorgt sah mich meine Freundin an. Wie gerne hätte ich ihr alles anvertraut, mir eine zweite Meinung eingeholt, einen objektiven Ratschlag erhalten. Jedoch war das unmöglich. Ich vertraute ihr, aber die Gefahr bestand immer, dass sich jemand verplapperte und das Ganze dann doch rauskam. Und das musste ich mit allen Mitteln verhindern.

Nicht nur, weil mich Ron wahrscheinlich nicht mehr auch nur anschauen würde, sondern weil ich Angst hatte, von der Malfoy-Familie getötet zu werden. Oder von Malfoy höchstpersönlich, wenn er dann nicht auch schon von seiner Familie zur Strecke gebracht worden wäre.

Ich seufzte schwer. Malfoy riskierte mit seinen Aktionen eindeutig Leben! War ihm das überhaupt bewusst? Naja, ich eigentlich auch, schließlich hatte ich ja nicht gerade Widerstand geleistet. Was war nur los mit mir?

„Hallo, hörst du mir überhaupt zu?", fragte Ginny verwundert. 

„Ja, klar, ich... Mir geht es einfach nicht so gut." Was für eine tolle Ausrede. In diesem Moment kam aber, Merlin sei dank, Harry in den Raum geschlendert.

Sofort richtete sich meine rothaarige Freundin auf und lächelte ihn an. „Alles gut bei euch?", fragte er mit beiläufigem Ton. 

„Hermine geht es nicht gut", erklärte Ginny besorgt. 

„Oh, ist es schlimm? Soll ich dich zu Madame Pomfrey bringen?", bot Harry hilfsbereit an. 

„Nein, danke. Ich denke, ich lege mich einfach nur mal was hin", wich ich schnell aus.

Weshalb hätte ich mich bei der Ärztin beklagen sollen? Meinem anscheinend total durchgebranntem, dämlichen Gehirn? Die Beschreibung passte wohl gut. Mein Kopf fühlte sich wirklich an, als hätte er einen Kurzschluss erlitten.

Ich ließ den beiden keine Zeit zu antworten und lief auf mein Zimmer. Mit schnell klopfendem Herzen warf ich mich auf mein Bett.

Hermine, du hast Malfoy doch noch nie gemocht, hörte ich mich selbst in meinem Kopf sagen. Und er hat dich verabscheut, schon immer. Vor allem früher hat er dich doch immer schikaniert und beleidigt. Klar, das war mit der Zeit weniger geworden. Was wohl einerseits daran lag, dass sich die Anhänger der dunklen Magie zurückziehen mussten und jeweiliges, offenkundiges Verhalten hinsichtlich Rassenfeindlichkeit alles andere als schlau war.

Andererseits vielleicht, weil ich ihm vollkommen egal gewesen bin. Und ich hatte doch genauso gefühlt. Deshalb war es klar, dass er mich aus irgendeinem Grund benutzte. Es machte ihm Spaß mich, leiden zu sehen. Daraus hatte er noch nie ein Geheimnis gemacht. Ich war sicher nur ein Aufputscher für seinen Stolz. Wenn er jetzt auch noch wüsste, dass ich mir Gedanken um ihn machte...

Ich legte mir meine kalten Hände auf die Augen, kühlte mir meine Stirn und mein Gesicht. Lord Voldemort wurde zwar besiegt und die meisten seiner Anhänger nach Askaban weggesperrt. Draco Malfoys Familie aber waren Todesser gewesen, das war jedem bewusst, obwohl sie in den Prozessen letztendlich freigesprochen wurden. Genauso Todesser, wie Malfoy es gewesen war. Und sie hatten ganz sicher noch Bezug zur schwarzen Magie und ihren rassischen Wahnideen, die mit ihr in Verbindung standen.

Klar, ich hatte keine romantischen Gefühle für Malfoy. Aber auch diese körperliche Beziehung, oder was auch immer das da zwischen uns war, könnte sehr gefährlich werden wenn jemand davon erfuhr, nicht nur für mich.

Warum beendest du es nicht einfach, Hermine? Ich könnte ihm einfach aus dem Weg gehen, endlich einfach mal nein sagen. Aber ich wollte nicht. Wenn ich ihn küsste, fühlte es sich erstmals ansatzweise so an, als würde ich nicht alles durchplanen. Nicht über alles nachdenken. Wenn Malfoy mich küsste, hatte ich das Gefühl, keine Antworten wissen zu müssen. Warum ich das tat. Was ich als nächstes tun sollte. Es war so schön, einfach mal etwas zu tun ohne darüber nachzudenken.

Aber war dies das Risiko wert? Die Konsequenzen, die uns erwarten könnten?

Reizte Malfoy das vielleicht? Das das, was wir taten, verboten und risikoreich war? Grübelnd drehte ich mich zur Seite, zog die weiche Decke des Bettes an mich.

Ich bemerkte, dass dies das erste Mal war, dass ich so wirklich über ihn nachdachte. Vor ein paar Wochen hatte ich noch geglaubt, dass dies nie möglich gewesen wäre. Ich wäre niemals davon ausgegangen, dass er mir freiwillig zu nahe kam.

Ich verstand Malfoy einfach nicht. Kein Stück. Und ich bezweifelte, dass er sich überhaupt selbst verstehen konnte.


- Jemand - 

Es dämmerte. Der Abendhimmel leuchtete rot und mit unendlicher Langsamkeit zog sich endlich eine komplette Schwärze über den Wald und seine Bäume. Mein Blick galt aber nur dem riesigen Schloss vor mir, welches unter der Abendsonne rot leuchtete. Einige Zeit stand ich dort, in Gedanken und Pläne versunken. Hinter mir hörte ich einige Geräusche. Ich drehte mich um. Dann verschwand ich so unbemerkt wieder, wie ich gekommen war.

Petrichor | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt