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Charly kam freudig auf mich zugerannt und begann, sich um meine Beine zu schlängeln, als ich mein Appartement betrat.

„Hi meine Süße! Naaaa, hast du Hunger?
Gleich gibt es was für dich."

Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen und den Schlüssel abgelegt hatte, verschwand ich in der Küche und befüllte die Näpfe meiner Katze.

Gierig machte sie sich über ihr Futter her.

„Pfffffffffff....!"
Erschöpft stieß ich angestaute Luft heraus und ließ mich auf mein Sofa plumpsen.
Wieder hatte ich eine anstrengende Schicht hinter mich gebracht.

Dass er aufgewacht war und es ihm den Umständen entsprechend gut ging, erleichterte mich ungemein.
Ich wünschte mir, er wäre bald in der Lage dazu, seinen Namen zu nennen und zu erzählen, was genau passiert war.
Bei dem Gedanken an die Schießerei wurde mir flau im Magen und ich hoffte immer noch, er wäre nicht daran beteiligt, sondern nur ein zufälliges Opfer gewesen. Doch tief in meinem Inneren spürte ich irgendwie, dass dem nicht so war.

Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken.

„Millie, hey ... was gibts?", begrüßte ich meine Freundin.

„Hi Lynn. Wie gehts dir? Alles gut?"

„Ja, eigentlich geht es mir ganz gut. Ich bin nur aufgrund der Arbeit irgendwie ziemlich kaputt momentan."

„Na nächste Woche hast du es ja geschafft und dann erstmal acht Wochen frei bevor dein Studium startet - du Glückspilz!
Ich rufe an um zu fragen ob du Lust hast noch was trinken zu gehen. Sue wäre auch dabei."

Obwohl ich nach der Doppelschicht extrem müde war, wollte ich Millie gerne mal wieder sehen und sie versuchen lassen, mich auf andere Gedanken zu bringen.

_

„Wir hätten gern einen Piña Colada, einen Tequila Sunrise und einen Mojito", bestellte meine beste Freundin einige Stunden später auf dem Rooftop unserer Lieblingsbar.

Nickend verschwand der Kellner wieder, nachdem er alles aufgenommen hatte.

„So ihr Zwei, jetzt erzählt mir doch mal, was im Krankenhaus so alles los ist. Ich bin bereit für den neusten Gossip!
Ich habe gelesen da wimmelt es nur so von Schwerverbrechern..." Neugierig ließ Millie ihre Augen zwischen Sue und mir hin und her springen.

Immer wieder versuchte sie, Krankenhausgeschichten aus uns herauszulocken.

„Millie, wir unterliegen der Schweigepflicht, das weißt du doch", sagte Sue kopfschüttelnd und grinste dabei.

„Och menno, ich hätte so gerne etwas darüber gehört", beschwerte sich Millie und blickte Sue schmollend an.

„Naja... Was wir erzählen dürfen wäre, dass Lynn jemanden nur durch ihre Berührung aus dem Koma geholt hat.
Und er sieht eeeeecht gut aus", platzte es meiner Kollegin plötzlich kichernd heraus.

Oh Gott! Es war unglaublich, wie schnell sich Ereignisse in der Klinik herumsprachen.
Sue hatte also Wind davon bekommen, obwohl sie in den letzten zwei Tagen frei hatte.
Mit Sicherheit hatte Melinda, das unfassbar
neugierige Plappermaul vom Empfang da wieder ihre Finger im Spiel - beziehungsweise ihr loses Mundwerk.

Sauer kniff ich meine Lippen zusammen und spürte, wie sich meine Wangen erwärmten. Ich musterte meine Schuhe.

„Waaaaas? Das gibts doch nicht Lynn! Ich will die Geschichte dazu hören. Raus mit der Sprache!", befahl Millie mir mit goßen Augen und einem riesigen Grinsen im Gesicht.

Sie war die Neugierde auf zwei Beinen und würde nicht locker lassen, bis ich ihr alle Details der Story erzählt hatte.

Super!
Beschuldigend funkelte ich Sue an. Wie konnte sie nur?

„Naja...", begann ich schließlich, „... ganz so wie Sue behauptet war es nicht."

„Und wie dann?" fragte Millie aufgeregt und biss sich auf die Unterlippe.

Bevor ich weitersprechen konnte kam der Kellner mit unseren Getränken, verteilte sie und wandte sich dann zum Nachbartisch.

„Na komm, spann mich nicht so auf die Folter, ich steeeeerbe", witzelte Millie mit gequältem Gesichtsausdruck.

Also fuhr ich fort und berichtete ihr, was geschehen war, ohne Interna zu verraten.

Wie er auf mich wirkte, wie ich mich gefühlt hatte, wie mein Körper reagierte und was seitdem in meinem Kopf los war, verschwieg ich den Beiden allerdings.
Obwohl ich Millie und Sue schon lange kannte und ihnen vertraute, gab es Dinge, die ich lieber für mich behielt - zumindest vorläufig.

Doch ich spürte, dass meine Körpersprache mich verraten würde - so wie bei Opa.
Ich redete immer schneller, gestikulierte wild dabei und nahm wahr wie sich feine Schweißperlen auf meiner Oberlippe bildeten.

Mist! Ich würde definitiv auffliegen!

„Lynnie, Lynnie, Lynnie!
Egal was aus deinem Mund kommt, dein Körper zeigt gerade, dass ER ... " - sie hob ihre Finger und schieb Gänsefüßchen in die Luft - „es dir total angetan hat."

Ich wusste es!
Hatte Millie mich durchschaut?
Ich denke schon.
Es abzustreiten schien mir nun zwecklos.
Doch ich war mir selbst ja noch nichtmal sicher, was er in mir auslöste und warum ich so reagierte.
Ich kannte ihn nicht und wusste absolut nichts über ihn. Und nicht zu vergessen schien er ein Krimineller zu sein.

„Es ist nicht so wie ihr denkt...", rechtfertige ich mich.
„Ja ich gebe es zu, ich finde ihn ... attraktiv... da ist ja auch nichts dabei.
Aber ich kenne weder seinen Namen, noch seine Geschichte.
Außerdem ist er ein Patient von mir. Ich muss professionell bleiben.
Ich hoffe einfach, er kann schnell entlassen werden und dann trennen sich unsere Wege.
Nächste Woche bin ich sowieso weg."

Überrascht davon, wie gut mir meine Rede gelungen war, sah ich meine Freundinnen bestätigend an.
Ich glaubte mir selbst, was ich sagte.

Auch Sue und Millie schien ich etwas umgestimmt zu haben.

„Na wenn du das sagst...", meinte Sue und nickte mir aufmunternd zu.
Millie zuckte mit den Schultern: „Wir werden ja sehen", und widmete sich ihrem Getränk.

_

Am Tag darauf hatte ich frei.

Ich entschied mich, meinen Opa zu besuchen und verbrachte den Tag zusammen mit ihm im Garten.
Das Wetter war herrlich und ich genoss die Sonne auf meiner Haut.

Wir ernteten Gemüse, kochten zusammen und unterhielten uns, bis es Zeit für sein Schläfchen am Nachmittag war und ich ihn alleine ließ.

Auf dem Rückweg zu mir nach Hause, kam ich mal wieder ins Grübeln.

Die Geschichte um den unbekannten Patienten ließ mich einfach nicht los.

Und dann hatte ich auf einmal eine verrückte Idee.

Schnell änderte ich meine Route und bog in die nächste Straße ein, die Richtung Innenstadt führte.

Es war mir plötzlich durch den Kopf geschossen wie ein Blitz:

Ich wollte mir den Tatort ansehen!

Das Juweliergeschäft, in dem sich alles abspielte.

Das Geschäft, in dem es einen Raubüberfall, eine Geiselnahme und eine Schießerei mit einem Toten gegeben hatte.
Das Geschäft, in dem er sich befand, in dem er verletzt worden war, in der Nacht bevor ich ihn kennenlernte.

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Ein neues Kapitel ist fertig.

Wie hat es euch gefallen? Was sagt ihr zu Lynns Freundinnen und ihrer Detektivarbeit?

Ich würde mich sehr über eure Kommentare und Votes freuen und wünsche euch einen tollen Sonntag 😊

-F.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now