48 (Lesenacht: Kapitel 4/4)

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Nach weiteren stillen Minuten des nebeneinander Hergehens traf mich plötzlich ein dicker Regentropfen mitten auf die Nase. Und er blieb nicht der Einzige, denn kurz darauf prasselten unzählige weitere auf mich herab.

„Auch das noch", stöhnte ich und war somit die erste, die nach der merkwürdigen Situation zwischen uns wieder das Wort ergriff.

„Wie weit ist es denn noch?", fragte mich mein Patient.

„Wenn wir in diesem Tempo weitergehen sind es noch zehn Minuten schätze ich."

Er nickte.
„Schneller schaffe ich es leider nicht. Tut mir leid."

Und dann begann der Regen nur so auf uns herabzuprasseln.

Er hob seine Hand und ließ die Finger durch seine komplett nassen Wellen gleiten, die ihm bereits vor die Augen gefallen waren und strich sie zurück.

„Ist nicht schlimm."
Ich sah ihn direkt an und wagte es, vorsichtig zu lächeln. Er erwiderte es zum Glück sofort und die gesamte Anspannung der letzten Minuten schien damit wie weggeblasen. Das erleichterte mich ungemein.

„Ich denke, diese Situation haben wir schon schlimmer erlebt", sagte ich und wischte mir die Feuchtigkeit von der Wange.

Natürlich spielte ich auf den Tag auf dem Parkplatz an. Den Tag, an dem er in strömendem Regen und frisch operiert aus der Klinik fliehen musste weil er verfolgt wurde, bevor er vor meinen Augen durch die heftigen Schmerzen zusammensackte und ich ihn mit aller Kraft in mein Auto bugsieren musste.

„Das stimmt." Er wusste sofort, wovon ich sprach.
„Ich hatte viel schlimmere Schmerzen als jetzt, war durchgefroren, hatte die Kerle in meinem Nacken und war perspektiv-  und obdachlos.
Aber dank dir, Lynn, ist keins dieser Dinge mehr da."

Schwach lächelte ich. „Scheinbar bin ich eine ganz gute Pflegerin."

Plötzlich blieb er stehen und erhob langsam seinen Blick, bis er meinen traf.

„Du bist so viel mehr Lynn."

Er griff nach meiner Hand und nahm sie in seine, ehe er sie behutsam ineinander verhakte und dann gemeinsam in seiner Manteltasche verschwinden ließ.

Ich wusste nicht wie mir geschah, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Was ich jedoch wusste war, dass sich das, was gerade passiert war, unglaublich schön anfühlte und ich den Regen komplett ausblendete.
Alles was ich wahrnahm war seine Körperwärme, die mich komplett einnahm.
Das Blatt hatte sich binnen einer Minute komplett gewendet - und zwar zum Besseren, zum sehr Guten.

Wieder ohne ein weiteres Wort zu verlieren gingen wir nebeneinander her, doch dieses Mal fühlte sich die Stille wundervoll an.

Ich spürte, dass er in diesem Moment nicht spielte und das ließ mein Herz warm werden.

-

„Okay, setz dich da drauf und ich ziehe dir die Schuhe aus", sagte ich eine Viertelstunde später, nachdem wir den Rückweg gemeistert hatten und ich im Bad auf die zugeklappte Toilette zeigte.

Ich hatte ihn im Badezimmer warten lassen, während ich mich selbst im Schlafzimmer von den nassen Klamotten befreit und mir meine Jogginghose samt Langarmshirt angezogen hatte.
Da meine Jacke eine Kapuze hatte, waren bloß ein paar meiner vorderen Strähnen nass geworden.

Nun folgte mein Gast meinen Anweisungen und ließ seinen Körper langsam herab, bis er sicher auf der geschlossenen Toilette saß.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now