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Fassungslos ließ ich mich auf das Sofa fallen, stieß eine große Menge Luft aus, die ich scheinbar angehalten hatte, und versuchte die ätzenden Gefühle, die in mir aufkamen, zu bekämpfen.

Warum wollte er sich stellen? Warum tat er das nur? Warum wollte er nicht mit mir abhauen?

Ich hatte mich dafür bereiterklärt mit ihm unterzutauchen und wollte es auch durchziehen.

Er konnte doch nicht für etwas büßen müssen, an das er keinerlei Erinnerung mehr hatte...


Unruhig und getrieben stand ich wieder auf und ging zum Fenster.

Als ich auf die Straße blickte, sah ich, dass mein Gast ... ehemaliger Gast ... sich auf dem Bürgersteig befand und in Richtung Innenstadt lief.

Langsam und beschwerlich setzte er einen Fuß vor den anderen und hielt sich dann plötzlich seine Hand an die Wunde.

Oh nein!

Er konnte bereits wieder ohne Hilfe laufen, aber so eine Strecke hinter sich zu bringen, die dazu noch durch teilweise unbefestigten Untergrund gekennzeichnet war, war einfach noch zu viel für ihn.

Kurz blieb er stehen, atmete kräftig ein und aus, hielt sich dabei weiterhin den Unterbauch und setzte sich dann wieder in Bewegung.

Das zu sehen brach mir binnen weniger Minuten ein weiteres Mal mein Herz.

Ich konnte es nicht zulassen, dass er diesen Weg zu Fuß auf sich nahm und seine Genesung damit gefährdete. Mein Verantwortungsgefühl als Krankenschwester leuchtete in mir auf wie ein Alarmsignal.

Beinah reflexartig riss ich das Fenster vor dem ich stand auf.

„Warte!", rief ich aus voller Kehle hinaus.

Daraufhin blieb er stehen, drehte sich dann zögerlich um und sah zu mir hinauf.

Als sich unsere Blicke trafen, wurde mir augenblicklich wieder warm ums Herz. Doch schnell verdrängte ich dieses Gefühl, denn ich spürte sofort, wie sehr er sich bisher verausgabt hatte.

„Ich fahre dich! Du kannst nicht dahin laufen!"

Ohne auf seine Antwort oder gar Protest zu warten, schloss ich das Fenster, zog mir meine Schuhe an, schnappte Schlüsselbund, Portemonnaie, Handy und Jacke und machte die Haustür hinter mir zu, bevor ich auf die Straße lief.

Er war tatsächlich stehen geblieben und hatte sich nicht vom Fleck bewegt.

Schnell öffnete ich mein am Straßenrand parkendes Auto, stieg ein und überbrückte die paar Meter zwischen uns damit.

Doch als ich neben ihm anhielt, machte er keinerlei Anstalten die Beifahrertür zu öffnen und einzusteigen. Also ließ ich das Fenster herunter und lehnte mich ein Stück zur Seite um ihn anschauen zu können.

„Komm, steig ein...
Ich will dich nur fahren, weil ich verhindern möchte, dass sich dein Gesundheitszustand verschlechtert, wenn du zur Polizeiwache läufst.
Ich sehe doch, wie sehr dir jeder Meter zu Fuß zu schaffen macht. Und dazu wird es noch dunkel.
Wenn es immernoch dein Wunsch ist dich zu stellen, werde ich dich nicht von deinem Plan abhalten.
Aber bitte, lass dich von mir zum Revier fahren!"

Er senkte den Blick, schaute zu Boden und kaute auf seiner Unterlippe herum. Krampfhaft schien er über meine Worte nachzudenken.

Ich fragte mich angespannt, ob er mein Angebot annehmen würde und musterte ihn abwartend.

„Nagut...", kam dann nach einer Weile von ihm.

Gott sei Dank, er nahm es an!
Ein kleiner Stein purzelte mir von meinem Herzen.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now