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„Nein nein Opa, alles gut, ich habe noch jede Menge da, du musst nichts vorbeibringen. Und außerdem fühle ich mich heute auch nicht so gut und will mich einfach nur ausruhen", erklärte ich meinem Großvater am Abend über das Telefon und hoffte ihn überzeugen zu können zu Hause zu bleiben.

Er hatte angeboten noch schnell vorbeizukommen um etwas Gemüse aus seinem Garten bei mir abzugeben.

Er meinte es wie immer nur gut, aber ich musste ihn dringend abwimmeln.
Niemals hätte er erfahren dürfen, was in meiner Wohnung gerade vor sich ging.

Mein Opa war jemand, der nicht einfach nur kurz irgendwo irgendetwas abgeben konnte und dann weiterfuhr. Nein, er erzählte und erzählte an der Tür, brachte sich selbst immer wieder auf neue Themen und am liebsten kam er dann natürlich rein und fragte nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen.

In jeder anderen Situation hätte ich sein Angebot liebend gern angenommen, aber mit meinem Patienten bei mir zu Hause war das absolut undenkbar. Sicherlich würde mein alter Herr einen riesigen Schrecken bekommen, wenn nicht sogar einen Herzinfarkt, wenn er wüsste was ich getan hatte.

Meinem „Nachbarn" konnten wir Lügengeschichten auftischen, aber mein Opa war nicht dumm, er hätte sofort gewusst, was er bei mir zu suchen hatte.
Er kannte jeden aus meinem Freundeskreis und hätte sofort gemerkt, dass mein Gast nicht einfach irgendein guter Kumpel von mir war. Und selbst wenn: was hätte so jemand in frisch operiertem Zustand bei mir auf dem Sofa gemacht? Das wäre niemals glaubwürdig zu erklären gewesen.

Abgesehen davon wollte ich ihn nicht dermaßen anlügen müssen.
Eine kleine Ausrede hier und da war sicherlich manchmal notwendig, um ihn nicht unnötig aufzuregen, aber eine solche Lüge, dass ich plötzlich - und wie aus dem Nichts - einen neuen, festen Freund hatte, hätte ich ihm einfach nicht vorsetzen können.
Und außerdem kannte er die Geschichte von dem Patienten, dem eine Kugel aus dem Bauch geholt werden musste, denn die hatte ich ihm ja beim Kuchenessen erzählt. Er hätte sich alles sofort zusammenreimen können.
Dann hatte ich keine Ahnung, ob er es verkraften würde wenn ich ihm mitteilte, dass ich einen  - höchstwahrscheinlich - Kriminellen, der sein Gedächtnis verloren und den ich aus dem Krankenhaus geschmuggelt hatte, bei mir wohnen ließ, weil er von noch gefährlicheren Gangstern verfolgt wurde.

Shit! Nachdem ich es mir selbst genauso vor Augen geführt hatte, spürte ich einmal mehr, wie wahnsinnig die ganze Sache eigentlich war.

Opa durfte das einfach nicht erfahren. Niemals!
Dafür liebte ich ihn zu sehr. Vielleicht hätte er es gesundheitlich nicht ertragen können, wenn er so viel Angst um mich gehabt hätte oder wäre so enttäuscht von meinem Handeln gewesen, dass unser Verhältnis kaputt gegangen wäre.

Das durfte ich einfach nicht riskieren.

Auch wenn das hieß, dass ich meinen Großvater einige Tage lang nicht sehen konnte und ihn auf Abstand halten musste.
Er würde in meinem Gesicht lesen können, dass ich ihm etwas verheimlichte.


„Okay mein Kind, dann ruh dich schön aus und mach es gut", sagte mein Opa und ich atmete erleichtert aus. Er hatte mir also geglaubt und würde nicht mehr vorbeikommen. Zum Glück!

„Danke Opa, bis bald", hauchte ich beruhigt und legte auf, ehe ich zu meinem Patienten aufsah, der alles mitangehört hatte.

Eine Gefahr für heute weniger.

-

Nachdem der cholerische Nachbar einige Stunden zuvor gegangen war um den echten Unfallverursacher samt blauem Auto zu suchen, hatte ich mich schnell und so galant wie möglich aus der Umarmung meines Patienten herausgewunden.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now