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Leise setzte ich einen Fuß vor den anderen und versuchte dabei möglichst keinen Mucks von mir zu geben.

Dass es dunkel und absolut still war, verunsicherte mich etwas. Das Einzige was ich hörte war schon wieder bloß das laute Ticken der Uhr im Wohnzimmer.

Langsam näherte ich mich dem Geräusch und konnte durch die Dunkelheit nur die Umrisse des Sessels vor mir erkennen.

Ich bückte mich, umfasste das weiche Leder und hob den Sessel an, um ihn in die Nähe des zweiten bringen zu können und sie zusammenzuschieben.

Dann ging ich auf die Truhe aus Korb zu, die unter dem Wohnzimmerfenster stand, öffnete sie und zog ein paar Kissen und zwei Decken heraus.
Eine davon breitete ich auf den Sesseln aus und warf die Kissen darauf, die andere hängte ich über die Lehne.

Auf Zehenspitzen lief ich zur Haustür, prüfte noch einmal, ob sie auch wirklich abgeschlossen war und kehrte dann zu meinem neuen „Bett" zurück.

Ich hielt mich an der Lehne fest, kletterte mit einem Schwung hinein, legte mich hin und deckte mich mit der zweiten Decke zu.

Ich musste zugeben, dass es bequemer war als ich es anfangs vermutet hätte.

Was nur mehr als unangenehm war, waren meine noch nicht vollständig getrockneten Haare in meinem Handtuchturban, den ich auf meinem Kopfkissen platzierte. Ich hoffte, meine Strähnen würden es nicht allzu sehr durchnässen.
Meine Haare noch zu föhnen, wäre viel zu laut gewesen...


Tief seufzend starrte ich unter die Holzbalken an der Decke.

Wer hätte das gedacht: ich würde wieder hier sein. Hier in der Hütte. Und das allein. Ohne meine Großeltern.

Dafür aber mit ihm, dem ich aber anscheinend zu nah gekommen war - in welcher Hinsicht auch immer.

Mist...

Grübelnd drehte ich mich auf die Seite und spürte, wie müde ich eigentlich war. Doch trotzdem konnte ich nicht ans Schlafen denken. Nichtmal meine Augen schließen war mir möglich.

Ich befand mich auf der Flucht! Einfach unfassbar!

Was für ein Tag...

Ich ließ meine Blicke durch den Wohnbereich und die angrenzende, offene Küche wandern und visierte jedes Möbelstück an, das ich dank des Mondlichts, das durch das Fenster fiel, schemenhaft erkennen konnte.

Gerade an die Küche hatte ich sehr beunruhigende Erinnerungen.

Denn dort begann es.

Das Ende des Lebens meiner Eltern und das meiner glücklichen Kindheit.

Auch nach dieser langen Zeit wühlten mich die Gedanken daran noch so sehr auf.

Schnell drehte ich mich auf die andere Seite und starrte durch die Holzsprossen des Wohnzimmerfensters nach draußen.

Ein paar Sterne waren am wolkenlosen Himmel zu erkennen und strahlten beinah um die Wette.

Ich blickte durch einige riesige Tannen und Laubbäume hindurch und erspähte unseren Steg und den kleinen See.

Unglaublich, wie friedlich es so viele Jahre später hier aussah.

Ich fragte mich, ob ich es wohl schaffen würde, mich in den nächsten Tagen auch nur einigermaßen okay zu fühlen, oder ob ich es nicht aushalten würde wieder hier zu sein.

Doch hatte ich eine Wahl?

Nein!

Nicht nur für meinen Patienten war das alles eine Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch für mich.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt