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„Nur noch ein paar Meter, dann hast du es geschafft", stöhnte ich unter der Last seines Körpers.

Ich hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt und zog ihn stützend und mit all meiner Kraft aus meinem Auto heraus - hin zu meiner Wohnungstür.

Nachdem er meinen Vorschlag gehört hatte, ihn bei mir aufzunehmen, lächelte er mich kurz an, nickte erleichtert, schloss die Augen und schlief vor Erschöpfung einfach ein.
Wer konnte es ihm nach den Strapazen verübeln?

Während der Fahrt kämpfte ich mit meinem Gedankenkarussell.
Hatte ich richtig entschieden?
Ich würde einen völlig Fremden bei mir verstecken, von dem ich nichtmal seinen Namen kannte, der in eine Straftat verwickelt war, verfolgt wurde, untertauchen musste und dazu noch schwerverletzt und pflegebedürftig war.

Auf was hatte ich mich nur eingelassen?
Mein Opa würde durchdrehen, wenn er davon erfahren würde.
Niemand durfte etwas darüber wissen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.


Hastig schloss ich die Tür auf, zog meinen Patienten in meine Wohnung und setzte ihn auf dem Sofa ab. Ich schnappte erschöpft nach Luft. Ich brauchte eine Pause.
Sofort ließ er sich stöhnend auf den Rücken fallen, nachdem ich ihm die Schuhe ausgezogen hatte.

Oh nein, was machte er nur?

„Ich weiß, dass du unheimlich müde bist und nur noch schlafen willst, aber du musst aus den nassen Klamotten raus", mahnte ich besorgt.

Gequält sah er mich an.
„Ok", gab er zögerlich von sich.

„Aber erst hole ich dir Tabletten", rief ich, lief in die Küche und kam mit ihnen und einem Glas Wasser zurück.

Nachdem er sie heruntergeschluckt hatte, trank er hastig das Glas leer.

Dann kam der schwerste Teil.

Ich beugte mich über ihn, fasste an seine Schultern und zog ihn stützend und vorsichtig wieder auf die Beine zurück - hin zum Badezimmer.

Ich setzte ihn auf die zugeklappte Toilette und hoffte im selben Moment, ich würde ihn später auch wieder von dort hochbekommen. So langsam gingen mir nämlich die Kräfte aus und ich war mir nicht sicher, wie lange ich diesen 1,90m großen Körper noch hochhieven können würde.

Keuchend stützte ich meine Hände auf meine Oberschenken und holte wieder kräftig Luft.

Und jetzt? Wie sollte es weitergehen?
Musste ich ihn etwa ausziehen? Ohje!

In der Klinik war ich solche Szenen gewöhnt, aber bei mir zu Hause ...?
Unsicher schaute ich ihn an und wartete auf eine Reaktion von ihm.

Zu meinem Glück ließ er dann seine Hand zum Ärmel seiner Lederjacke wandern und begann, sich ihr zu entledigen. Obwohl er sich sehr langsam bewegte, gelang es ihm, sie auszuziehen und sie kurz darauf auf den Badezimmerboden fallen zu lassen.
Danach versuchte er, sich aus seinem Hoodie zu winden. Vorsichtig zog er seine Arme aus den Ärmeln und den Pulli über seinen Kopf, doch er kam nicht weit und blieb hängen. Er schaffte es nicht, ihn komplett auszuziehen.
Wieder stöhnte er schmerzerfüllt.

Wortlos hockte ich mich vor die Toilette auf der er saß. Mir war klar, dass ich ihm nun doch helfen musste.

Zögerlich und unsicher ließ ich meine Finger zum Saum des Hoodies gleiten, der bereits ein Stückchen hochgezogen war, griff vorsichtig den weichen Stoff und streifte dabei kurz seine Haut.
Sofort zuckte er unter meiner Berührung zusammen.

Mist, wahrscheinlich waren meine Finger viel zu kalt.

„Tut ... tut mir leid", flüsterte ich um mich dafür zu entschuldigen.
Wie ich es schon erwartet hatte, kam jedoch keine Antwort.

Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now