Trois

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Nervös umfasste ich den Griff meines Koffers etwas fester, dann lief ich entschlossen zur Hotelrezeption.

"Herzlich Willkommen", begrüßte mich die Frau hinter dem Tresen freundlich und ich erwiderte ihr Lächeln so gut es ging.

"Danke. Mein Name ist Louanne Vinet, für mich müsste ein Zimmer reserviert worden sein."

"Einen Moment bitte, ich schaue nach."

Während sie das tat, ließ ich meinen Blick durch die Eingangshalle schweifen. In diesem Hotel schienen viele Kollegen der internationalen Presse untergebracht zu sein, aber zu meiner Erleichterung waren die Teams wohl woanders, sodass ich hier zumindest noch keine Gefahr lief, jemandem aus der Vergangenheit zu begegnen.

"Louanne Vinet von Le Courrier, richtig?", unterbrach die Rezeptionistin meine Gedanken und ich nickte sofort.

"Genau."

"Sie haben Zimmer 212, das ist im zweiten Stock und das hier ist Ihre Zimmerkarte. Frühstück gibt es von 6 bis 9 Uhr, Abendessen von 18 bis 23 Uhr, der Speisesaal ist direkt dort drüben. Außerdem habe ich hier noch Ihren Presse-Pass, der für Sie hinterlegt wurde. Möchten Sie, dass jemand Ihr Gepäck auf Ihr Zimmer bringt?"

"Nein danke, das mach ich selbst."

Lächelnd nahm ich die Sachen an mich und schnappte mir wieder meinen Koffer, dann verabschiedete ich mich von der Rezeptionistin und lief zum Aufzug, der mich ins zweite Stockwerk brachte. Mein Zimmer war schnell gefunden und ich stellte beeindruckt fest, dass es trotz der eher geringen Größe wirklich schön und komfortabel eingerichtet war.

Durch das große Fenster kam helles Sonnenlicht herein, weshalb ich erstmal die Jalousie etwas nach unten machte. Anschließend wusch ich mir die Hände und packte meinen Koffer aus, damit all die Kleider auf Bügeln landeten und keine hässlichen Falten bekamen.

Als ich das erledigt hatte, warf ich einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es Zeit fürs Abendessen war und weil mein Magen bereits leise zu grummeln begonnen hatte, schnappte ich mir direkt meine Zimmerkarte und machte mich auf den Weg zum Speisesaal. Dieser war bereits ordentlich gefüllt und ich atmete erleichtert auf, als mir ein kleiner Tisch an der Wand zugeteilt wurde, der nicht mitten im Getümmel stand.

Während des Essens musste ich unweigerlich an Pierre denken und fragte mich, was morgen wohl passieren würde, wenn wir uns wiedersahen. Ihn sollte ich zuerst interviewen, Esteban kam danach und ich war mir nicht sicher, ob es gut oder schlecht war, dass Pierre der Erste war.

Gut war, dass ich es dann hinter mir hatte und er von meiner Anwesenheit wusste, sodass keine überraschenden Begegnungen irgendwo auf dem Gelände passieren konnten.
Andererseits hätte ich das Interview mit ihm am liebsten so lange wie möglich aufgeschoben und wünschte, er wäre erst als Zweiter dran. Aber die Termine standen wohl schon länger fest, also musste ich mich daran halten und es einfach irgendwie durchstehen.

Als der nächste Gang serviert wurde, schlich sich ein trauriges Lächeln auf meine Lippen. Pierre hatte früher immer gesagt, dass wenn er erstmal ein richtiger Formel-1-Fahrer wäre und wahnsinnig viel Geld hätte, er mich in die tollsten Restaurants einladen würde und zwar so lange bis ich meinen absoluten Liebling gefunden hatte. Und dann würde er mich an jedem Hochzeitstag und jedem Geburtstag dorthin einladen, bis ans Ende unseres Lebens.

Dazu war es nie gekommen.
Als ich erfahren hatte, dass er Reservefahrer für Red Bull werden würde, war mir klar geworden, dass das seine Eintrittskarte in die Formel 1 war und ich ihm dabei nicht im Weg stehen durfte. Also war ich gegangen und damit auch die Traumvorstellung von unzähligen gemeinsamen Restaurantbesuchen und einer glücklichen Zukunft.

Nach dem Abendessen gönnte ich mir in der Hotelbar noch einen Drink, dann ging ich hoch auf mein Zimmer, telefonierte kurz mit Coco, um ihr zu sagen, dass ich gut angekommen war und fiel schließlich hundemüde ins Bett. Morgen stand mir ein nervenaufreibender Tag bevor, auf den mich nichtmal zehn Stunden Schlaf hätten vorbereiten können, aber Augenringe wollte ich auch keine haben.

Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt Pierre und obwohl ich Angst vor unserem Wiedersehen hatte, klopfte mein Herz bei seinem Anblick vor meinem inneren Auge nicht aus Furcht etwas schneller.

~~~

Obwohl ich mit meiner Schwester schon besprochen hatte, was ich heute anziehen wollte, hatte ich morgens ewig vor dem Kleiderschrank gestanden und noch tausend Mal hin und her überlegt, ob ich nicht doch etwas anderes tragen sollte. Aber das Kleid war für die herrschenden Temperaturen genau richtig und es wirkte trotz seiner Verspieltheit durch das Muster professionell genug für eine seriöse Journalistin.

Nach dem Frühstück, bei dem ich vor Nervosität nur wenige Bissen herunterwürgen konnte, machte ich mich auf den Weg zur Rennstrecke. Es war schon einiges los und sobald ich das Gelände betreten hatte, machte sich eine Gänsehaut auf meinem Körper breit.

Wie oft hatte ich mir diesen Moment in der Vergangenheit vorgestellt?

Bei einem Formel-1-Rennen anwesend zu sein und Pierre dabei zusehen zu können, wie sein großer Traum wahr wurde. Er war einer von 20 Fahrern, die das Privileg hatten, sich in den schnellsten Autos der Welt über den Asphalt zu jagen.
Das hier war es, was Pierre sich immer gewünscht und was ich für ihn gewollt hatte. Natürlich hatte ich immer gehofft, ich würde auch Teil dieses Traums sein, aber das war ich nicht gewesen und genau deshalb hatte ich damals den Schlussstrich ziehen müssen.

So selbstbewusst wie möglich streckte ich den Rücken durch und hob das Kinn. Genug der Vergangenheit, jetzt war ich hier und hatte einen Job zu erledigen. Mein Interview mit Pierre war in etwas mehr als einer Stunde und bis dahin wollte ich mir unbedingt noch alles anschauen. Und vor allem würde ich die Zeit brauchen, um mir noch ein bisschen Mut einzureden.

~~~

Als ich etwa eine Stunde später bei Pierres Team AlphaTauri aufschlug und mich auswies, zitterten meine Hände so sehr, dass man mir auf keinen Fall einen zerbrechlichen Gegenstand hätte anvertrauen sollen.

Ein Mitarbeiter führte mich durch das Motorhome von Red Bull, in dem auch AlphaTauri untergebracht war, zu einem Raum, wo ich gebeten wurde zu warten bis Pierre kam. Ich tat, was mir gesagt wurde und nutzte die Zeit, um nochmal meine Fragen durchzugehen und Block und Stift bereitzuhalten.

Als irgendwann die Tür aufging, sprang ich wie von der Tarantel gestochen auf und sah, wie zwei Männer den Raum betraten. Den Ersten kannte ich aus meinen Unterlagen von der Arbeit, das war Pierres Pressemanager. Und dahinter–

Mir stockte der Atem.

Er war älter geworden, aber er hatte immer noch dasselbe Grinsen auf den Lippen wie damals. Als er mich entdeckte, blieb er stocksteif stehen und starrte mich entgeistert an.

"Was zum–"

Sein Pressemanager drehte sich überrascht zu Pierre um und schaute ihn fragend an.

"Alles okay?"

"Nein. Nein, absolut nicht. Was macht sie hier?"

"Ich bin beruflich hier, für ein Interview", mischte ich mich so selbstbewusst wie möglich in das Gespräch mit ein und erntete nur weitere fassungslose Blicke von Pierre.

"Das ist ein schlechter Scherz, oder?"

"Was ist das Problem?", erkundigte sich sein Pressemanager verwirrt und schaute zwischen uns hin und her.

"Das Problem ist, dass das da meine Ex-Verlobte ist."

Er spuckte die Worte förmlich aus und ich bekam eine Gänsehaut.

"Pierre, bitte glaub mir, dass ich genauso ungern hier bin wie du, aber ich muss einen Kollegen vertreten, der kurzfristig ausgefallen ist. Können wir das Ding professionell durchziehen oder kriegen wir Schwierigkeiten?", erkundigte ich mich sachlich, obwohl ich innerlich am Schreien war.

"Ich kann professionell bleiben, du auch?", fragte er herausfordernd und sah mich durchdringend an.

"Natürlich", entgegnete ich und nickte in Richtung der Stühle, "Setzen wir uns doch."

Pierre und sein Pressemanager kamen der Aufforderung nach, dann griff ich nach meinem Block und zückte meinen Stift.

"Alles klar, erste Frage."

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now