Quatre

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Während des Interviews fiel es mir wahnsinnig schwer Pierre nicht anzustarren.
Er sah noch genauso aus wie damals, nur ein bisschen älter. Seine Haare waren dunkler und er trug einen Bart, seine Stimme war noch ein klein wenig tiefer geworden und er lächelte nicht mehr so viel wie damals.
Na gut, Letzteres lag wahrscheinlich an meiner Anwesenheit.

Zu meiner grenzenlosen Erleichterung schafften wir es, professionell zu bleiben und die Situation wurde nicht ganz so unangenehm wie befürchtet. Dafür wurde sie schmerzhafter, als ich angenommen hatte.

Pierre so nah zu sein und zu wissen, dass er mich hasste, tat unheimlich weh, aber das hatte ich selbst zu verantworten und Jammern änderte daran nichts.
Nachdem Pierre meine letzte Frage beantwortet hatte, nickte ich zufrieden.

"Alles klar, vielen Dank für das Interview und viel Glück für das Rennen."

"Danke", antwortete Pierre kurz angebunden und schaute seinen Pressemanager fragend an, "Was steht als Nächstes auf dem Plan?"

"Es geht erst in einer Stunde weiter, wir treffen uns dann einfach am Eingang der Hospitality."

"Okay."

Ich lauschte dem Gespräch der beiden schweigend und packte meine Sachen wieder in meine kleine Umhängetasche, dann schulterte ich diese und wollte gerade in Richtung der Tür gehen, als Pierre mich aufhielt.

"Ist das dein Ernst? Du willst doch jetzt nicht wirklich einfach gehen, oder?"

Ertappt drehte ich mich zu ihm um und biss mir unsicher auf die Lippe.

"Doch. Ich denke es ist besser, wenn ich gehe und wir das hier einfach vergessen."

"Vergessen? Willst du mich eigentlich verarschen? Wir sehen uns nach fünf verdammten Jahren zum ersten Mal wieder und du willst einfach so tun, als ob wir uns nicht kennen würden?"

Ich sah, wie sein Pressemanager sich unauffällig aus dem Staub machte und konnte es ihm nicht verdenken. Ich wusste wie Pierre sein konnte, wenn er so richtig wütend war und dann wollte man lieber nicht in seiner Nähe sein. Was hätte ich gegeben, um jetzt ganz weit weg zu sein?

"Pierre, ich... ich will das hier nicht schlimmer machen, als es ist. Ich bin hier, um meinen Job zu machen und sobald dieser ganze Zirkus vorbei ist, werd ich verschwinden und wir werden dieses Wiedersehen vergessen."

"Ich verstehe. Du willst einfach weiter so tun, als ob es uns nie gegeben hätte."

Seine Stimme klang bitter und ich schloss für einen kurzen Moment schmerzverzerrt die Augen. Merkte er nicht, dass mir das hier wahrscheinlich mehr weh tat als ihm?
Als ich die Augen wieder öffnete, war seine Miene immer noch genauso hart wie zuvor, was meinen Verdacht nur noch bestärkte: Er hasste mich.

"Ich versuche seit fünf Jahren nichts anderes, als das alles hinter mir zu lassen. Jetzt hab ich mein Leben endlich beisammen, ich hab einen festen Job bei einer großen Zeitung und bin endlich... na ja, vielleicht nicht glücklich, aber auf jeden Fall zufrieden. Bitte mach das jetzt nicht kaputt. Das mit uns ist so lange her", flehte ich.

"Wenn ich dich ansehe, kommt es mir vor wie gestern", wisperte er und schluckte hart.

Zum ersten Mal gewährte er mir einen kleinen Einblick in seine Gefühlswelt und ich begann mich zu fragen, ob ihm meine Nähe vielleicht genauso weh tat wie umgekehrt. Aber egal, ob das zutraf oder nicht, ich musste jetzt gehen, um zu verhindern, dass ich in Tränen ausbrach.

"Ja, mir kommt es auch vor, als hätte sich nichts verändert. Deshalb muss ich jetzt gehen."

Mit diesen Worten umgriff ich meine Tasche fester und stürmte aus dem Raum, bevor Pierre mich aufhalten konnte. Zum Glück hatte ich mir den Weg vorhin gut genug gemerkt, um jetzt ohne Probleme wieder raus zu finden und als ich endlich vor dem Gebäude stand und frische Luft in meine Lungen strömte, erlaubte ich mir ein halbwegs erleichtertes Aufatmen.
Ich hatte es geschafft, das Interview lag hinter mir und ab jetzt würde es mir deutlich leichter fallen, einfach meinen Job zu machen.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt