Vingt-trois

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Vorsichtig lugte ich um die Ecke und kniff die Augen ein wenig zusammen, um zu erkennen, ob Thierry bereits am Haupteingang stand oder noch auf sich warten ließ. Zu meiner Erleichterung entdeckte ich ihn und hatte so die Möglichkeit, sein Aussehen zu prüfen. Auf einer Skala von Penner bis chic, wie war er angezogen?

Als ich ihn gestern kennengelernt hatte, hatte er ein simples Shirt getragen, jetzt schmiegte sich ein Hemd an seinen Oberkörper, das ihm auf den Leib geschneidert zu sein schien und mir zusammen mit der dunklen Jeans verriet, dass wir wohl ziemlich chic essen gehen würden. Weil ich darauf spekuliert hatte, hatte ich mir vorhin bereits einen halbhohen Dutt gemacht und verschwand jetzt nur noch schnell auf die Damentoilette, um den passenden Lippenstift aufzulegen, dann atmete ich ein letztes Mal tief durch und ging zum Haupteingang.

Als Thierry mich entdeckte, riss er ganz kurz die Augen auf und begann dann freundlichen zu grinsen. Wir begrüßten uns mit den üblichen Küsschen links und rechts, dann schaute ich ihn fragend an.

"Also, wo gehen wir hin?"

"Das wird eine Überraschung bis wir da sind", entgegnete er verschmitzt und hielt mir die Tür auf, damit ich vor ihm das Gebäude verlassen konnte.

"Merci", bedankte ich mich lächelnd, dann machten wir uns auf den Weg. Weil wir erst Anfang September hatten, war es noch recht warm und auf den Straßen reger Betrieb, in den wir uns einreihten.

"Welche Gedanken haben Sie sich schon zu unserem Projekt gemacht?", erkundigte ich mich interessiert und erntete dafür ein kurzes, amüsiertes Auflachen.

"Lassen Sie uns doch erstmal essen, danach können wir immer noch über die Arbeit sprechen. Außerdem dachte ich, wir wären schon beim Du", antwortete Thierry und jetzt war es an mir zu grinsen.

"Wir waren schon bei Vornamen, aber noch nicht beim Du", entgegnete ich schlagfertig.

"Dann sollten wir das dringend ändern, finde ich."

"Okay, dann also Du. Und jetzt?"

"Jetzt bist du an unserem Ziel vorbeigelaufen", sagte Thierry schmunzelnd, der etwa eineinhalb Meter hinter mir stand und nach links nickte.

Ich spürte, wie ich ein wenig errötete und lachte kurz, dann schüttelte ich den Kopf und lief das kleine Stück zurück. Mein Kollege hielt mir die Tür auf und ließ mich als Erste das Restaurant betreten. Ein Stein der Erleichterung fiel mir vom Herzen, als mir klar wurde, dass ich absolut angemessen gekleidet war, dann kam auch schon ein Kellner auf uns zu und Thierry nannte seinen Namen, unter dem er für uns reserviert hatte.

Sobald wir saßen, brachte man uns die Speisekarte und als wir bestellt hatten und auf unsere Getränke warteten, wagte ich zum ersten Mal einen richtigen Blick auf Thierry. Meine Beschreibung für Coco war zutreffend gewesen. Thierry hatte volles, dunkelbraunes Haar, einen leichten Bart, der sein markantes Kinn betonte und bernsteinfarbene Augen, die unter ein paar losen Haarsträhnen hervor blitzten. Alles in allem war er auf jeden Fall sehr attraktiv, aber im selben Moment, in dem ich das erkannte, wurde mir auch klar, dass es etwas an ihm gab, das mich störte: Er war nicht Pierre.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als man uns die Getränke brachte, dann hob mein Gegenüber sein Weinglas und ich tat es ihm gleich.

"Auf Italien würde ich sagen."

"Auf Italien", stimmte ich zu und wir stießen leise an, bevor jeder von uns einen Schluck trank.

Sobald ich mein Glas wieder abgestellt hatte, schaute ich Thierry neugierig an.

"Wieso hast du dieses Essen vorgeschlagen? Wir hätten auch im Büro über den Auftrag sprechen können."

"Wir werden in den zwei Wochen in Italien so viel im Stress sein, dass sich kaum Gelegenheiten ergeben werden, um in ein gutes italienisches Restaurant zu gehen, also hielt ich es für klug das hier zu machen", antwortete er mit einem winzigen schelmischen Grinsen auf den Lippen und ich beließ es dabei, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass das noch nicht alles war.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now