Vingt-sept

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"Willst du darüber reden, was am Dom passiert ist?", fragte Thierry vorsichtig, als wir kurze Zeit später in einem kleinen Restaurant saßen und auf unser Essen warteten.

"Nein", antwortete ich harsch und weil ich meinen Tonfall sofort bereute, fügte ich ruhiger hinzu: "Wenn ich darüber rede, werde ich anfangen zu weinen und das will ich nicht. Ich brauche einen klaren Kopf, damit wir nachher im Auto vernünftig arbeiten und in den kommenden Tagen diesen Auftrag ordentlich zu Ende bringen können."

"Aber denkst du nicht, dass es besser wäre, wenn du darüber redest, als wenn du deine Gefühle unterdrückst?", beharrte Thierry und fing sich einen giftigen Blick von mir ein.

"Bist du mein Therapeut oder mein Kollege? Ich sagte, ich will nicht darüber reden und dabei bleibe ich auch."

"Also gut, wie du meinst. Aber falls du deine Meinung doch noch änderst, dann bin ich da, okay? Ich bin recht gut im Multitasking, ich kann Kollege und Therapeut sein", entgegnete Thierry und ich verdrehte bloß die Augen.

Zu meiner Erleichterung kam in diesem Moment unser Essen und in den nächsten Minuten herrschte erstmal gefräßige Stille. Anschließend bezahlten wir, liefen zum Auto und begannen unsere Fahrt ins Piemont, während der wir wie immer an unserem Artikel arbeiteten.

Als wir kurz nach Mitternacht unser Ziel erreichten und unser Hotelzimmer bezogen, erlaubte ich mir zum ersten Mal seit Stunden einen kurzen Gedanken an Pierre und an das, was heute in Mailand passiert war. Sobald meine Zeit es erlaubte, musste ich dringend mit Coco telefonieren, aber dazu würde ich wohl erst kommen, wenn ich zurück in Frankreich war. Bis dahin musste ich mich irgendwie am Riemen reißen und die verbleibenden Tage in Italien durchstehen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu haben.

~~~

Wie genau ich es geschafft hatte, den Donnerstag, Freitag und Samstag hinter mich zu bringen, wusste ich im Nachhinein nicht mehr wirklich, aber plötzlich war Sonntag und Thierry und ich flogen von Rom zurück nach Paris. Während des Fluges bearbeiteten wir noch die letzten Details unseres Artikels bis wir mit allem zufrieden waren, dann nutzten wir die letzte Dreiviertelstunde, um ein wenig Schlaf nachzuholen.

Kurz bevor ich eindöste, erinnerte ich mich an meine Befürchtung von vor zwei Wochen, zwischen Thierry und mir könnte sich in Italien irgendwas entwickeln, das unsere Arbeitsatmosphäre zerstören könnte. Letztendlich hatten wir für sowas überhaupt keine Zeit gehabt, stattdessen war er Kronzeuge meines Dramas mit Pierre geworden und wusste jetzt sehr viel mehr, als mir lieb war.

Aber ändern konnte ich daran leider nichts, also schloss ich innerlich seufzend die Augen und fiel in einen leichten Schlaf bis der Pilot durchsagte, dass wir mit dem Landeanflug begannen. Die Durchsage weckte auch Thierry und er warf mir ein müdes Grinsen zu.

"Fast wieder zu Hause. Wahnsinn, wie schnell die zwei Wochen vergangen sind."

"Stimmt. Aber so anstrengend es auch gewesen ist, so dankbar bin ich für die Erfahrung. Ich bin zum ersten Mal für einen Auftrag ins Ausland gereist und habe zum ersten Mal als Teil eines Autorenteams gearbeitet."

"Ich finde wir waren ein wirklich gutes Team und der Artikel ist super geworden. Sobald ich zu Hause bin, schicke ich ihn zur Korrektur und wenn alles klappt, kommt er morgen Abend schon ins Layout."

"Perfekt. So cool die Erfahrungen in der europäischen Politik auch gewesen sind, ich freue mich jetzt wirklich wieder auf die Nationalpolitik und mein Alltagsgeschäft", gestand ich schmunzelnd, während ein Blick aus dem Fenster mir verriet, dass wir nicht mehr weit von der Landebahn entfernt waren.

"Das kann ich mir vorstellen. Wenn man das viele Reisen nicht gewohnt ist, sind zwei solche Wochen wie die letzten wirklich extrem herausfordernd. Aber falls du mal wieder für sowas ausgesucht wirst, wird es dir schon etwas weniger hart vorkommen", versprach Thierry lächelnd und ich erwiderte es, dann setzte das Flugzeug am Boden auf und ich atmete erleichtert aus.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now