Seize

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Als ich in meiner Wohnung angekommen war, schälte ich mich aus meinen Klamotten und suchte mir stattdessen bequeme Sachen aus dem Schrank.

Eine Jogginghose war schnell gefunden, dann fiel mein Blick auf den Stapel mit Pullovern und ich griff nachdenklich nach dem ausgeliehenen von Pierre, der eigentlich viel zu warm für die herrschenden Temperaturen war. Aus irgendeinem Grund entfaltete ich ihn und zog ihn mir über und kaum dass ich ihn an hatte, fühlte es sich ein bisschen so an, als würde er mich umarmen.

Der Gedanke trieb mir Tränen in die Augen und weil mich heute sowieso niemand mehr sehen würde, lief ich ins Bad, schminkte mich ab und löste meine Hochsteckfrisur, um sie gegen einen schlampigen Pferdeschwanz einzutauschen.

Als das erledigt war, ging ich zurück ins Schlafzimmer, ließ mich auf mein Bett fallen und schloss müde die Augen. Zum Einschlafen oder wenigstens Eindösen kam ich jedoch nicht, weil mein Handy in meiner Hosentasche zu klingeln begann.
Außer meiner Familie hatte ich sämtliche Kontakte stummgeschaltet, also konnte es nur jemand von ihnen sein und als ich mein Handy hervorzog, leuchtete mir Cocos Name entgegen.

Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken sie einfach zu ignorieren, aber ich wusste, dass sie sich Sorgen machte und seit letzter Woche hatten wir den Deal, dass sie mich nur noch jeden zweiten Tag anrief, um sich nach mir zu erkundigen, und an den hielt sie sich auch brav. Seufzend nahm ich den Anruf entgegen und hielt mir das Handy ans Ohr.

"Hi."

"Hey, du klingst gar nicht gut", begrüßte meine Schwester mich mitfühlend und ich konnte ihre besorgte Miene beinahe vor mir sehen.

"Ich fühl mich auch nicht gerade gut", antwortete ich tonlos und starrte apathisch an die Decke.

"Wie läuft denn die Arbeit? Kannst du dich ein bisschen ablenken?"

"Monsieur Roux hat mich nach Hause geschickt."

"Was? Hat er dir etwa gekündigt?", entfuhr es Coco entsetzt.

"Nein, er hat mich erstmal ins Home Office geschickt und mir gesagt, dass ich mich für heute krank melden und nächste Woche Urlaub nehmen soll", beruhigte ich sie und hörte ein erleichtertes Seufzen.

"Gott sei Dank, ich dachte schon... Na ja, vielleicht ist das mit dem Urlaub ja eine gute Idee."

"Ja, vielleicht", murmelte ich bloß.

"Komm doch zu Jules und mir. Du kannst im Gästezimmer schlafen und kommst mal aus dem ganzen Trubel raus", schlug meine Schwester vor und ich seufzte leise.

"Ich will euch nicht zur Last fallen."

"Das tust du nicht, im Gegenteil. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, ich vermisse dich und wir könnten endlich mal wieder etwas Zeit miteinander verbringen."

Einige Sekunden lang dachte ich über das Angebot nach, dann raffte ich mich auf und nickte.

"Okay, ich komme zu euch."

"Sehr schön, das freut mich. Möchtest du direkt morgen herkommen?"

"Ja, hier hält mich gerade sowieso nichts mehr. Ich kümmere mich gleich um eine Zugverbindung", antwortete ich entschlossen und stand von meinem Bett auf, um meinen Kreislauf wieder ein bisschen in Gang zu bringen.

"Perfekt, dann schreib mir einfach, wann ich dich am Bahnhof abholen kann", sagte Coco zufrieden und ich konnte mir ihr Lächeln bildlich vorstellen.

"Danke, es ist wirklich nett, dass ich zu euch kommen kann."

"Ach was, das ist doch selbstverständlich", erwiderte meine Schwester sofort, "Pass bis dahin gut auf dich auf, ja?"

"Das mach ich. Bis morgen Coco."

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now