Vingt-et-un

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Coco behielt Recht. Übers Wochenende ließ die Aufmerksamkeit um meine Person drastisch nach und montags erhielt ich eine Mail von Monsieur Roux, dass er kein Problem mehr darin sah, dass ich ins Büro zurückkehrte.

Als ich dienstags zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder das Gebäude betrat, bekam ich nur noch wenige verstohlene Blicke von Kollegen und in meiner Gegenwart wurden nicht mehr plötzlich irgendwelche Gespräche abgebrochen.
Jolie weinte fast vor Freude, dass ich wieder da war und auch mein Lächeln war den gesamten Tag über nicht aus meinem Gesicht zu bekommen. Im Büro arbeitete es sich direkt viel besser als von Hause aus, außerdem durfte ich jetzt endlich wieder selbst Artikel schreiben, was meine Laune zusätzlich verbesserte.

Zwei Tage später, am Donnerstag vor dem Formel-1-Rennen in Belgien, wurde jedoch publik, dass ab nächster Saison kein Rennen mehr in Frankreich stattfinden würde, was meine gute Stimmung überraschenderweise etwas dämpfte. Auch das Timing der Veröffentlichung dieser Nachricht hätte kaum schlechter sein können, weil ausgerechnet an diesem Wochenende Pierres 100. Grand Prix anstand und er statt Gratulationen eher Beileidsbekundungen ausgesprochen bekam.

Und leider hätte auch das Rennen besser laufen können, denn obwohl Pierre von P8 startete, konnte er daraus nicht wirklich etwas machen und landete letztendlich auf dem neunten Platz, was zumindest noch in den Punkten war. Esteban dagegen konnte sich von P16 auf P7 vorarbeiten, aber auch er wurde beinahe ausschließlich auf das Ausscheiden Frankreichs als Ausrichter eines Grand Prix angesprochen.

Anlässlich Pierres 100. Rennen brachte Le Courrier einen Artikel über ihn, seine Karriere und sein Jubiläumsrennen heraus und ich war mehr als überrascht, als unter der Online-Version des Artikels jede Menge Kommentare auftauchten, die nach mir als Autorin verlangten. Trotz all des Dramas hatte meine Arbeit beim Rennen in Le Castellet vielen Lesern gefallen und ich versuchte das als Kompliment zu sehen, ohne mich zu sehr an besagtes Wochenende erinnern zu wollen.

Als diese Kommentare sich jedoch in den sozialen Netzwerken zu verbreiten begannen, bekam ich es mit der Angst zu tun, dass ein neuer Shitstorm gegen mich entstehen könnte und ich zurück ins Home Office geschickt werden würde, aber stattdessen kam alles anders.

Am 1. September wurde ich zu Monsieur Bernard beordert, der mich dringend sprechen wollte und ich war zugegebenermaßen mehr als überrascht. Er war der Chef meines Abteilungsleiters und für den gesamten politischen Fachbereich der Zeitung zuständig, aber wir hatten bisher kaum etwas miteinander zu tun gehabt.
Dass ich zu ihm statt zu Monsieur Roux bestellt wurde, gab mir jedoch ein gewisses Gefühl von Sicherheit, denn Monsieur Roux war wirklich nur für besonders außergewöhnliche Dinge zuständig, zum Beispiel wenn jemand aus dem politischen Bereich unerwartet im Sport aushelfen musste oder wenn eine Mitarbeiterin Opfer eines Shitstorms im Internet wurde.

Als ich das Büro von Monsieur Bernard erreichte, entdeckte ich einen jungen Mann, den ich schon ein paar Mal im Gebäude gesehen hatte und der ebenfalls einen Termin hier zu haben schien. Ich begrüßte ihn freundlich und meldete mich dann bei Monsieur Bernards Sekretärin an, bevor ich mich wartend gegen die Wand gegenüber des Büros lehnte, etwa zwei Meter von dem unbekannten Kollegen entfernt.
Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um ein wenig Smalltalk zu halten, als die Sekretärin mich aufhielt.

"Vinet und Di Lorenzo, Sie können jetzt reingehen."

Ich tauschte einen überraschten Blick mit dem Kollegen neben mir, weil offensichtlich keiner von uns damit gerechnet hatte, dass wir einen gemeinsamen Termin hatten, dann stieß ich mich entschlossen von der Wand ab und lief zur Tür, wo wir nach kurzem Anklopfen hereingebeten wurden.

Monsieur Bernard war um die vierzig, hatte pechschwarzes Haar mit grauen Schläfen und ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Im Gegensatz zu Monsieur Roux sprach er mich mit Madame statt Mademoiselle an, was mir sehr positiv auffiel, weil ich die Verniedlichung von Mademoiselle nicht mochte, mich aber nie getraut hätte, Monsieur Roux in dieser Hinsicht zu korrigieren.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin