Cinq

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Nachdem ich das Interview mit Esteban beendet hatte, schickte er seine Pressemanagerin in eine Pause und lud mich aufs Dach des Motorhomes ein, das eine Terrasse war. Zwischen Palmen, an deren Echtheit ich zu zweifeln wagte, und Sonnenschirmen, die in den Teamfarben gehalten waren, ließen wir uns auf ein Sofa im Schatten fallen. Schmunzelnd sah ich mich um und erlaubte mir ein leises Seufzen.

"Das ist wirklich herrlich, aber darf ich als Journalistin überhaupt hier oben sein?"

"Normalerweise eher nicht, aber jetzt gerade bist du als Freundin hier und Freunde kann ich mitbringen, wann ich will."

Überrascht schaute ich Esteban an, denn damit hatte ich nicht gerechnet.

"Du betrachtest uns immer noch als Freunde? Obwohl wir uns so lange nicht gesehen haben?"

"Natürlich. Du warst schließlich das erste Mädchen, für das ich jemals geschwärmt habe", entgegnete er zwinkernd und brachte uns damit beide zum Lachen.

Als wir jünger gewesen waren, hatte Esteban mir eine Zeit lang zu jedem Treffen einen Strauß selbstgepflückter Gänseblümchen mitgebracht und war beinahe in Ohnmacht gefallen, wenn ich mich dafür mit einem Schmatzer auf seine Wange bei ihm bedankt hatte.

Aber ein Paar waren wir nie geworden, weil ich seine Gefühle nicht erwidert und er seine irgendwann überwunden hatte. Stattdessen waren Pierre und ich ein glückliches Paar geworden und auch Esteban hatte sich irgendwann verliebt und war eine Beziehung eingegangen.

Aus meinen Recherchen für dieses Wochenende wusste ich, dass er seit etwa vier Jahren eine neue Freundin hatte, die Elena hieß und dass die beiden auf den Fotos, die ich gesehen hatte, sehr glücklich miteinander aussahen.

"Es kam mir eine Ewigkeit her vor, aber heute bin ich Pierre, Max, Carlos und dir begegnet und plötzlich scheinen wir uns wieder in der Vergangenheit zu befinden."

Beinahe mitleidig schaute Esteban mich an.

"Wie war das Interview mit Pierre?"

"Schmerzhaft. Wir haben uns professionell erhalten, aber in seiner Nähe zu sein und zu wissen, dass ich das Beste in meinem Leben zerstört und seinen Hass auf mich gezogen habe, tut mehr weh, als ich in Worte fassen kann. Ich bin einfach nur froh, dass ich es hinter mich gebracht habe und ihn nach diesem Wochenende endgültig nicht mehr sehen werde."

"Darf ich dich was fragen?"

An Estebans unsicherer Stimme erahnte ich bereits, worauf er hinaus wollte, aber ich konnte es ihm nicht verdenken, also lächelte ich ihn nachsichtig an.

"Lass mich raten: Du willst wissen, was damals eigentlich passiert ist?"

"Ja. Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst, aber-"

"Schon okay. Ich werde dir nicht alles erzählen, das siehst du mir hoffentlich nach. Aber ein paar Dinge kann ich dir erklären.
Wie du weißt, wollten Pierre und ich heiraten. Wir hatten sogar schon einen Termin im August 2017 ins Auge gefasst, in der Sommerpause, damit wir direkt danach in die Flitterwochen fliegen konnten. Aber etwa ein halbes Jahr vorher hab ich die Hochzeit abgesagt und ihn verlassen."

Ich konnte sehen und hören, dass Esteban laut schluckte und begegnete seinem verlegenen Blick.

"Es gab das Gerücht, dass du ihn betrogen hättest."

Einen Moment lang erwiderte ich den Blick meines Gegenübers stumm und wusste nicht recht, was ich antworten sollte.

Ich hatte Pierre nicht betrogen, das hätte ich niemals gekonnt.
Ich hatte ihn geliebt, vielleicht mehr als mir gut tat.
Aber ich hatte gewusst, dass er mich nicht einfach gehen lassen würde, also hatte ich behauptet, ich hätte ihn betrogen und würde die Hochzeit deshalb absagen.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now