38) Willkommen, Realität

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Erneut wisperte sie meinen Namen, aber genauso kraftlos wie sie ihn flüsterte, so versuchte sie auch ihre Handgelenke zu befreien.

Sie wollte es.
Sie konnte mir anscheinend nicht mehr widerstehen.

Ich fuhr weiter mit meinen Lippen über ihre Haut und wusste gleichzeitig nicht ganz, ob ich nicht irgendwo in meinen Vorstellungen wieder gefangen bin oder ob ich mich in der Realität befand.

Es fühlte sich alles einfach so intensiv an, dass ich das gar nicht glauben konnte.

Dabei küssten wir uns noch nichtmal richtig.

Wir standen nur dicht aneinander, mein Brustkorb an ihren Rücken, die Arme um sie herum, ihren Kopf an mich angelehnt, das warme Wasser um mich herum... es war wunderbar.

Genauso konnte ich nicht fassen, dass sie sich mir so hingab, das war so untypisch für dieses Mädchen vor mir, das sonst immer Widerstand leistete.

Sie drehte ihren Kopf zur linken Seite und öffnete ihre Augen. Ihr Blick heftete lange auf mich, ihr Blau wirkte verschleiert, während sie mich so anguckte, als würde sie mich zum ersten Mal wirklich sehen.

Äußerlich versuchte ich ruhig zu bleiben, aber mit einem Mal schob ich wie ein Verrückter Panik.

Das war eigentlich nicht meine Art wie eine Schmusekatze ein Mädchen zu umgarnen.

Wollte ich, dass sie mich so sah? Wollte ich, dass sie jetzt und sofort das Gefühl bekam, wie kostbar sie für mich ist?

Vielleicht änderte sich meine Meinung zu ihr noch, dann stand sie auf mich und ich muss ihr das Herz brechen...

Das war hier die große Frage.

Wollte ich ihr das Herz brechen?

Nein.

Entschieden.

Ich stellte mich in der Liebe schon lange so blöd an, dass ich schon gar nicht mehr richtig wusste, wie man sich verhielt, um dass eine Beziehung funktionierte.

So schwer es mir auch viel, aber ich konnte das Ding nicht komplett durchziehen, zumindestens nicht heute.

Ich musste nochmal nachdenken.

Es gab schließlich auch noch meinen Bruder, den ich schon fast vergessen hätte.

Alles in allem hieß das unweigerlich, dass ich sie wieder auf Abstand bringen musste. Und wie machte man das am besten? Mit dummen, arroganten, idiotischen Sprüchen, in denen ich mich selbst schon viel zu oft geschult hatte.

Bravo Adrael.

Wenigstens machte ich ihr so erstmal keine Hoffnungen auf mehr, falls sie die hatte.

Ich brauchte wohl doch noch Zeit.

"Es ist schön zu wissen, dass du mir wohl auch nicht widerstehen kannst", bemerkte ich, dabei kamen mir die Worte so schwer über meine Lippen.

Das wird jetzt ordentlich die Stimmung versauen.

Und wie recht ich hatte, bewies sich darin, dass sie wieder voll zur Besinnung kam und sich komplett in meinen Armen versteifte.

"Pah", fauchte sie, mit einem  Ruck befreite sie sich von mir, drehte sich um und funkelte mich böse an. "Das glaubst auch nur du."

Deutlich konnte ich erkennen, dass sie verletzt war.

Was bin ich nur für ein Idiot.

Stattdessen grinste ich sie nur weiter bescheuert an. Ich hatte angefangen es zu vermiesen, jetzt musste ich auch weiter durchhalten. "Na aber sicher", antwortete ich ironisch. "Hätte es dir nicht gefallen, wäre dir Zicke doch wieder irgendetwas eingefallen, um mich loszuwerden. Hättest mich meinetwegen getreten, schließlich stand ich vollkommen schutzlos hinter dir. Oder du hättest wild umhergebrüllt", argumentierte ich selbstsicher.

Alles Fakten, die stimmten. Trotzdem war es nicht nett von mir.

Und bei ihr lief das Fass nun komplett über. "Was ist mit dir? Schonmal nachgedacht, dass du mir genauso nicht widerstehen kannst? Wer hat mich hier bitte vor fast allen als heiß bezeichnet und gerade leise gestöhnt?", zählte sie ihre Fakten auf, die auch stimmten.

Wenn sie nur wüsste, wie butterweich ich tatsächlich in ihren Fingern war. Nur mein Ego und mein Verstand stemmten sich lediglich dagegen.

Deshalb zuckte ich mit den Schultern und erklärte nichtmal zur Hälfte die Sachen, die ich wirklich an ihr mochte. "Du bist mit deiner ruppigen Art nunmal ziemlich anturnend, das streite ich gar nicht ab. Aber dein Charakter ist echt ziemlich gewöhnungsbedürftig."

Sie hob ihre Augenbrauen an. "So so. Anturnend und gewöhnungsbefürftig also, ja?"

Ich beugte mich zu ihr vor, gefährlich dicht an ihren Lippen und entgegnete mit einem immer noch spöttischen Grinsen. "Ja."

"Arsch", rutschte es ihr gleich darauf heraus. "Ziehst du diese Nummer mit jeder ab, um die dann ins Bett zubekommen?"

Nein.

"Vielleicht", meinte ich karg.

Sie boxte mir gegen die Brust. "Warum bei mir eigentlich, Adrael?"

Weil du mich verrückt machst.

"Ich brauchte eine Gegenleistung für meine angebotene Hilfeleistung", erwiderte ich wie einstudiert.

"Du tickst doch nicht mehr richtig. Einer alten Dame, der du vielleicht mal die Handtasche aufheben würdest, würdest du auch nicht hinterher abschlabbern. Und schon gar nicht mit dieser Begründung."

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Es machte mir nunmal ungeheuer Spaß sie zu reizen.

Wieder wich ich ein Stück zurück und fuhr mir durch die Haare. "Stimmt."

"Ich kann nur das von vorhin wiederholen. Du bist einfach ein idiotischer Arsch, Adrael", machte sie mit ernster Miene klar.

Tja, das weiß ich. Es geht aber noch besser.

"Warum nicht arschiger Idiot? Das klingt doch viel besser. Alleine schon wegen der alphabetischen Reihenfolge der Anfangsbuchstaben", grinste ich sie weiter amüsiert an.

Genervt schnaubte sie.

"Okay", ging ich darauf ein, dabei stellte ich mich dichter vor sie hin. "Und du bist und bleibst eben eine Zicke, liebe Cassandra."

Falsch lächelten wir uns beide breit an.

Das nennt man Liebe - tzz, ich könnte mich schlapp lachen.

Ich hoffe inständig, falls das mit uns irgendwann mal klappen sollte, dass ich ihr erzählen kann, wie ich eigentlich in manchen Situationen mit meiner Meinung stand.

Dass ich sie eigentlich die ganze Zeit wollte.

"Cassie! Adrael! Kommt ihr? Wir müssen jetzt los!" Leandro stand an der Abtrennung und bescherrte mir fast einen Herzinfarkt.

Willkommen zurück in der Realität.

Dark LoveWhere stories live. Discover now