60) Blickduelle

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"Tzz", machte er abfällig. "Ehrlich jetzt?"

Ich hob mein Kinn an. "Ja, ehrlich jetzt. Aber weißt du was? Das hat dich jetzt auch nichts anzugehen, du hast mir schließlich auch nichts davon erzählt."

"Weil ich nicht konnte", verteidigte er sich laut ausrufend.

"Willst du mich komplett auf den Arm nehmen?" Ich könnte ihn gerade am liebsten mit dem Gesicht voran auf die Fliesen klatschen. Was ging nur immer in ihm vor? Warum war er immer nur so unehrlich? Tief atmete ich mit geschlossenen Augen ein und zählte innerlich bis zehn. Dann ging es mir schon deutlich besser und ich konnte meine Gedanken wieder klar und deutlich erkennen. "Weißt du, Adam. Ich verstehe dich sogar, warum du so verletzt bist. Aber du bist selbst schuld. Wenn du mir gesagt hättest, dass du Cassie magst, dir mehr mir ihr vorstellst, dann wäre ich zurückgetreten und hätte dir die Chance gegeben. Das weißt du doch."

Er wollte wiedermal etwas dazu sagen, doch ich stoppte ihn mit einer Handbewegung.

Nein, jetzt war ich dran.

Nur ich.

Und das, was ich ihm nun zu sagen hatte, musste er endlich mal hören.

"Du hast jedoch nichts gesagt, sondern nur ständig irgendwelche Lügengerüste aufgebaut und über sie hergezogen, dass du sie ja so hasst und so weiter. Deine Lügen, ja, die haben mich fast gegen meinen eigenen Bruder aufgehetzt. Und mag sein, dass ich in der ersten Runde nicht scharf auf sie war, aber mir letztens aufzutischen, dass ich mich besser von Cassie fernhalten sollte, weil Adrian sie unbedingt wieder küssen würde und ich wie ein Idiot in der Mitte im Raum herumstand, weil ich sonst niemanden anderen haben wollte und die Zeit abwartetete, war auch nicht deine beste Aktion." Ich schüttelte entgeistert meinen Kopf. "Ich kann das gar nicht fassen, Adam. Ich verstehe auch dein Verhalten nicht. Du bist doch sonst immer so direkt."

Jetzt kam... nichts von ihm.

Ich hatte ihn ausnahmsweise komplett sprachlos gemacht.

Einen Moment lang gab niemand etwas von sich, eine unangenehmen, betretene Stille kehrte ein und breitete sich hämisch grinsend zwischen uns aus.

Erneut musste ich schwer seufzen. "Aber das ist noch nichtmal alles. Ich habe dir immer vertraut, dir alles erzählt und du... hintergehst mich, obwohl du manche Sachen, die mir in letzter Zeit sehr wichtig waren, vorher wusstest." Ich konnte meine Verletztheit ihm gegenüber nun nicht mehr verbergen. "Warum? Warum das alles? Ich hasse es, scheisse nochmal, wenn man mich hintergeht. Sowas ist für mich am Schlimmsten und selbst das wusstest du auch."

Gut, du warst auch nicht besser, erinnerte mich meine innere Stimme mahnend.

Ja, vielleicht. Aber diese eine Nacht war in meinen Augen eine Ausnahme.

Ich registrierte aus den Augenwinkeln, wie Cassie unentschlossen und völlig überfordert mit dieser Situation zwischen uns hin und herschaute, dabei schien es selbst in ihrem Kopf wie verrückt zu arbeiten.

Aufeinmal hörte ich weitere Schritte hinter uns - der Rest unserer festen Clique hatte sich nun auch noch zu uns gesellt.

Na peinlicher und unangenehmer konnte es jetzt ja echt nicht mehr werden.

"Habe... habe ich irgendetwas verpasst?", hörte ich meinen Bruder uns irritiert fragen. "Das stinkt hier gewaltig nach Streit und normalerweise bin ich es, der sowas anzettelt. Also wer hat mir die Ehre abgenommen?"

Nicht lustig.

Überhaupt nicht lustig.

Zum Glück erkannte er das nun selbst. "Okay, der war wohl nicht lustig."

Ian trat dicht neben mir wie mein persönlicher Wachhund und schien erstmal die Lage abchecken zu wollen. "Können wir euch irgendwie helfen? Ihr seht so-"

"Halt einfach mal deine Klappe, Ian", unterbrach ihn Adam mit so viel Hass, als wäre Ian für alles verantwortlich. "Du merkst es manchmal einfach nicht, wann es angebracht ist zu fragen, ob man Hilfe braucht oder nicht."

Ian wich zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. "Ich äh -"

Wie konnte er nur immer so ungerecht sein? Und das auch gegenüber einem langjährigen Freund? Musste er immer alles an andere auslassen?

Ian wurde somit diesmal wegen mir unterbochen, weil ich Adam mit einer Hand fest gegen die Fliesenwand hinter ihn schubste. "Solltest du noch ein einziges Mal deine Wut, für die du ganz allein verantwortlich bist, an Ian oder irgendjemanden anderen Unschuldigen auslassen, dann hoffe ich für dich, dass Gott dir beisteht."

Als was für einen Idiot entpuppte er sich hier bitte?

Klar, es war gerade nicht rosig, aber nur ich und Cassie wussten von dem Dilemna und waren in diesem verstrickt, aber nicht die anderen und deswegen sollte er seine Wut besser mal echt zügeln.

Immer noch auf hundertachtzig wich ich von ihm zurück, dabei lieferten wir uns ein Blickduell, das sich gründlich gewaschen hatte.

Die Blicke unserer Freunde wurden von Sekunde zu Sekunde verwirrter und ich konnte es ihnen nichtmal verübeln.

"Okay", versuchte Leandro wohl scheinbar vorsichtig die Kontrolle der Lage auf sich zu nehmen. "Okay. Was ist hier los?" Mit einem prüfenden Blick, den er abwechselnd auf uns beide richtete, ging er auf mich zu. "Was ist passiert? Und warum ist Cassie eigentlich hier in der Umkleide?"

Adams Grinsen glich dem eines hinterhältigen Schurkens. "Das geht dich ein Scheissdreck an."

Ich hob schon meine Hand an, allerdings hatte Adrian meinen nächsten Schritt erahnt, da er wusste, dass ich nicht einfach leere Drohungen machte. Reflexartig trat er zu mir heran und schnappte nach meinem Arm.

"Adrael", zischte er mir zu. "Komm wieder zu dir. Dich kriegt man sonst auch nicht so schnell provoziert."

Recht hatte er... nur jetzt konnte ich mich einfach nicht mehr kontrollieren.

"Genau", trug Adam höhnisch bei.

Finster blickte ich ihn an, dabei glitten meine Augen über Cassies Gesicht, die nun wieder so weiß wie eine Wand aussah.

Was sie jetzt zu dem ganzen dachte... das wollte ich gar nicht wissen, nur sah sie gerade so bestürzt aus, als wäre das alles ihre Schuld, obwohl wir alle zusammen dafür verantwortlich waren.

Vorsichtig legte ich ihr meine Hand auf den Arm, worauf sie augenblicklich zu mir hochlinste. "Hey", begann ich leise. "Was auch immer du gerade denkst. Es ist falsch, verstanden?"

Sie nickte zwar, doch überzeugt wirkte sie nicht. "I -ich muss hier raus", sagte sie plötzlich am ganzen Körper bebend.

"Bitte. Lass dich nur nicht aufhalten." Spöttisch betrachtete Adam sie.

Was zum Henker wollte er mit dieser Art eigentlich erreichen? Selbstschutz? Einen auf nicht verletzt tun oder wie?

Dafür war es zu spät, dadurch zeigte er viel mehr, wie ihn das alles hier wurmte.

Schnelle Schritte, die sich zügig entfernten, verrieten nun uns alle, dass Cassie bereits die Flucht ergriffen hatte.

Und niemand wusste, für wie lange.

Oder ob wir ihr hinterher gehen sollten.


Nun... heute, falls nichts dazwischen kommt, wird das Buch beendet.

Ich wünsche allen ein angenehmes Leseerlebnis/ einen angenehmen Leseabend💖😏

Dark LoveTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon