Prolog

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Prolog


30. Januar 2010 - Berlin, Deutschland, Modo

In einem metallenen Kerzenständer, auf dem die jüngsten Wachsrinnsale noch erstarrten, spiegelten sich zwei Gesichter. Bleich und stumm wölbten sie sich über das Silber. Sie sassen einander am Esstisch gegenüber. - Der Mann, der sich die verletzte Hand verband und die Frau, die mit leerem Blick auf ein Stück Papier starrte, im Schoss eine Schreibfeder umklammernd.

Die Minuten verstrichen, die Kerze brannte unermüdlich weiter, das Wachs rann über den Leuchter, kühlte ab und wurde hart. Und so sehr sich Mann und Frau auch wünschten, dass auch die Zeit einfach erstarren und für sie stillstehen würde, musste geschehen, was geschehen musste und diese unabdingbare Geschichte nahm ihren Lauf.

Die Flamme flackerte und die Lampen in dem alten Fachwerkhaus - wie auch überall sonst in dieser Welt - taten es ihr nach. Dies weckte das Paar aus seiner Trance und beide zuckten zusammen. Es war lange her, dass sie die Dunkelheit hatten fürchten müssen, doch an die alten Ängste war schnell erinnert. Und was für den Rest der Welt nicht mehr als das Flimmern altersschwacher Glühbirnen sein musste, wussten die beiden als das zu deuten, was es tatsächlich war: Heute war Vollmond, viele der Portale standen offen und wenn in einer Nacht wie dieser alle Lichter flackerten, war etwas Mächtiges hindurch gekommen ...

Der Mann hielt es nicht länger aus und seine Angst scheuchte ihn auf die Füsse. »Es wird Zeit.« Er trat ans Fenster, durch das, vorbei an schneebedeckten Zweigen, das Mondlicht fiel. Er spähte hinaus auf den Kiesweg, der von der Strasse zu ihrer Haustür führte, als würde er jemanden erwarten. Jemanden, den er fürchtete ... »Wir wären jetzt auf der Heimfahrt. Du musst dich entscheiden.«

Nur kurz wanderte der nachdenkliche Blick der Frau zu ihrem Mann, streifte die abgelaufenen Theaterkarten auf der Anrichte und ruhte schliesslich wieder auf der Urkunde vor ihr. - Ein Vertrag, von Hand geschrieben und in geschwungener Spiegelschrift verfasst. »Wie kann es falsch sein«, fragte sie bebend, »wenn es sich anfühlt wie das einzig Richtige?«

»Das weisst du. Es wäre ein Sakrileg.« Der Mann drehte sich nicht zu ihr um, als wären seine Worte an den Nachthimmel gerichtet, doch natürlich war dem nicht so. Schliesslich war es nicht der Mond, der drauf und dran war, einen Pakt mit dem Teufel zu schliessen.

»Ja, ich weiss.« Trotzig reckte die Frau das Kinn, denn sie wusste, warum er mit der Nacht sprach und nicht mit ihr. »Aber ich kann nicht anders. - Und du auch nicht! Sonst hättest du mir diesen verfluchten Vertrag längst weggenommen und verbrannt.« Sie hob die Arme und setzte den Federkiel, der mit einem Mal schwer wie ein Beil wog, auf der Innenseite ihres Handgelenks ab. »So ist es doch, nicht wahr?«

Der Mann blieb stumm wie der Mond und doch war sein Schweigen Antwort genug.

So drückte sie die scharfe Stahlfederkappe in ihren Arm, bis langsam das Blut den Kiel hinaufkroch. »Vergebt mir«, flüsterte sie, während sie ihren Namen niederschrieb. Spiegelverkehrt und in roten Lettern prangte er unter dem Fliesstext. Als die Buchstaben vor ihren Augen zu verschwimmen begannen, faltete sie die Urkunde eilig, steckte sie in einen Umschlag und tropfte etwas des ebenso roten Wachses zum Zwecke eines Siegels darauf. Als sie ihren Ring in die Masse drückte, schallte aus der Ferne das Bellen eines Fuchses. Der Tierlaut, der eine unheimliche Ähnlichkeit mit einem menschlichen Schrei besass, liess sie vor Schreck die Kerze vom Tisch stossen. Es polterte, Wachs spritzte, die Flamme erlosch. Der dünne Rauchfaden zog sich durch den Raum, wand sich wie ein verendendes Tier, kräuselte sich in der Luft und verschwand schliesslich in ihr.

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now