Epilog

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Epilog


8. April 2020 - Bukarest, Rumänien, Modo

Das schmutzig grünliche Licht in der Bahn flackerte, die Schienen ratterten, an den beschmierten Fenstern zog die Nacht vorbei.
Der Wagon hatte nur einen Passagier, wer sonst würde auch zu so später Stunde so weit nach draussen fahren? Nur er, dieser Mann, der ganz alleine, völlig versunken in die Zeitung auf seinem Schoss durch die Nacht reiste. Erst als eine kaum verständliche Stimme die Ankunft an der nächsten Station voraussagte, hob er den Kopf. Der Reisende stand auf und hielt sich an den von der Decke hängenden Griffen fest, als die Bremsen quietschten und der Zug ruckartig zum Stehen kam.
Er stieg aus, warf einem schlafenden Obdachlosen, der sich mit einer Flasche Vodka aus seinem Elend zu trinken versucht hatte, ein paar Leu zu und verliess die schäbige Bahnstation.
Es war eine warme Nacht und der Reisende knüpfte seinen Mantel auf. Die Luft roch nach Zerfall und Verwahrlosung. - Und nach Geheimnissen und dieser Fährte folgte der Mann.
Seine Stiefel scharrten über den staubigen Boden, eine aufgeschreckte Katze fauchte ihn an und rannte über die verlassene Strasse, aus einem nahen Haus drangen die wüsten Beschimpfungen einer gescheiterten Ehe. ›Ferentari‹ war kein Stadtteil Bukarests, wo man sich gern aufhielt. Doch all dies brachte ihn nicht von seinem Weg ab, den er stur beschritt, den Kopf eingezogen im Kragen des Mantels. So lief er eine ganze Weile durch die rumänische Frühlingsnacht, bis er in eine enge Sackgasse einbog, sich hastig nach allen Seiten umblickte und dann über einen hohen Zaun kletterte.
Er landete auf dem schmalen Weg eines zerfallenen Hauses, das ihm seine Leere aus schwarzen, zerbrochenen Fenstern entgegengähnte. Geduckt schlich er um das Gebäude herum, bis er über die Kante in den Garten spähen konnte. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er erkannte, dass er am richtigen Ort war.
Mitten in einem verwilderten Garten, umgeben von rostigem Metallschrott, stand ein Wohnwagen. In der Dunkelheit war es nicht gut zu erkennen, doch der Anhänger war über und über mit Malereien und Mosaiken bedeckt. Dumpf drang Musik aus seinem Inneren. Im hinteren Teil des Fahrzeuges war es dunkel, doch in den Fenstern des vorderen brannte noch Licht.
Der Reisende wagte sich aus seiner Deckung, schlich elegant um den Schrott herum bis vor die Tür des Wohnwagens. Leise hob er sich den Zylinder vom Kopf, blies den Schmutz von der Krempe, wischte sich den Staub von den Knien und baute sich mit gestrafften Schultern auf, den Hut an die Brust gepresst. Er hob die Hand und klopfte.
Im Inneren kratzte die Nadel eines Grammophons unsanft über die Platte und liess die Musik verstummen. Die Lichter erloschen.
Der Mann seufzte tief und klopfte erneut. Und noch einmal.
»Hau ab!«, zischte es von drinnen, dann wurde es wieder still.
»Ich bin es. Mach auf!« Der Reisende zupfte ungeduldig an seinen Hemdsknöpfen. »Komm schon, das hat doch keinen Zweck! Ich gehe nicht wieder weg.«
Erst gab es eine Weile kein Lebenszeichen mehr von den Bewohnern des Anhängers. Schliesslich erklang ein Scharren, dann ein Kratzen und mit einem metallischen Klicken sprang die Tür auf.
Etwas misstrauisch stieg der Mann die Stufen zum Eingang hoch und streckte vorsichtig den Kopf hinein.
»Wenn ich dich umbringen wollte, hätte ich das längst getan, Topper!«, fauchte eine Frauenstimme aus den Schatten.
Das schien den Hutmacher zwar nicht wirklich zu beruhigen, doch er trat trotzdem ein und schloss die Tür hinter sich.
Drinnen war es stickig und es roch nach Wachs und würzigem Essen. Ein paar schäbige Möbel waren möglichst platzsparend an die Wände genagelt. Überall hingen Tücher, Perlenketten und Talismane von der Decke, sodass er den Kopf einziehen musste. Verlegen räusperte er sich und streckte zur Begrüssung die Hand in die Schatten. »Ich habe lange nach euch gesucht.«
Die Frau in der Dunkelheit schlug seinen Arm beiseite. »Dass du uns finden können solltest, war auch nicht Teil des Deals!«
Jeremy Topper schnaubte, scheinbar gekränkt. »So nennst du das also? Einen Deal?«
Aus der Dunkelheit war ein kaltes Lachen zu hören. »Ach, hör schon auf mit deinen Moralpredigten. Du weisst ganz genau, wie gefährlich es für uns ist, wenn du hier aufkreuzt.«
Träge nickte er und schwieg einen Moment.
Aus den Schatten erklang wieder ein Scharren, dann entflammte ein Streichholz und entzündete seinerseits den Docht einer Kerze. Das Licht flackerte über das erdfarbene Gesicht einer Frau um die Vierzig, das durchaus attraktiv gewesen wäre, hätte die finstere Miene nicht irgendwann grimmige Falten in ihre Haut gegraben. »Was willst du hier, Jeremy?«
Der Hutmacher hob das Kinn. »Es ist an der Zeit, dass wir die Fehler der Vergangenheit berichtigen.«
»Welche Fehler?« Auf einmal glänzte Kerzenlicht auf Metall und Jeremy entging knapp einem tödlichen Hieb.
»Ich bin nicht hier, um irgendjemandem etwas zu tun!«, erklärte er hastig und schnappte sich vorsichtshalber ein gerahmtes Bild von der Wand, um es im Notfall als Schild oder Waffe einsetzen zu können.
»Ach? Und was dann?« Die Frau hielt das Messer noch immer fest umklammert.
»Es wurde eine Prophezeiung ausgesprochen«, fuhr er hastig fort, ohne die Klinge aus den Augen zu lassen.
»Was geht uns das an? Wir sind kein Teil mehr davon!«
Der Hutmacher schluckte und hängte das Bild zurück. »Vielleicht ja doch ... Lass es mich dir zeigen ...« Langsam, um sie nicht zu verschrecken, versenkte er eine Hand in seinen Hut, zog nach kurzem Suchen einen abgegriffenen Zettel heraus und reichte ihn seiner Widersacherin. Ihre stechenden Augen überflogen die Zeilen eilig. »Unfug! Das könnte alles Mögliche bedeuten!«
Jeremy Topper schüttelte den Kopf. »Ich weiss nicht, was da steht. Es ist nur ein Gefühl, aber ... Du hattest mir versprochen, dass wenn die Zeit käme, in der ich sie brauchen würde, du mir nicht im Weg stündest.« Ein gemeines Lächeln umspielte seine Lippen. »So war der Deal.«
Die Frau zischte wie eine Schlange. »Warum hältst du sie nicht einfach aus dem Ganzen raus? Sie weiss von nichts und es ist besser so. Du wirst sie nur ins Verderben treiben, genau wie ihre Mutter!«
»Wage es nicht, mir das anzuhängen, Risha! Ausserdem ist es deine Schuld, dass sie von nichts weiss, wenn du ihr nichts erzählt hast.« Nachdenklich steckte er sich einen Fingerhut in den Mund und kaute kurz darauf herum, dann spuckte er ihn aus. »Zeig sie mir!«
»Sie schläft.«
»Zeig sie mir!«
Rishas Gesicht wurde zu einer hässlichen Fratze. Trotzdem drehte sie sich um und führte ihn, mit ihrem Kerzenleuchter vorrausgehend, in den dunklen Teil des Wohnwagens. »Hinter der Schiebetür«, brummte sie und liess Jeremy Topper vorbei.
So leise er konnte, zog er an der Tür und spähte durch den Spalt in das Zimmer dahinter. Dort war es eng und der Staub tanzte im Mondlicht. Ein Bett, ein Schrank und ein Nachttisch füllten den Raum, auf letzterem stapelten sich ein paar Taschenbücher mit eingeknickten Rücken. Klamotten, abgegriffene Schreibhefte, verstreute Blätter und ein Rucksack lagen über den Boden verstreut. Abgesehen von einem grossen Traumfänger, der mit Glasscherben, Muscheln und bunten Federn bestückt war, wirkte das Zimmer gänzlich schmucklos.
In dem Bett räkelte sich jemand.
Auf leisen Sohlen schob sich der Hutmacher in den Raum und schlich vorsichtig ans Bett, wo er sich hinkniete und die Schlafende betrachtete. Ein Mädchen - eher eine junge Frau, aber nicht viel älter als zwanzig. Sie war gross, athletisch, hatte bronzene, an vielen Stellen tätowierte Haut, feine, weiche Züge und eine leicht knubbelige Nase. Sie lag auf dem Bauch, gleichmässig hob und senkte sich ihr Rücken. Das ovale Gesicht hatte sie zur Seite gewandt, den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet. Ihre Handflächen waren mit Bandagen umwickelt.
Jeremy ignorierte Rishas warnendes Zischen, als er die Hand ausstreckte. Er konnte nicht anders, er musste ihr wildes Haar berühren, das so bunt wie das Gefieder eines Paradiesvogels war. An den bis zum Kinn reichenden Spitzen grün wie eine Frühlingswiese, dann türkise wie die heissen Quellen Geysirias und am Ansatz blau wie der Abendhimmel.
Das Mädchen schrak hoch und ehe man es sich versah, hielt auch sie etwas Blitzendes in den Fingern. Schon verharrte die Spitze des Messers an dem weichen Fleisch unter dem Kiefer des Hutmachers und drückte gegen seinen Puls. Die dunklen Augen des Mädchens zeigten keine Angst, blickten nicht fragend, nur entschlossen. Augen wie die ihres Vaters ...
»Guten Abend.« Jeremy lächelte, als wäre die Klinge an seinem Hals ein Strauss Blumen. »Du bist also Ori ...«

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Kleines Boom am Ende

Ich liebe Twos so sehr und ich werde euch in den nächsten Tagen vermutlich irgendwann noch ein Extrakapiteln mit Widmungen und Danke und herzzerreissendem Zeug an den Kopf werden, aber erst muss ich meinen Bericht schreiben.

Darum erst die Liste:
-Jeremy Topper wollte sich ja auf eine Reise begeben und das hat er jetzt wohl auch gemacht. Nach Rumänien. Und wen hat er dort getroffen, naaaa? ;P

Spekuliert mal, was im 2. Teil geschehen wird, ich bin schon sehr gespannt.

Ich danke euch für alles, ihr habt mir so unter die Arme gegriffen, ich wäre ohne euch aufgeschmisen! Danke sehr! <3

Wordcount: 1'350

In Liebe
Eure Mara


P. S.: Ich habe eine Illustration von Ori angefertigt. Ich will aber niemanden spoilern, also lade ich sie nur hier hoch. Enjoy. :)

 :)

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Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now