Kapitel 17 - Vögel von London

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Triggerwarnung: Suizid

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Kapitel 17

Vögel von London


~Theodor~
16. September 2019 - London, United Kingdom, Modo

Er stand am Fenster, blickte über die Stadt und wartete, bis es dunkel war, Laternen die Strassen erhellten, in den Häusern die Lichter ausgingen und selbst auf den meistgenutzten Strassen kaum noch Autos fuhren. Erst dann kam Bewegung in ihn. Er schnappte er sich seinen Mantel, schob die Kapuze tief ins Gesicht, zog den Schal über Mund und Nase und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. – Musik war die Maschine, die ihn nicht weit genug weg bringen konnte. Zuletzt hängte er sich seine Tasche um, in der der Whiskey verräterisch gluckste. – Der Treibstoff jener Maschine, von dem es aber irgendwie nie genug gab.
Er drückte ›►‹ auf seinem Handy und die Musik begann zu spielen. Ein Lied, das niemand kannte, das er nur durch Zufall gefunden und er nächste Woche löschen und nie wieder anhören würde ... Aber nein ... Gelöscht und nie wieder angehört hätte ...
»›All my friends play Nintendo
Cause 8-bit life's so simple
Had a pretty low key upbringing
So how do I explain these demons‹«
Es fiel ihm erstaunlich leicht zu gehen, die Luxussuite und sein Leben hinter sich zu lassen. Vielleicht hatte er sich den Moment zu oft vorgestellt, zu lange geplant, sodass er nun seine Bedeutung verloren hatte.
Auf den Fluren war es ruhig. Nach Mitternacht war nichts mehr los.
Die Türe des Personals waren immer verschlossen, sie gingen nur automatisch auf, wenn es brannte, doch er würde kein Feuer legen. Vorgestern hatte dieser blonde, hinkende Typ vom Hotelpersonal die Schlüsselkarte in seiner Suite liegen lassen. Die hatte Theodor natürlich eingesteckt.
Das Gerätchen piepste und ein Lämpchen leuchtete grün, als er die Karte durchzog, dann klickte es und die Tür schwang auf, sodass er sich eilig hindurchschieben konnte.
Das Treppenhaus war schäbig. Es roch nach Zitronenreiniger.
Theodor setzte sich aus einem Impuls heraus auf das Geländer und rutschte darauf runter, einige Stockwerke tiefer. Er wusste, dass, lehnte er sich zu weit zurück, er tief fallen würde. Er könnte dabei umkommen, doch das spielte ohnehin keine Rolle mehr. Aber er wollte nicht fallen ...
»›I'm a little jet black mood ring
Everybody dies kinda movie
And I know my folks they worry
Cause I'm a little, I'm a little sad faced‹«
Schliesslich hielt er vor einer Glastür, über der das Fluchtwegschild leuchtete. Auch hier half die Schlüsselkarte und Theodor trat hinaus auf die Feuerleiter, wo ihn kühle, verregnete Nachtluft empfing.
Es war schon seltsam; egal wohin Theodor reiste, es regnete fast immer. Es wirkte wie ein Fluch, als würden ihn die Regenwolken um die Erde folgen.
Jared hasste das, er hasste Regen, doch Theodor mochte ihn. Damit zog Jared ihn auch gern auf. »Und du willst aus Mexiko stammen?«, schnaubte er dann und wann, wenn Theodor die Vorhänge zuzog, herrschte denn mal gutes Wetter. Dafür sass er bei Regen nur zu gern am Fenster, um die Liedtexte zu schreiben, die er nicht singen durfte.
»Ich war noch nie ein Sonnenschein«, brummte er synchron mit der Erinnerung und begann den Whiskey aus der Tasche zu ziehen. Er entkorkte den teuren Alkohol, nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Er hatte nie verstanden, was die Leute an diesem Zeug fanden, was sie ekstatisch mit den Augen rollen und das Zeugs für dessen guten Jahrgang preisen liess. Es schmeckte alles grässlich, aber er trank ja nicht wegen des Geschmacks ...
»›I only like sad songs
Something may be wrong with me
And I leave the TV on
So someone's in the room‹«
Er begann die Feuerleiter hinabzuklettern. Das Metall war rutschig und mehr als einmal verlor er mit den Schuhen den Halt, doch er fiel nicht, schaffte es jedes Mal, sich rechtzeitig festzuhalten.
Es war schon absurd, wie sehr ihn seine Instinkte dazu zwingen wollten, am Leben zu bleiben, wo sein Verstand ihn mit einem ganz anderen Vorhaben in die Nacht trieb.
»›Find me a girl, let her wear my sweater
Under the hood we could hide out together
And I'll sing her all sad songs
And hope she sings along‹«
Und so floh er über regennassen Pflasterstein. Er schlich sich vorbei an den Paparazzi, die sich vor dem Four Seasons zusammengerottet hatten, rannte vorbei an all den Postern, auf die riesengross sein Gesicht abgedruckt war und vorbei war dies alles, denn heute Nacht würde Theodor Stark sich umbringen.
»›And hope she sings
And hope she sings along‹«

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now